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60 Jahre Fender Stratocaster
Die Stimme von Rock und Pop

Sollen Kinder eine E-Gitarre malen, malen sie: eine Fender Stratocaster. 1954 vom amerikanischen Instrumentenbauer Leo Fender entwickelt, steht sie wie kein anderes Instrument für die Rock- und Popmusik. Egal ob Jimi Hendrix, David Gilmour oder Eric Clapton - sie alle nutzten für ihre Hits diese Gitarre. Eine Würdigung zum 60.

Von Tim Schauen | 20.12.2014
    In einem Gitarrenständer stehen Elektrogitarren der Marke Fender Stratocaster in verschiedenen Pastelltönen
    Die Elektrogitarre als Ikone: verschiedene Fender Stratocaster in Pastelltönen (picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau)
    Ikone. Legende. Kult!
    "Ich glaube, wenn ich einen Außerirdischen sehen würde, und der würde mich fragen: "Ey, wie sieht's denn aus: Was ist eine E-Gitarre?" Dann würde ich ihm sagen: "Guck mal hier: Rosewood-Neck, Dreiton-Sunburst: Fender Strat. Na, also, das ist wirklich eine sehr, sehr oft gesehene E-Gitarre. Hat sich in jedes Hirn schon eingebrannt."
    1954 brachte Leo Fender, ein Instrumentenbauer aus Kalifornien, die Stratocaster heraus. Zuvor war schon seine Telecaster erschienen und einigermaßen erfolgreich. Dennoch war die Aufregung angesichts der "Schratt", wie der gemeine Musiker gewöhnlich sagt, groß, meint Dieter Roesberg, Chefredakteur der Fachzeitschrift Gitarre & Bass.
    "Ich glaube, als die rauskam, haben alle gesagt: Jetzt isser verrückt geworden. Die sah nämlich völlig utopisch aus. Die war unsymmetrisch, die hatte drei Tonabnehmer, das gab's vorher in der Form auch noch nicht, oder zumindest nicht bei solchen Gitarren, die hatte einen aufschraubbaren Hals, den man tauschen konnte, vor allem hatte sie ein ganz neues Vibrato drauf..."
    Zur revolutionären Form des asymmetrischen, flachen Korpus, der sich mit weichen Kanten an die Rippen des Spielers anschmiegt, kam durch drei einzeln anwählbare Tonabnehmer eine größere Klangvielfalt als bislang üblich. Und durch die an sich einfache Bauart - massiver Korpus aus Eschen- oder Erlenholz, angeschraubter Hals, und etwas Elektronik - war die Strat ein schnell und ohne großen Aufwand herstellbares Instrument. Doch bis zum Massenprodukt, bis zum Legendenstatus mussten noch einige Zufälle geschehen – es brauchte: early adopters.
    "Dann kam Buddy Holly"
    "Dann ist die auf den Markt gekommen, ist ein paar Jahre gelaufen, aber nicht so richtig, weil die Countryleute hatten sich auf die Telecaster eingeschossen... und dann kam Buddy Holly!"
    Teenager flippten aus, Eltern fuhren aus der Haut und hielten sich geschockt die Ohren zu, als sich aus dem gemütlichen Country der wilde Rock 'n' Roll entwickelte, vorne dabei: die Strat.
    "Buddy Holly war so der erste Fernsehstar, und der ist mit dieser Gitarre im Fernsehen aufgetreten, nationwide in Amerika, und dann fing die Strat an, das war so 57 rum. Was dazu geführt hat, dass alle Leute auf einmal so eine Strat haben wollten, die vielleicht vorher gar nicht so berühmt war."
    In Europa war Hank Marvin von den Shadows, der Begleitband von Cliff Richards, ein ganz früher Strat-Spieler, Ende der 50er Jahre. 1960 erschien der Song Apache – ein Instrumental mit dem typischen metallischen, unverzerrt und twangenden Strat-Ton.
    "Und alle anderen englischen Gitarristen haben Hank Marvin wieder als Vorbild genommen, also alle möglichen Leuten, wenn man Musiker fragt: Was war Dein Vorbild, die aus den 60er und 70ern, immer Hank Marvin. Und das war der nächste Schritt."
    Die Magie von Saitenvirtuosen
    Aus Musizieren wurde Musikbusiness, die Fender Strat das Handwerkszeug des Massenphänomens Rock. Doch für Magie braucht es das Schaffen von Magiern, von Saitenvirtuosen:
    Neben der Melodie sind es bloß ein paar Slides, Doublestops, die Powerchords G5 und F#5. Doch was Jimi Hendrix mit seiner weißen Stratocaster daraus machte, sollte die Dinge in den Himmel pushen.
    Hendrix hat es in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit geschafft, die Elektrogitarre auszudefinieren, mit seiner "orchestralen Gitarre" war spieltechnisch lange alles erzählt, daran hatten die E-Gitarrenjünger lange zu knabbern. Doch eine Strat ist längst nicht nur Rock und Blues, sondern sie ist auch Funk und Disco.
    "Hitmaker" heißt das Modell von Discofunklegende Nile Rodgers. Aber Strats sind auch hierfür verantwortlich:
    Country, Western, Disco, Iron Maiden
    Die Strat ist Vehikel der genreübergreifenden Pop-Industrie. Sie ist Gigant und Marktfaktor.
    "Das Verrückte ist: Leo Fender hat immer wieder an dieser Gitarre gebastelt, immer wieder versucht, es zu verändern, aber das beliebteste Instrument ist immer noch das von 1954, das war damals auf den Markt gebracht worden ist, quasi unverändert."
    Gut erhaltende Strats der ersten Baujahre ab 1954 sind die teuersten Gitarren der Welt. Doch ob authentisch alt oder "nur" nach 50er Jahre aussehend, ob unlackiert oder in pinker Glitzeroptik: Solange das Rad handgespielter Musik sich weiterdreht wird sich in jedem Proberaum, auf jeder Bühne, in jedem Studio eine Fender Stratocaster finden. Man kann ihr nicht entkommen. Warum sollte man auch?