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6.1.1254 - Vor 750 Jahren:

Märchenhaft klang es, was dieser Mann zu berichten hatte. Dem Mongolenherrscher Kublai Khan habe er gedient und in dessen Auftrag ganz China bereist, behauptete Marco Polo. Unermessliche Schätze wollte er gesehen haben, prachtvolle Paläste und andere, grandiose Bauwerke, die er voller Bewunderung schilderte. Über einen künstlichen Kanal, der die Stadt Hangzhou im Süden von China mit dem heutigen Peking verband, heißt es zum Beispiel in seinem Reisebericht:

Von Irene Meichsner | 06.01.2004
    Auf dem Quian werden viel mehr und auch kostba-rere und wertvollere Güter auf Frachtern befördert als auf allen christlichen Flüssen und Meeren zusammen. Ich sage Euch, ich habe ungefähr fünftausend Schiffe auf einmal gesehen, alle flott im Wasser.

    Fast scheint es, als hätten ihn selber Zweifel beschlichen, ob man ihm glauben würde. Aber auch ihm kam ja vieles befremdlich vor. Zum Beispiel die Gepflogenheiten von Mönchen, die er in Tibet getroffen hatte.

    Die Gebote verpflichten die Männer zu strenger Enthaltsamkeit. Es ist die reine Wahrheit: Ihr Lebtag essen sie nichts anderes als Kleie. Die Hülsen der Körner legen sie in heißes Wasser, lassen sie eine Weile darin und essen sie dann. Sie essen diese gewaschenen Hülsen ohne den gering-sten Geschmack nach Getreide.

    1271 hatte sich Marco Polo von seiner Heimatstadt Venedig aus auf den Weg gemacht, er war damals erst 17 Jahre alt. Er begleitete seinen Vater Nicolo und seinen Onkel Maffeo, zwei Kaufleute, die beide schon einmal in China gewesen waren. Die Reise führte, zu Fuß und zu Pferd, über das heutige Israel an den Persischen Golf und dann weiter nordwärts durch Persien nach Zentralasien.

    Vermutlich als erste Europäer überwanden die Polos das Pa-mir-Gebirge und durchquerten die Wüste Gobi. 1275 erreichten sie in Shangdu im Osten von China den Hof von Kublai Khan, einem Enkel von Dschingis Khan, der die wissbegieri-gen Europäer so sehr zu schätzen lernte, dass er sie nur ungern wieder ziehen ließ. Erst 1292 machten sie sich auf den Heimweg - als Eskorte einer mongolischen Prinzessin, die auf dem Seeweg nach Persien wollte. Von dort ging es nach Konstantinopel und 1295 zurück nach Venedig.
    Oder - stimmte die ganze Geschichte gar nicht?
    Marco Polo sei persönlich nie in China gewesen, sagen Skeptiker, alles sei eine Schilderung aus zweiter Hand, zu viel fehle, was er hätte wissen müssen, wenn er wirklich 17 Jahre lang am Hof des Chinesischen Kaisers gewesen wäre. Doch dem wird vehement widersprochen. Zwei Jahre lang reiste der amerikanische Fotograph Michael Yamashita auf Marco Polos Spuren kreuz und quer durch Asien. In einem Buch aus dem vorigen Jahr vergleicht er Bilder von heute mit Marco Polos Reisebericht. Oft waren es Details, die ihn davon überzeugten, dass Marco Polo alles, was er berichtete, auch mit eigenen Augen gesehen hatte. In der Provinz Yunnan stieß Yamashita zum Beispiel auf Essgewohnheiten, die, glaubt man Marco Polo, dort schon im Mittelalter gebräuchlich waren.

    Das Volk isst das rohe Fleisch von Hühnern, Schafen, Rindern und Büffeln. Sie hacken es sehr fein, geben es in gut gewürzte Knoblauchtunke und essen es so wie wir das gekochte.

    Manches, was offenkundig blühender Phantasie entsprang, könnte auch Rustichello da Pisa zuzuschreiben sein, dem Marco Polo von seiner Reise erzählt hatte. Die beiden trafen sich 1298 in einem Kerker. Marco Polo, der Venezianer, hatte sich einem Feldzug gegen die Stadt Genua angeschlos-sen und geriet dort für zwei Jahre in Gefangenschaft. Er bat da Pisa, seine Geschichte aufzuschreiben. Unter dem Titel "Il Milione", auf deutsch: "Die Wunder der Welt", fand das Buch rasche Verbreitung. Das Original ist verschollen. Doch eines steht fest. Marco Polo vermittelte dem mittelalterlichen Europa den ersten maßgeblichen Eindruck von den Ländern im Fernen Osten; nicht nur von China, sondern auch vom heutigen Thailand, von Japan, Java, Tibet, Indien und Burma.
    Der "Messer Milione", so Marco Polos Spitzname, den man ihm wegen des Vermögens gab, das er auf seiner Reise erworben hatte, prägte das Chinabild für Jahrhunderte. Seine Geschichte weckte nicht zuletzt das Interesse von Christoph Kolumbus, der - auf der Suche nach Indien - 1492 auf Amerika stieß.

    Manches hat Marco Polo seinen Zeitgenossen vielleicht sogar vorenthalten. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis war er nach Venedig zurückgekehrt, wo er - als hoch angesehener Bürger - vermutlich im Januar 1324 im Alter von 70 Jahren starb. Auf dem Totenbett soll er gesagt haben:

    Ich habe noch nicht einmal die Hälfte dessen niedergeschrieben, was ich gesehen habe.