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600 Jahre Konzil von Konstanz
Kirchliche Neuordnung und Scheiterhaufen für einen Reformer

Im Jahr 1414 begann das Konzil von Konstanz, in einer Zeit voller Tumulte. Mehrere Könige und Päpste stritten um die Deutungshoheit in Politik und Kirche. Der Kirchenreformer Jan Hus, der bereits ähnliche Ideen wie 100 Jahre später Martin Luther hatte, passte da nicht ins Konzept und wurde als Ketzer verbrannt.

Von Thomas Klatt | 21.01.2014
    Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil
    Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil (dpa / picture alliance)
    1414 begann das Konzil von Konstanz, das bis 1418 tagte. Teilnehmer aus ganz Europa waren vertreten. Die Politik war aus den Fugen geraten. Drei deutsche Könige stritten um die Macht, drei Päpste beanspruchten gleichzeitig die Führung der Kirche. Und der Kirchenreformer Jan Hus aus Böhmen wurde 1415 auf dem Konzil als Ketzer verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
    Im Badischen Museum Karlsruhe wird es ab April 2014 eine Ausstellung über das Konstanzer Konzil geben.
    "Die Fixierung auf Hus ist eine Entscheidung post festum, ein protestantischer Mythos. Er war in gewisser Weise ein Randereignis."
    Der Berliner Historiker und Reformationsexperte Heinz Schilling will das Konzil von Konstanz ins rechte Licht setzen. In den vier Jahren 1414-1418 ging es gar nicht zentral um den böhmischen Theologen Jan Hus.
    "Es war ja nicht nur, dass drei Päpste da waren. 1410 hat es auch drei deutsche Könige gegeben, den Wenzel, der abgesetzt war, das aber nicht anerkannte, ein Vertreter der Seitenlinie der Habsburger Jobst von Mähren und schließlich Sigismund, der sich erst befestigen musste. Also Europa war in einer großen Krise."
    Es ging um nichts weniger als die komplette Neuordnung Europas. Denn nicht nur dass es drei konkurrierende deutsche Könige gab. Bereits seit 1378 bestand das sogenannte Abendländische Schisma. Drei Päpste, Johannes der XXIII., Gregor der XII. und Benedikt XIII. stritten gleichzeitig um die Führung in der Kirche. Europa war zu Beginn des Konzils fast 30 Jahre schon in der Führungskrise. König Sigismund schaffte es schließlich, die zerstrittenen Parteien am Bodensee zu versammeln. Harald Siebenmorgen, Direktor des Badischen Landesmuseums Karlsruhe:
    "Das wichtigste Ergebnis war aber, was gar nicht Ziel des Konzils war, der kulturelle Austausch, über Jahre hinweg über 70.000 Teilnehmer über alle Grenzen hinweg, von Kiew bis Lissabon, von Upsala, sogar eine orthodoxe Delegation aus Konstantinopel, die auch die kirchliche Einheit wieder herstellen wollte, aber vor allem der sogenannten nationes, die am Ende dann auch die Papstwahl durchführten, Italiener, Deutsche, Franzosen, Engländer und Spanier."
    Ein strategischer Schachzug. Damit der neue Papst nicht durch die übergroße Macht der anwesenden Italiener gewählt wurde, zählte man nicht nach Köpfen, sondern nach Nationen. In der Geschichte der christlichen Kirche war es das erste Konzil überhaupt nördlich der Alpen. Und es war das erste und einzige Mal, dass auf deutschem Boden ein Papst gewählt wurde. Der Historiker Heinz Schilling.
    Ein Störenfried im Hoheitskampf der Mächtigen
    "Europa zerfiel in so genannte Obödienzien. Spanien, das war ja die große Leistung von Sigismund, dass er Spanien dazu brachte von ihrem Papst, also die spanischen Reiche, es war ja noch nicht das neuzeitliche Spanien, abzurücken, um die Vereinigung wieder in einem Oberhaupt zu finden. Dass wieder ein einheitliches Europa möglich war. Weltereignis Mittelalter, das stimmt, aber nicht von Hus her, sondern von der europäischen Einheit her."
    "Das Schisma vermochte das Konzil zu beseitigen, indem es die drei konkurrierenden Päpste absetzte und einen neuen Papst Martin V., der übrigens der Chefankläger gegen Hus gewesen ist, und nach seiner Wahl zum Papst noch schnell über Nacht zum Priester und zum Bischof geweiht werden musste, damit er dann zum Papst gekrönt werden konnte."
    Ergänzt der badische Museumsdirektor Harald Siebenmorgen. Das war im dritten Jahr des Konzils 1417. Zu diesem Zeitpunkt war ein anderes Problem schon längst gelöst. Denn zum Konzil reiste auch ein Theologe an, der die europäische Welt auf eine ganz und gar andere Weise neu ordnen wollte. Jan Hus, etwa 1370 in Böhmen geboren, studierte in Prag Theologie, wurde zum Priester geweiht und schließlich zum Professor und Dekan der Universität Prag ernannt.
    "In seinen Predigten und in der Messe verwendete er die tschechische Landessprache. Beeinflusst von dem englischen Reformator John Wicliff verurteilte er nicht nur den Reichtum und die weltliche Macht der Amtskirche, sondern wetterte gegen den Zeitgeist, gegen Luxus und Mode, womit er sich schon in Prag die Feindschaft der Prager Goldschmiede, Schuh- und Hutmacher, der Wirte und der Weinhändler zuzog, aber auch zahlreiche Anhänger in der tschechischen Bevölkerung und auch im niederen deutschen Adel, der in Böhmen ansässig war, gefunden hatte."
    Hus wollte die Gleichheit aller Kleriker ohne Hierarchie. Er stand für Gewissensfreiheit eines jeden einzelnen ein. Und er wollte Kommunion für alle in beiderlei Gestalt, Brot und Wein. Jan Hus setzte sich für die tschechische Nationalsprache und die Bildung ein. Rudolf Jindrak, tschechischer Botschafter in Berlin:
    "Im böhmischen Königreich verbesserte sich die allgemeine Kenntnis der liturgischen Texte auch bei den Ärmsten. Der Papst damals beklagte sich sogar, dass jede Hussiten-Frau die Bibel besser kennt als viele Priester."
    Bis heute ist Hus einer der tschechischen Nationalhelden. An seiner Person macht sich bis heute so etwas wie nationale Identität fest.
    Bis heute ein tschechischer Nationalheld
    "Seit der ersten tschechischen Republik stehen Worte von Johannes Hus auf der Präsidentenstandarte, die über der Burg Prags dem Hradschin wehen: Wahrheit siegt."
    Hus sollte auf dem Konzil widerrufen. Dafür sagte ihm König Sigismund freies Geleit zu. Doch Hus geriet sozusagen zwischen die kirchlichen Mühlen und landete schließlich zusammen mit seinem Glaubensbruder Hieronymus von Prag auf dem Scheiterhaufen. Harald Siebenmorgen:
    "Die causa fidei. Drei Wochen nach seinem Eintreffen in Konstanz wurde Hus vor allem auf Betreiben des einen der drei konkurrierenden Päpste, Johannes XXIII., keine Verwechslung, der wurde wieder aus der Papstliste gestrichen, deswegen konnte der Name im 20. Jahrhundert noch mal vergeben werden, auf dessen Betreiben verhaftet. 45, später 30 seiner vorgeblichen Irrlehren wurden ihm vorgelegt und er wurde schließlich wegen der 'Verführung des christlichen Volkes' am 6. Juli 1415 von der Kirche, die sich die Finger nicht schmutzig und kein Blut an ihren Händen haben wollte, an die weltliche Obrigkeit zur Hinrichtung übergeben."
    Hus selbst soll noch kurz vor seinem Tode verkündet haben, dass er nur eine Gans sei, nach ihm aber käme ein viel schönerer Schwan. Eine prophetische Vision, die die Protestanten 100 Jahre später auf den Wittenberger Reformator Martin Luther übertrugen. Die evangelische Theologin Margot Käßmann:
    "Die Gedanken von Jan Hus sind ganz stark die, die später dann Martin Luther angetrieben haben. Gewissensfreiheit, Rückbesinnung auf die Bibel, Volkssprache, Kritik an der eigenen Kirche, wie er sie vorgefunden hat. Hätte Jan Hus das freie Geleit bekommen, das ihm versprochen war, wie es Luther dann auch versprochen wurde, und hätte er einen Friedrich den Weisen gehabt, der die Hand über ihn hält, hätte er Fürsten gehabt, die ihn schützen, vielleicht wäre das dann die Reformation gewesen. Hus und Luther können theologisch auf eine Stufe gesetzt werden, aber die politischen Bedingungen waren für Luther 100 Jahre später andere."
    Nur Hus und Luthers Theologie in eins zu setzen, wenn auch mit 100 Jahren Abstand, hält der Historiker Heinz Schilling dann doch für zu kurz gegriffen. Denn Luther wollte niemals so etwas wie eine sächsische Nationalkirche gründen.
    "Es ist ein Unterschied in der Theologie. Das Zentrum bei Hus ist die Ekklesiologie in Richtung auf eine tschechische Nationalkirche. Der Aufbruch im kirchlichen Bereich wie im weltlichen. Bei Luther ist doch die Theologie etwas anders verankert. Die Rechtfertigungslehre, die finden Sie bei Hus in derselben Weise nicht. Und das ist ein Grund dafür, dass Luther eine universalistische Reformation möglich macht, die weit über nationale Grenzen hinausgehen. Die Frage nach dem persönlichen Seelenheil war eine, die jede nationale Grenze sprengte."