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70 Jahre Volksrepublik China
Maos umstrittenes Erbe

Nach einen blutigen Bürgerkrieg rief Mao Zedong am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik aus. Der Diktator wollte Chinas wirtschaftliche Misere beenden, eine Hungersnot mit Millionen von Toten war die Folge. Seine Herrschaft war geprägt von Terror und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Von Benjamin Eyssel | 01.10.2019
    Schwarz-weiß-Archiv-Aufnahme vom 1. Okotber 1949, Großaufnahme vom Tienanmen-Platz, viele Menschen haben sich versammelt, als Mao Zedong die Volksrepublik China ausruft
    Mao Zedong ruft auf dem Tiananmen-Platz, dem Platz am "Tor des Himmlischen Friedens", vor tausenden Soldaten der sogenannten Volksbefreiungsarmee und vielen Schaulustigen die Volksrepublik China aus (dpa / World History Archive / Cover Images)
    Peking, am 1. Oktober 1949. China hat viele blutige Jahre hinter sich. Den Krieg gegen die Japaner – und zuletzt den Bürgerkrieg gegen die Truppen von Chiang Kai-shek. In einem mühsamen Kampf haben die Kommunisten um Mao Zedong den Nationalisten um Chiang Kai-shek die Macht entrissen. Der Kuomintang-General und seine Gefolgsleute zogen sich auf die Insel Taiwan zurück.
    Auf dem Tiananmen-Platz, dem Platz am "Tor des Himmlischen Friedens", haben sich an diesem Tag tausende Soldaten der sogenannten Volksbefreiungsarmee und viele Schaulustige versammelt, als Mao die Volksrepublik ausruft und Peking zur neuen Hauptstadt erklärt: "Die Volksrepublik China und die Regierung des Volkes sind heute gegründet worden." Seine Rede ist der Grundstein der bis heute währenden Macht der Kommunisten in China.
    "Jahrzehnte unter Mao sind geprägt vom Verschwinden von zig Millionen Menschen"
    Mao beendet jahrhundertelange Fremdherrschaft, Kolonialismus, Demütigung - so zumindest das Narrativ der Kommunistischen Partei, erklärt der Historiker Frank Dikötter von der Universität Hongkong:
    "Alles bis 1949 war schrecklich. Die Menschen wurden mit Opium vergiftet, von Imperialmächten überfallen und wirtschaftlich ausgehungert. Gott sei Dank kam die Kommunistische Partei und hisste die rote Flagge über dem Tiananmen-Platz." Diktator Mao will die Revolution. Mit dem "Großen Sprung nach vorn" Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre soll der wirtschaftliche Anschluss an den Westen gelingen. Er gelingt nicht. Im Gegenteil. Die Wirtschaft Chinas wird um Jahre zurückgeworfen. Hunderttausende Menschen sterben – vor allem an Hunger.
    Chinesischer Staatsmannes Mao Zedong
    Bis heute ziert das Antlitz von Mao Zedong jeden Geldschein in der Volksrepublik. Auf dem Tiananmen-Platz prangt ein großes Portrait (picture-alliance / dpa)
    Es folgen weitere Kampagnen, darunter die "Große Proletarische Kulturrevolution" von 1966 bis 1976. Das Land wird erneut auf den Kopf gestellt. Schüler lynchen Lehrer. Kinder verraten ihre Eltern. Alle Universitäten des Landes sind für mehrere Jahre geschlossen. Bildung zählt nichts mehr. Keiner kann dem anderen mehr vertrauen:
    "Die Jahrzehnte unter Mao sind geprägt vom Verschwinden von zig Millionen Menschen, sie sind verhungert, totgeschlagen oder vernachlässigt worden", erläutert Dikötter. "Doch diese Jahrzehnte werden in der Geschichte, so wie China sie erzählt, einfach nur als Übergangszeit beschrieben." Der ökonomische Aufschwung und die langsame Öffnung Chinas kommen erst nach Maos Tod 1976 – unter der Führung Deng Xiaopings.
    Bis heute hört man in China – auch von offizieller Seite - immer wieder: 30 Prozent von dem, was Mao gemacht habe, seien schlecht gewesen, 70 Prozent dagegen gut. Eine Aufarbeitung der Zeit seiner Herrschaft hat nie stattgefunden.
    "Die beste Propaganda-Masche der Neuzeit"
    Von Vielem, was unter dem "Großen Vorsitzenden" geschah, hat sich das Land gesellschaftlich bis heute nicht erholt. Die Staats- und Parteiführung schmückt sich gerne mit dem Abbau der Armut. Doch viele Millionen Menschen wurden erst durch Maos rücksichtslose Politik, durch wirtschaftliches Missmanagement und einen radikalen Umbau der Landwirtschaft in Hunger und Elend gestürzt.
    "Es handelt sich hier um die beste Propaganda-Masche der Neuzeit. Ein ganzes Land schafft es, so zu tun, als habe die Geschichte erst 1978/79 begonnen – nach dem Tod Maos. Keines der Verbrechen gegen die Menschlichkeit spielt irgendeine Rolle", sagt Dikötter. Im Gegenteil, es gibt einen regelrechten Kult um Mao. Bis heute ziert sein Antlitz jeden Geldschein in der Volksrepublik. Auf dem Tiananmen-Platz prangt ein großes Portrait. Tausende besuchen täglich das Mausoleum und bestaunen den einbalsamierten Leichnam.
    Ein-Parteien-Diktatur Teil des chinesischen Erfolgmodells
    Unter dem derzeitigen Staats- und Parteichef Xi Jinping – seit 2013 an der Macht – ist dieser Personenkult um Mao noch einmal größer geworden. Viele sehen Parallelen zwischen Xi und Mao. Die Zensur ist so strikt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Menschenrechtslage hat sich weiter verschlechtert. Xi Jinping hat außerdem die zeitliche Begrenzung für das Amt des Staatschefs abgeschafft und selbst einen Personenkult um sich geschaffen. Er ist so mächtig wie kein anderer chinesischer Staatsführer seit Mao Zedong.
    Der Pekinger Politologe Wu Qiang erklärt: "Xi Jinping sieht sich selbst als erfolgreichen Vertreter der 70-jährigen Herrschaft der Kommunistischen Partei und glaubt, dass dieses Erfolgsmodell auf der ganzen Welt verbreitet werden kann, als universelles Modell."
    China ist mittlerweile die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und spielt auch politisch und militärisch ganz vorne mit. Dass die Volksrepublik noch immer eine Ein-Parteien-Diktatur ist, ist Teil ihres Erfolgsmodells.