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500.000 Euro teures Alibi-Unternehmen

2008 hatten der Deutsche Olympische Sportbund und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit ausgeschrieben. Ein Jahr später, im Oktober 2009, tagte erstmals der wissenschaftliche Beirat, dem 13 Persönlichkeiten aus Sport, Lehre und Forschung angehören. Seit kurzem hat sich der Beirat reduziert: Professor Gerhard Treutlein aus Heidelberg, ein Pädagoge und Leiter des Zentrums für Dopingprävention ist aus Protest zurückgetreten.

Von Grit Hartmann | 25.04.2010
    Mit größerer Gelassenheit, besser gesagt: Ignoranz, ist auf einen solchen Eklat wohl selten reagiert worden. Der Brief, mit dem Gerhard Treutlein schon Ende März seinen Rückzug begründete, blieb ohne jede Antwort. Treutlein ist nicht irgendwer: Für seine Verdienste um die Aufklärung der westdeutschen Dopingvergangenheit wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt; überdies gilt der Sportpädagoge als Wegbereiter der Dopingprävention hierzulande.

    Seine Skepsis gegenüber dem Forschungsprojekt fasst Treutlein auf drei Seiten. Kern: Der Beirat habe kaum etwas zu sagen, da er nur einmal im Jahr tage - mithin obliege die Steuerung Akteuren, die in Sachen Doping selbst belastet sind: nämlich dem Projekt-Sponsor, dem Dachverband DOSB, und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft, das dem Bundesinnenministerium unterstellt ist. Mit vorbehaltloser Aufklärung deutscher Dopinghistorie rechne er deshalb nicht. Außerdem moniert er die Konzepte der Professorenkollegen aus Münster und Berlin. Es sei nicht erkennbar, was überhaupt "an neuen Erkenntnissen erwartet" werde. Anders formuliert: Treutlein sieht ein 500.000 Euro teures Alibi-Unternehmen auf dem Weg.

    Die Adressaten seiner Kritik äußern sich erst auf Deutschlandfunk-Anfrage. Der Direktor des Bundesinstituts, Jürgen Fischer, lässt nur mitteilen, er habe das Schreiben "zur Kenntnis genommen". Die Beiratsvorsitzende, die Leipziger Sportpsychologin Dorothee Alfermann, bedauert immerhin Treutleins Rückzug. Aktuellen Klärungsbedarf sieht sie indes nicht: Der Beirat habe einen Workshop angeregt, bei dem erste Forschungsergebnisse öffentlich vorgestellt werden sollen. Termin: der kommende Herbst. Die Professorin, zugleich Präsidentin der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, befürchtet auch nicht, dass der Sport oder das Kölner Institut Recherchen behindern könnten, weil etwas nicht opportun sei. Freilich, schränkt Alfermann ein, müsste der Beirat in einem solchen Fall eingreifen.

    Das könnte notwendig werden: In den 80er-Jahren beispielsweise finanzierte und betreute das Kölner Institut mit BMI-Geldern mehrere Studien westdeutscher Sportmediziner zur Testosteron-Anwendung. Liegen Akten zu den heiklen Forschungen dort im Archiv? Werden sie zur Verfügung gestellt? Fragen des Deutschlandfunks dazu wurden nicht beantwortet.

    Auch zu viel Vertrauen in den Sportdachverband scheint nicht angebracht: Der DOSB initiierte das Forschungsprojekt Mitte 2008, als er unter Dauerdruck stand - nach dem Streit um ein Antidoping-Gesetz und der Enthüllungslawine um die Freiburger Dopingärzte. Präsident Bach und Generaldirektor Vesper tragen es seither wie eine Monstranz vor sich her, mit der sich beinahe jede Kritik abschmettern lässt. Originellstes Beispiel: die Absolution ostdeutscher Dopingtrainer. Deren sogenannte Geständnisse wurden flugs als Teil des Forschungsprojektes gepriesen - dabei fielen sie weit zurück hinter historisch Verbrieftes.
    Von derlei Vorgaben müssen sich die Wissenschaftler aus Münster und Berlin zwar nicht beeindrucken lassen. Ihre Konzepte jedoch dürften Sportpolitiker und Funktionäre beruhigt haben. Um nur eins von zahlreichen grotesken Defiziten zu nennen: Kein einziger dürrer Hinweis findet sich zum Dirigismus, mit dem das Bundesinnenministerium ab Anfang der 90er-Jahre Fördergelder an internationale Medaillenerfolge knüpfte. Trugen Politik und Sportbürokratie mit anachronistischen Großmachtgelüsten dazu bei, Doping als Systemzwang zu etablieren? Solche Fragen werden nicht einmal ansatzweise gestellt.