Donnerstag, 25. April 2024

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500 Jahre Reformation
Luther und die Musik

Ob als Bild auf einer kitschigen Tasse, als Playmobil-Männchen oder in Comicform: Martin Luther ist im Jubiläumsjahr "500 Jahre Reformation" allgegenwärtig. Im Bereich der Musik beansprucht eine gerade herausgekommene Buch-CD "Luther und die Musik der Reformation" unter vergleichbaren Aufnahmen einen Spitzenplatz. Und das mit Recht.

Am Mikrofon: Rainer Baumgärtner | 15.01.2017
    Porträt des Reformators Martin Luther, Ölgemälde auf Holz von Lukas Cranach d.Ae., 1528. Das Bild hängt in der Lutherhalle in Wittenberg, dem grössten reformationsgeschichtlichen Museum der Welt.
    500 Jahre Reformation: Auch die Musik beschäftigt sich mit Martin Luther. (picture-alliance / dpa / Norbert Neetz)
    Das Jubiläum "500 Jahre Reformation", das 2017 hierzulande in großem Stil begangen wird, hat auch auf dem CD-Markt bereits Früchte getragen. Diverse Anthologien, Neuaufnahmen und Wiederveröffentlichungen sind bereits im Vorfeld des Gedenkjahres erschienen. Eine gerade herausgekommene Buch-CD des Labels Ricercar mit dem Ensemble Vox Luminis und dem Organisten Bart Jacobs beansprucht nun unter den vergleichbaren Aufnahmen einen Spitzenplatz. Und dank der Qualität von Programmauswahl und Vortrag dürfte die CD unter Leitung von Lionel Meunier auch im weiteren Jahresverlauf nur schwer von diesem Platz zu verdrängen sein.
    Melchior Franck, Ein feste Burg ist unser Gott à 5 (1631)
    "Ein feste Burg ist unser Gott" — Martin Luthers wirkungsmächtigstes Lied lieferte den Titel für die neue Doppel-CD des Ensembles Vox Luminis. Die fünfstimmige Fassung, die man aufnahm, stammt vom Coburger Melchior Franck und entstand 114 Jahre nach der Reformation. Der Erfolg der protestantischen Bewegung wäre ohne die Verbreitung des reformatorischen Gedankengutes im Kirchenlied kaum möglich gewesen. Die Menschen konnten die einfach gebauten Lieder leicht auswendig lernen und sie sangen sie dann gemeinsam in der Kirche oder bei anderen Gelegenheiten, zum Beispiel im Familienkreis.
    So wie viele Geistliche war auch Martin Luther musikalisch sehr bewandert, zudem hatte er Berater und Musikerfreunde. Gemeinsam zielten sie von Anfang an darauf hin, ein Repertoire von Chorälen in deutscher Sprache zu schaffen, das die Grundlage für den Gottesdienst bilden sollte. Dafür dichtete Luther selbst 35 Lieder, für die er oft auch die Melodie schuf.
    Etwa ein Drittel von Luthers eigenen Liedern hat Lionel Meunier mit seinem Ensemble bei der Neuproduktion berücksichtigt, zumeist in mehrstimmigen Vertonungen aus den 150 Jahren nach dem Beginn der Reformation. Bei den weiteren Werken handelt es sich um andere geistliche Werke protestantischer Komponisten aus derselben Zeit. Die Bandbreite der Besetzungen reicht dabei von Duetten mit Orgelbegleitung bis hin zu dreichörigen Werken mit zwölf Sängerinnen und Sängern.
    Sie hören nun die Sopranistinnen Zsuzsi Tóth und Kristen Witmer mit der ersten Strophe des Luther-Lieds 'Dies sind die heiligen zehn Gebot', in einer Fassung, die der Leipziger Thomaskantor Johann Hermann Schein im Jahr 1618 drucken ließ. Diesem Satz schließt sich die abschließende zwölfte Strophe des Chorals in der einstimmigen Version an, wie sie Johann Walter knapp hundert Jahre zuvor erstmals in seinem 'Geistlichen Gesangbüchlein' veröffentlicht hatte.
    //Johann Hermann Schein, Dies sind die heiligen zehn Gebot (v.1) für zwei Soprane und Basso continuo (Opella nova, 1618)
    Martin Luther, Dies sind die heiligen zehn Gebot (v.12)
    Polyphone Vertonungen und einstimmiger Gesang
    Auf der neuen Doppel-CD von Vox Luminis über "Luther und die Musik der Reformation" sind äußerst kunstvolle polyphone Vertonungen ebenso vertreten wie einstimmiger Gesang, der dem einer Kirchengemeinde ähnelt — dieser spielt aber nur eine kleine Nebenrolle. Die erste der beiden Platten ist nach dem Kirchenjahr geordnet. Hier kann man anhand der speziell dafür vorgesehenen Werke gut das Auf und Ab der Emotionen nachempfinden, wie sie die christlichen Feste im Laufe des Jahres vermitteln — vom Advent bis Trinitatis. Die zweite CD ist Aspekten des Gottesdienstes und des Glaubens gewidmet, wie den Sakramenten und dem Dogma, dazu eine frühe deutsche Passionsvertonung und Gesänge für die Totenfeier. Die Aufnahme gibt einen eindrucksvollen Überblick über die frühe protestantische Kirchenmusik gehobenen Anspruchs, wobei man immer wieder Bezüge zu den Schöpfungen Martin Luthers herstellt.
    Nicht weniger als 20 Komponisten sind insgesamt vertreten, von Luther und Johann Walter bis zu Heinrich Schütz und seinem Schüler Christoph Bernhard. Obwohl die Produktion Musik aus einem Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten umfasst, klingt sie wie aus einem Guss. Dies liegt daran, dass man sich auf Werke im Stile der Vokalpolyphonie nach franko-flämischem und venezianischem Vorbild beschränkte. Anders als in Konkurrenz-Aufnahmen zum Reformationsjahr wurde hier auch darauf verzichtet, die Gaumen der Konsumenten mit modernen Arrangements oder mit üppigen instrumentalen Anreicherungen zu 'kitzeln'. Lediglich eine Orgel für den Generalbass dient als Begleitinstrument. Diese Reduzierung auf das Wesentliche rückt — ganz im Sinne Luthers — das Wort in den Mittelpunkt und führt zu exzellenter Textverständlichkeit.
    Die Aufnahme macht deutlich, dass die frühen protestantischen Komponisten in Mittel- und Norddeutschland die Art von Kunstmusik fortführten, die in der katholischen Kirche üblich war. Und dazu verwendeten sie teilweise auch die lateinische Sprache weiter, die Sprache der Gebildeten. Thomas Selle, in Hamburg wirkender Schüler von Johann Hermann Schein, hat den Pfingsthymnus 'Veni Sancte Spiritus' für drei mit unterschiedlichen Stimmlagen besetzte Chöre vertont.
    Thomas Selle, Veni Sancte Spiritus à 12 (aus: Concertuum Latino-Sacrorum)
    Unterstreichung der großen Bedeutung
    Neben dem Vokalensemble Vox Luminis kommen auf der Neuveröffentlichung des Labels Ricercar drei Orgeln zum Einsatz, meist für den Generalbass. Sie illustrieren die große Bedeutung, die der orgelspielende Kantor von Anfang an in der evangelischen Kirche besaß. Neben einem kleinen Orgelpositiv sind auf den CDs zwei nach barocken Modellen gefertigte Kirchenorgeln zu hören, beide entstanden in der Werkstatt des belgischen Orgelbauers Dominique Thomas. Das zweimanualige Instrument in der Kirche Saint-Michel im wallonischen Gedinne, einem Instrument Gottfried Silbermanns nachempfunden, wurde für die Generalbassbegleitung verwendet.
    Der Brüsseler Organist Bart Jacobs hat aber auch neun Solo-Orgelwerke zur Anthologie beigesteuert, eingespielt auf der erst 2014 erbauten dreimanualigen Thomas-Orgel in der Kirche Saint-Vincent in Ciboure im französischen Baskenland. (In dieser Kirche wurde übrigens Maurice Ravel getauft.) Im Barock fand dank des geschützten Hafens der kleinen Stadt ein reger Handelsaustausch mit den Niederlanden statt, deshalb ließ man die neue Orgel in der Renaissancekirche mit ihren drei eindrucksvollen hölzernen Galerien nach holländischen Vorbildern um 1700 gestalten. Der Klang des Instruments harmoniert hervorragend mit den Aufnahmen von Vox Luminis.
    Paul Siefert, Puer natus in Bethlehem (Variationen für Orgel / Lynar-Slg.)
    Mit allen Hauptregistern und dem Zimbelstern spielte Bart Jacobs Variationen des Danziger Schütz-Zeitgenossen Paul Siefert über das Lied "Puer natus in Bethlehem".
    Das 2004 vom französischen Bassisten und ehemaligen Trompeter Lionel Meunier im belgischen Namur gegründete Vokalensemble Vox Luminis ist für fast alle seiner bisherigen Platten prämiert worden. Es gehört nicht viel prophetische Gabe dazu, dies auch für seine Neuveröffentlichung vorherzusagen. Mit seiner der Musik in der Nachfolge Luthers gewidmeten Doppel-CD ist der international besetzten Formation wieder ein großer Wurf gelungen! Vox Luminis vereint die Präzision britischer Solistenensembles mit der Wärme und Innigkeit der besten kontinentaleuropäischen Chöre. Die Musik atmet hier wunderbar, die Melodien dürfen ihre Schönheit in aller Pracht entfalten. Die exzellente Akustik trägt das ihre dazu bei, man merkt den Stücken weder an, dass sie in drei verschiedenen Kirchen aufgenommen wurden, noch machen sich die Räume mit zu viel Nachhall bemerkbar.
    Die im Taschenbuchformat erschienene Produktion weist auf 44 Seiten zudem zahlreiche Abbildungen, Essays über Luther und die Musik der Reformation sowie Informationen über die einzelnen Werke und ihre Komponisten auf. Einziger Schönheitsfehler der ganz in deutscher Sprache gehaltenen Ausgabe sind etliche Druckfehler und sprachliche Unsauberkeiten. Doch der Gesang ist wahrlich erhebend. Und daher sei die Buch-CD allen Liebhabern von barocker Musik und von vokalem Schönklang wärmstens ans Herz gelegt!
    Johann Walter, Wir glauben all an einen Gott à 6
    Dies war das Luther-Lied "Wir glauben all an einen Gott" in der sechsstimmigen Vertonung von Luthers musikalischem Verbündeten Johann Walter. Damit ging die Sendung 'Die Neue Platte' im Deutschlandfunk zu Ende, in der Sie heute Ausschnitte aus der Doppel-CD 'Ein feste Burg ist unser Gott. Luther und die Musik der Reformation' hören konnten. Die Aufnahme mit dem Ensemble Vox Luminis unter der Leitung von Lionel Meunier zusammen mit dem Organisten Bart Jacobs ist beim Label Ricercar erschienen, das in Deutschland von NOTE1 vertrieben wird.
    !!Ein feste Burg ist unser Gott
    Luther und die Musik der Reformation!!, Vox Luminis, Bart Jacobs, Orgel
    Leitung: Lionel Meunier