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50. Todestag des Schriftsteller Stefan Andres
Der unbeugsame Zeitzeuge

Schriftsteller Stefan Andres befasste sich leidenschaftlich mit den Problemen seiner Zeit. Er schuf Werke, die in der späteren Bundesrepublik als authentische Zeugnisse der Menschlichkeit galten, auch und gerade in der Zeit des Nationalsozialismus. Dennoch geriet er nach seinem Tod in Vergessenheit.

Von Helmut Böttiger | 29.06.2020
    Stefan Andres / Foto um 1950 Andres, Stefan Schriftsteller, Breitwies 26.6.1906 - Rom 29.6.1970. Portraetaufnahme. |
    Stefan Andres hatte unter anderem mit seinem Werk „El Greco malt den Großinquisitor“ (1935) schon auf sich aufmerksam gemacht (picture-alliance / akg-images)
    "Gott geht nicht nach Utopia! Aber auf diese tränenfeuchte Erde kommt er immer wieder!"
    Mit Gott kannte sich Stefan Andres aus. In der frühen Bundesrepublik waren seine Bücher mit ihrem christlich geprägten Existenzialismus äußerst erfolgreich. Dieser Autor traf in seinem Umgang mit deutscher Schuld und Verantwortung, die in höheren Sphären zu verorten seien, das deutsche Selbstempfinden dieser Zeit sehr genau.
    Katholisch aufgewachsen
    Am 26. Juni 1906 in der Breitwiesmühle bei Dhrönchen an der Mosel geboren, wuchs Stefan Andres streng katholisch auf und fasste mehrfach den Plan, in ein Kloster einzutreten. Doch eine Reise nach Italien wurde 1932 zu seinem Schlüsselerlebnis, und er fasste den Entschluss, als freier Schriftsteller zu leben. Im Frühjahr 1933 zog er mit seiner jüdischen Frau an die italienische Amalfiküste. Er konnte zwar in Deutschland veröffentlichen und kehrte auch kurz in seine Heimat zurück, doch von 1937 an lebte er ständig in Positano, seiner windgeschützten Art der "inneren Emigration". Als seine herausragenden Werke gelten die Erzählung "El Greco malt den Großinquisitor" aus dem Jahr 1936 sowie die Novelle "Wir sind Utopia" von 1942. Im "Großinquisitor"-Text werden in charakteristischer Weise Bezüge zur Situation in einer Diktatur immer wieder deutlich:
    "Die Furcht ist der Anfang der Weisheit!"
    Das weiß der berühmte Maler El Greco, der den Auftrag hat, den gefürchteten Großinquisitor Kardinal Fernando Niño de Guevara zu malen. Stefan Andres versetzt sich dabei in die Lage des Künstlers, der seine Ideale nicht verraten will. Als der Kardinal Näheres über diese Wahrhaftigkeit wissen will, erklärt El Greco:
    "Die Kirche ist ein blutiges Feuer geworden, Eminenz!"
    Die Nazis duldeten das Buch
    Das klingt radikal und ließ sich, wenn man wollte, deutlich auf die Zustände im Nationalsozialismus beziehen – doch es gibt gleichzeitig noch eine andere Dimension: El Greco erkennt in der Macht auch die Vollstreckung eines gottgewollten Schicksals. Als der Kardinal erkrankt, ruft El Greco seinen Freund, den bekannten Arzt Cazalla, dessen Bruder bereits der Inquisition zum Opfer gefallen ist. Er rettet dem Großinquisitor das Leben, der danach unerbittlich weiter seines Amtes walten kann. Stefan Andres‘ Erzählung ist ein doppeldeutiges Dokument seiner Zeit.
    Die Nazis duldeten das Buch, weil die spanische Inquisition für völkisch-deutsche Ideologen seit jeher ein erklärtes Feindbild war. Zudem bestand die Moral des Künstlers in Gewaltlosigkeit und handwerklichem Ethos – im Subtext war dabei Widerstand gegen die Staatsgewalt unmöglich. Bezeichnend ist, wie El Greco die Ästhetik seines Porträts des Großinquisitors formuliert:
    "Er ist ein Heiliger um seiner Schwermut willen, ein trauriger Heiliger, ein heiliger Henker!"
    Er liebte Italien
    Zusammen mit der ähnlich angelegten Novelle "Wir sind Utopia" hat Stefan Andres damit zwei Werke geschaffen, die in der späteren Bundesrepublik als authentische Zeugnisse der Menschlichkeit gelten konnten, auch und gerade in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach 1945 avancierte Stefan Andres zu einem Bestsellerautor, der die religiöse Wiedererweckung der fünfziger Jahre in redlicher Weise verkörperte. Zusammen mit seiner Italienthematik ergab das eine ideale Mischung. Andres schrieb etliche Bücher über Positano, über die italienische Lebensweise und über den Weingenuss.
    Er hat den 1951 zum ersten Mal vergebenen Büchner-Preis, den höchsten deutschen Literaturpreis, nur deshalb nicht bekommen – die Protokolle der Darmstädter Akademie belegen das – weil man befürchtete, er werde seine Rede womöglich in nicht mehr ganz nüchternem Zustand halten. Am 29. Juni 1970 starb Stefan Andres, und seine Leser hatten dann vor allem Sätze im Ohr, die die italienischen "Terrassen im Licht" beschworen, wie eine seiner suggestiven Erzählungen hieß:
    "…helle Flächen auf Dächern und Vorbauten, mit Fliesen belegt oder auch nur aus Beton gestrichen, auf jeden Fall von Gittern und Mäuerchen umschützt und von Bögen und Pfeilern oder windschiefen Hauswänden in die Höhe gehoben – ins Licht."