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"5000 Menschen mit fünf Broten sättigen - das ist ohne Zweifel göttlich"

In den ersten Augusttagen des Jahres 449 braute sich im christlichen Ephesus ein religiöser Aufruhr zwischen etwa 150 kirchlichen Würdenträgern zusammen. Zwischen ihnen entwickelte sich ein wahrer "Kirchenkrimi".

Von Peter Hertel | 03.08.2009
    Die "Räubersynode von Ephesus" war nicht nur ein Kirchenkrimi. Vor allem war sie eine Episode in einem Jahrhunderte langen Konflikt um christliche Grundpositionen. Allgemeine Kirchenversammlungen, Konzilien, formulierten seit 325 das Glaubensbekenntnis, das die Christen, obwohl längst getrennt, auch heute noch in ihren Gottesdiensten sprechen. Um dieses Credo wurde damals erbittert gekämpft. Dabei ging es nicht nur um den Glauben, sondern auch um politische Macht. Einblick in die Kirchengeschichte:

    "Das dritte der genannten Konzilien hatte anno 431 in Ephesus getagt. Einberufen hatte es Kaiser Theodosius II., um Aufruhr in seinem oströmischen, griechisch sprechenden, Imperium zu unterbinden. Denn Theologenschulen stritten heißblütig darum, wer Jesus, der christliche Religionsstifter, gewesen sei."

    Drei Positionen lagen im Widerstreit. An ihnen scheiden sich, das sei nebenbei vermerkt, auch heute noch die Geister innerhalb und außerhalb der Kirchen:

    "Erstens: Jesus ist Gott; zweitens: er ist ein Mensch; drittens: er ist Gott und Mensch zugleich."

    Das Konzil von Ephesus hatte anno 431 die Auffassung vertreten:

    "In einer Person ist Jesus Gott und Mensch zugleich."

    Damit hatte dieses Konzil, wie es schien, auch eine politische Friedensformel gefunden, die dem Kaiser und der öffentlichen Ruhe diente. Bis Patriarch Dioskur aus dem ägyptischen Alexandrien einen kirchenpolitischen Machtkampf begann, durch den er die beiden übrigen orientalischen Patriarchen von Konstantinopel und Antiochien - und damit auch den Papst von Rom - in die zweite Reihe zu schicken suchte. Am Kaiserhof zu Konstantinopel hatte er einen einflussreichen Parteigänger: den fast 70-jährigen Mönch Eutyches. Der lehrte, die Person Jesus sei zwar auch Mensch gewesen, aber ihr Menschsein sei belanglos:

    "Die menschliche Natur der Person Jesu ist in deren göttlicher Natur untergegangen wie ein Tropfen Wasser im endlosen Meer."

    Das ist Ketzerei, wetterte Flavian, Patriarch in der Kaiserstadt Konstantinopel. In Übereinkunft mit Papst Leo I. in Rom erreichte er, dass Eutyches aus der christlichen Kirche ausgeschlossen wurde, weil er das volle Menschsein Jesu leugne. Der jedoch konnte, gestützt durch Patriarch Dioskur und mithilfe von Intrigen im Kaiserpalast, die er selber inszenierte, Kaiser Theodosius für ein neues Konzil in Ephesus gewinnen. Die Leitung wurde Dioskur übertragen. Papst Leo war gegen dieses zweite Konzil in Ephesus. Denn es war klar, dass es Eutyches rehabilitieren und die Partei des Dioskur stärken werde. In einem Brief legte er dar, dass Jesus Gott und Mensch sei, beides ohne Einschränkung.

    "Hunger, Durst, Ermüdung und Schlaf sind offenbar menschlich. Wenn Jesus aber mit fünf Broten 5000 Menschen sättigt, wenn er auf dem Meer wandelt ohne unterzusinken, dann ist das ohne Zweifel göttlich."

    Das zweite Konzil von Ephesus begann Anfang August 449. Manche datieren die Eröffnung auf den dritten, andere auf den achten August. Als es Patriarch Flavian von Konstantinopel seines Amtes enthob und den Papst exkommunizierte, schleuderte der päpstliche Gesandte Hilarius auf Latein sein Veto in die Marienkirche von Ephesus:

    "Contradicitur!"

    Was bedeutete:

    "Abgelehnt!"

    Daraufhin ließ Patriarch Dioskur die Türen öffnen, und ein Rollkommando stürmte die Basilika: bewaffnete Soldaten, randalierende Mönche und ein lärmender Volkshaufen. Eine ägyptische Bruderschaft, die gewöhnlich Kranke pflegte und Tote begrub, knüppelte jeden Widerstand nieder. Patriarch Flavian, der sich versteckt hatte, wurde aufgestöbert, Patriarch Dioskur stürzte sich auf ihn, trampelnde Mönche misshandelten ihn so schwer, dass er drei Tage später auf dem Transport in die Verbannung starb. Dagegen konnte der römische Delegat Hilarius entkommen und dankte für die gelungene Flucht mit einer Inschrift, die heute noch in der römischen Laterankirche zu sehen ist. Als Papst Leo I. unterrichtet wurde, soll er auf Latein ausgerufen haben:

    "Non iudicium, sed latrocinium."

    Womit er zum Ausdruck brachte: dieses zweite Konzil von Ephesus habe für ihn kein gültiges Urteil gefällt, sondern sei dem Verbrechen der Straßenräuberei gleichzusetzen. Zwei Jahre später berief der neue Kaiser Marcian ein Konzil nach Chalcedon ein. Es kassierte die Beschlüsse von Ephesus und verbannte den Mönch Eutyches. Der Kirchenkrimi Ephesus war damit von der Liste der allgemein anerkannten christlichen Konzilien gestrichen und ging - gemäß dem polemischen Papstwort - als "Räubersynode von Ephesus" in die Geschichte ein.