Dienstag, 19. März 2024

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70 Jahre Flüchtlingskonvention
Kuffer: Die Hilfsbereitschaft zu überfordern, gefährdet das Asylrecht

Deutschland halte das Asylrecht hoch, sagte CSU-Politiker Michael Kuffer im Dlf. Davon zu trennen sei jedoch die Frage der Migration. In der Asylfrage brauche es eine europäische Lösung und eine Neuauflage des gemeinsamen europäischen Asylsystems.

Michael Kuffer im Gespräch mit Josephine Schulz | 28.07.2021
Michael Kuffer (CDU), Bundestagsabgeordneter, spricht im Deutschen Bundestag.
In Deutschland sei eine enorme Hilfsbereitschaft der Menschen im Hinblick auf die Flüchtlingskonvention zu erleben – so Michael Kuffer (picture alliance / Lisa Ducret)
Die Genfer Flüchtlingskonvention ist die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. Vor 70 Jahren, am 28.07.1951, wurde das "Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge" am europäischen Hauptsitz der UN in Genf verabschiedet. Drei Jahre später trat sie in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland war einer der ersten Unterzeichner.
Die Flüchtlingskonvention definiert den Begriff Flüchtling als "eine Person, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt". Menschenrechtsorganisationen haben zum 70. Jahrestag vor einer Aufweichung der Flüchtlingskonvention gewarnt. Derzeit sind mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht. Es sind Binnenflüchtlinge, Flüchtlinge und Asylsuchende.
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Michael Kuffer ist Innenexperte der CSU. Deutschland halte das Asylrecht hoch und verteidige es, sagte er im Deutschlandfunk. Davon zu trennen sei jedoch die Frage der Migration und dass der Anspruch von Menschen, die zuwandern wollen, berechtigt sei.
Die Situation an den EU-Außengrenzen sei unbefriedigend, betonte Michael Kuffer. Ein ganz wichtiger Punkt sei daher eine europäische Lösung in der Asylfrage und eine Neuauflage des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Einen deutschen Alleingang könne es nicht geben, weil der eine europäische Lösung eher gefährden würde als sie zu fördern. Der Prozess müsse in Europa zu Ende gebracht werden und auf dem Weg müssten alle, die es angeht, auch mitgenommen werden.

Das Interview im Wortlaut:
Schulz: Herr Kuffer, würden Sie sagen, dass Deutschland dieser Konvention uneingeschränkt gerecht wird?
Kuffer: Selbstverständlich. Sie wissen, dass wir (und nicht erst seit 2015, auch davor) uns immer sehr angestrengt haben, dass wir eine enorme Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland erleben. Und ich glaube, dass das, was Deutschland gemacht hat und macht, sicher vorbildlich ist. Aber natürlich hat es auch Grenzen. Auch die sind wichtig, um die Hilfsbereitschaft und auch das Funktionieren dieses Modells, das die Genfer Flüchtlingskonvention anlegt, weiterhin sicherstellen zu können.

Asylrecht trennen von der "Frage der Migration"

Schulz: Aber wenn man sich jetzt die Situation an den Außengrenzen der EU, auf Lesbos, auf dem Balkan anguckt, die vielen Toten im Mittelmeer, die Zurückweisung an der EU-Außengrenze, dann sieht das ja nicht so aus, als würde Europa besonders viel auf Menschenrechte von Schutzsuchenden geben.
Kuffer: Sie haben ja zunächst mal Deutschland angesprochen.
Schulz: Aber Deutschland ist ein wichtiger Teil der EU.
Kuffer: Ja! Es ist auch unbestritten, dass die Situation an den EU-Außengrenzen unbefriedigend ist und dass eine europäische Lösung in der Asylfrage und eine Neuauflage des gemeinsamen europäischen Asylsystems ein ganz wichtiger Punkt wäre und das wir da bisher das Nötige nicht erreichen konnten. Das hat verschiedene Gründe, aber das ist unbestritten so.
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Schulz: Aber Deutschland treibt doch diese Abschottungspolitik der EU ganz maßgeblich mit voran. Gerade Deutschland hat zum Beispiel das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei vorangetrieben.
Kuffer: Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass Deutschland die Abschottung betreibt. Was wir immer gesagt haben ist, dass wir in der Not helfen, dass wir das Asylrecht hochhalten und verteidigen und dass davon zu trennen ist die Frage der Migration, dass auch der Anspruch von Menschen, die zu uns zuwandern wollen, berechtigt ist, aber dass das ganz anderen Maßstäben folgt. Das eine ist Hilfe in der Not nach dem Maß der Not. Das ist dort der Maßstab. Und das andere in der Frage der Zuwanderung ist die Frage, was unseren Interessen dient. Das ist das ausschließliche Kriterium bei der Frage der Zuwanderung: Was dient unseren Interessen? – Die zwei Sachen muss man sauber voneinander abgrenzen und diese Abgrenzung, so leid es mir tut, muss natürlich auch an den Grenzen gewährleistet werden. Die Grenzen haben genau diese Abgrenzungsfunktion, die Dinge auch voneinander sauber zu trennen. Wir dürfen das nicht alles in einen Topf werfen.
Schulz: Die Lager auf Lesbos haben genau diese Funktion? Das ist gut, was da passiert?
Kuffer: Nein! Ich habe es doch gerade gesagt. Das ist jetzt auch, finde ich, ein bisschen unsauber, was Sie jetzt gerade machen. Ich habe doch gerade gesagt: Die Situation auf Lesbos ist doch nicht so, dass wir das gutheißen. Nur trotzdem bleibt es richtig – und vielleicht wäre das auch gerade ein Beitrag dazu -, dass sich der Zustrom in solche Lager auf Dauer verändert, dass wir den Menschen sagen, macht euch auf den Weg, wenn ihr eine Perspektive habt, und macht euch bitte nicht auf den Weg, wenn wir euch keine Perspektive bieten können. Man muss doch auch mit den Menschen ehrlich umgehen. Wir können doch nicht in die ganze Welt das Signal senden, kommt nur alle her, und wenn die Menschen bei uns sind oder dann in Lesbos im Lager festsitzen, müssen wir ihnen sagen, ist leider nicht eingetreten. Das gehört doch auch dazu. Wir helfen in der Not, aber wir können nicht unbegrenzte Zuwanderung aus anderen Gründen für euch gewährleisten.
Schulz: Aber dieses Signal sendet ja Deutschland und die EU gar nicht. Deutschland war ja auch das Land, was nach 2015 die Asylregeln massiv verschärft hat, eine Obergrenze eingeführt hat. Da kann man ja schon sagen, die Aufnahmebereitschaft, die vielleicht erst signalisiert wurde, hat sich dann schnell ins Gegenteil verkehrt.

Hilfsbereitschaft zu überfordern "gefährdet das Asylrecht"

Kuffer: Aber gerade die Obergrenze ist doch ein Beleg oder ein Beispiel für das, was ich Ihnen sage. Die Zahl derer, deren Asylgesuch tatsächlich Aussicht auf Erfolg hat, liegt doch weit unterhalb dieser 200.000. Das heißt, die 200.000er-Grenze ist doch keine Grenze, mit der wir das Asylrecht beschneiden wollen, sondern die 200.000er-Grenze ist genau das, zu sagen, in der Frage der Migration gelten andere Maßstäbe, und da haben wir auch Grenzen. Und wenn wir die überschreiten, dann legen wir die Axt ans Asylrecht und tun nichts fürs Asylrecht. Das ist doch das Entscheidende. Wenn wir die Hilfsbereitschaft überfordern, wenn wir unter dem Deckmantel Asyl alles zulassen, was mit Asyl gar nichts zu tun hat, gefährden wir das Asylrecht und fördern es nicht.
Schulz: Aber das wird doch gar nicht getan. Die Anträge werden doch alle geprüft.
Kuffer: Ja, schon! Aber für viele Anträge ist die Bundesrepublik Deutschland gar nicht zuständig nach den Regeln, die wir in Europa haben, und das sind jedes Jahr ungefähr 60.000 Fälle, und um die haben sich die Diskussionen auch in den vergangenen Jahren gedreht. Hier haben wir erheblich nachgeschärft und das ist auch richtig so.
Schulz: Aber das könnte man ja auch problematisieren. Sie sagen jetzt, für viele Fälle sind dann die Länder an den Außengrenzen zuständig.
Kuffer: Ja.

Deutscher Alleingang würde "europäische Lösungen gefährden"

Schulz: Nun ist es so: Nach Deutschland schafft es im Grunde kaum noch jemand, weil die Menschen in Ländern wie Griechenland stranden. Macht sich da Deutschland vielleicht auch ein bisschen einen schlanken Fuß und überlässt die Probleme anderen?
Kuffer: Na ja. Wenn Sie schauen, was in der Seenotrettung geleistet wird, bei der Aufnahme von aus Seenot geretteten Personen. Wenn Sie schauen, wie sich unser Bundesinnenminister in Europa bemüht, pausenlos um eine europäische Lösung. Aber es bleibt dabei: Es kann an der Stelle nicht den deutschen Alleingang geben, weil der eine europäische Lösung eher gefährden würde als sie fördern. Wir haben unterschiedliche Interessenlagen in Europa. Wir haben unterschiedliche Sichtweisen aufs Problem. Und es hilft einfach nichts: Wir müssen in Europa diesen Prozess zu Ende bringen und auf dem Weg alle, die es angeht, auch mitnehmen. Dazu gibt es keine Alternative. Das heißt aber natürlich, dass wir für die Lage in Lesbos und an den EU-Außengrenzen Lösungen brauchen, beispielsweise was die Ausschöpfungsplattformen auf dem afrikanischen Kontinent betrifft, oder wie auch immer man das dort bezeichnen will. Wir müssen, möglichst bevor sich die Menschen auf den Weg, auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen, ihnen eine Perspektive geben können zu sagen, ja, ihr habt hier eine Chance auf ein Asylrecht, oder ihr habt keine, macht euch besser gar nicht auf den Weg.
Demonstranten fordern unter dem Motto EU-Asylpakt stoppen Geflüchtete auf Lesbos schützen gemeinsam mit der Aktion SEEBRÜCKE die Evakuierung griechischer Lager und eine menschenwürdige Unterbringung für alle Geflüchteten. snapshot-photography/xK.M.Krause *** Demonstrators demand under the slogan EU Asylum Pact stop refugees on Lesbos protect together with the action SEEBRÜCKE the evacuation of Greek camps and a humane accommodation for all refugees snapshot photography xK M Krause
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Schulz: Viele Flüchtlingsorganisationen und auch die UN fordern ja, dass es dafür zum Beispiel legale Routen geben müsste auch nach Deutschland. Die gibt es nicht und ich habe jetzt auch noch nicht mitbekommen, dass sich die Bundesregierung dafür stark macht.
Kuffer: Wofür soll es legale Routen geben nach Deutschland?
Schulz: Dass man zum Beispiel über Resettlement-Programme viel mehr Leute direkt aus Afrika, aus dem Nahen Osten aufnimmt.
Kuffer: Welche? – Welche, die ein Asylrecht haben, oder die zu uns zuwandern wollen? Was vertreten Sie da jetzt?
Schulz: Leute, die verfolgt werden, die ein Asylrecht haben.
Kuffer: Dafür haben wir in Europa ja Regeln und wir haben dazu die Dublin-Abkommen und dazu gibt es Zuständigkeitsregelungen. Und die können wir doch als Bundesrepublik Deutschland nicht einfach außer Kraft setzen – jedenfalls dann nicht, wenn wir nicht Vertrauen bei den europäischen Partnern verspielen wollen. Das ist doch genau der Punkt!

Nicht jede Abschiebung nach Afghanistan "unmöglich"

Schulz: Ich würde gerne noch kurz mit Ihnen auf die Lage zurzeit in Afghanistan gucken. Wir sehen, wie die Taliban dort wieder weite Landesteile übernehmen und die Gewalt immer mehr zunimmt. Trotzdem schiebt Deutschland Menschen dorthin ab. Wie lässt sich das rechtfertigen?
Kuffer: Wir haben eine besorgniserregende Entwicklung in Afghanistan. Wir können aber trotzdem heute noch nicht sagen, dass es in Afghanistan generell so ist, dass jede Abschiebung dorthin unmöglich ist. Und es bleibt immer ein Ausgleich zwischen beispielsweise Sicherheitsinteressen unseres Landes und den Rechten der Geflüchteten. Aber Sie müssen sich überlegen: Wenn wir jemanden abschieben, dann haben wir auch erkannt, dass er keinen Asylgrund hat, dass kein Asylanspruch besteht, und dann muss der Aufenthalt auch irgendwann beendet werden, außer es stehen so gewichtige humanitäre Gründe dagegen, und zwar im ganzen Land, dass man wirklich sagen kann …
Schulz: Und die Gründe, dass die Taliban vor Ort jetzt morden und gewalttätig vorgehen, das sind keine schwerwiegenden Gründe?
Kuffer: Das sind schwerwiegende Gründe, selbstverständlich. Aber die Frage ist, wo ist die Situation in Afghanistan wie. Wir haben da momentan eine dynamische Entwicklung, die man auch mit Sorge sehen muss. Aber trotzdem können wir heute noch nicht für ganz Afghanistan eine derart pauschale Aussage treffen, und darum geht es. Es geht ja nicht darum, dass wir sagen, wir schieben grundsätzlich nach Afghanistan ab, sondern es ist so, dass das BAMF eine Einzelfallentscheidung nach Einzelfallprüfung treffen soll – übrigens genau wie in Syrien. Da kann man ja auch nicht davon sprechen, dass in diesem Land alles in Butter ist, und genau deshalb macht das BAMF eine Einzelfallentscheidung und darum geht es auch in Afghanistan.
Schulz: Viele gehen jetzt davon aus, dass die Fluchtbewegungen aus Afghanistan massiv zunehmen werden in der nächsten Zeit. Österreichs Kanzler Kurz hat schon gesagt, er setzt auf mehr Abschiebung und darauf, dass die Menschen in den Ländern, in der Region bleiben sollen. Wie bereitet sich Deutschland darauf vor, mit Bitte um eine kurze Antwort?
Kuffer: Ich denke, dass wir das differenzierter sehen. Wir werden die Mittel, die uns die internationale Politik gibt, natürlich als Deutschland, als Bundesrepublik Deutschland ausschöpfen, und wir werden die humanitäre Lage im Blick halten und wir werden da unseren Beitrag leisten. Das ist doch völlig klar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.