Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

75. Geburtstag
Irvings Erfolgsrezept

John Irving beginnt beim Schreiben seiner Romane mit dem letzten Satz. Seit 48 Jahren ist der Autor von Büchern wie "Gottes Werk und Teufels Beitrag" oder "Garp und wie er die Welt sah" damit erfolgreich. Immer wieder wird sein Werk allerdings auch als oberflächlich kritisiert.

Von Rolf Büllmann | 02.03.2017
    US-Schriftsteller John Irving in Berlin
    Der amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor John Irving (picture alliance/ dpa/ Karlheinz Schindler)
    Um sich zu vergegenwärtigen, wie außergewöhnlich die Karriere von John Irving ist, muss man sich das Jahr 1968 in Erinnerung rufen. Die USA führen Krieg in Vietnam, in der Bundesrepublik gehen die Studenten auf die Straße, der Prager Frühling wird von Panzern niedergewalzt, die DDR gibt sich eine neue Verfassung als ausdrücklich sozialistischer Staat. In diesem Jahr - buchstäblich in einer völlig anderen Welt also - veröffentlicht John Irving sein erstes Buch "Lasst die Bären los", und legt damit den Grundstein für seine lange erfolgreiche Schriftsteller-Karriere - die noch lange nicht vorbei sein soll, wenn es nach Irving geht.
    Er könne sich schlichtweg nicht vorstellen, zu leben ohne zu schreiben, ohne der Architekt einer Geschichte zu sein, sagt Irving. Seine Arbeitsweise ist dabei immer gleich:
    "Ich fange nie an, einen Roman zu schreiben, bis ich den letzten Satz weiß. Wenn ich den weiß, mache ich einen Plan zurück dorthin, von wo aus der Roman anfangen soll."
    Der Dickens der Gegenwart
    Ungewöhnlich, aber erfolgreich. Irvings Romane haben sich millionenfach verkauft, in Dutzenden Sprachen. Kritiker nennen ihn den Dickens der Gegenwart, seine Bücher - darunter Bestseller wie "Garp und wie er die Welt sah", "Gottes Werk und Teufels Beitrag" und "Owen Meany". Sie verbinden eine fast schon journalistisch genaue Beobachtungsgabe mit überbordender Fantasie.
    Dabei sind seine Bücher oft durch wiederkehrende Motive verbunden: Charaktere, die durch tragische Verluste geprägt sind; Neuengland als Ort des Geschehens - am Anfang seiner Karriere auch immer wieder Wien, wo er studiert hat; Sport, bevorzugt das Ringen, und alle möglichen sexuellen Spielarten, die das menschliche Zusammenleben so mit sich bringt.
    So farbenfroh, bewegend und einprägsam seine Bücher sind, war es nur eine Frage der Zeit, bis Hollywood auf sie aufmerksam wurde. "Garp" wurde zum Beispiel mit Robin Williams verfilmt, "Das Hotel New Hampshire" mit Jodie Foster und Nastassja Kinski, und 1999 - der größte Erfolg als Film: "Gottes Werk und Teufels Beitrag" mit Michael Caine. Irving schrieb das Drehbuch, und wurde mit dem höchsten Preis ausgezeichnet, den die Filmindustrie zu vergeben hat: Dem Oscar.
    Zu oberflächlich, zu viele Wiederholungen
    Doch trotz all dieser Erfolge: Im Laufe der Jahrzehnte wurde John Irvings Arbeit immer wieder als zu oberflächlich kritisiert.
    "Sein Hang zu extremen, absurden, manchmal richtig albernen Darstellungen von Charakteren und Ereignissen führt dazu, dass ihm die Ernsthaftigkeit abgesprochen wird, die Updike, Roth oder Toni Morrison zugesprochen wird," sagt William Pritchard vom Amherst College.
    Ähnlich oft geäußert: Der Vorwurf, Irving wiederhole sich. Beide Kritikpunkte weist Irving zurück: Seine Bücher seien nun mal keine stilistischen Studien, sondern "character-driven" - von den Charakteren geprägt, und von der Geschichte, die sie erzählen. Und als Schriftsteller schreibe man nun mal immer wieder - wenn auch in Variationen - über Dinge, die einen geprägt haben.
    Irving zitiert: "Thomas Mann hat gesagt, Wiederholung ist die unvermeidliche Begleiterscheinung davon, dass man etwas Interessantes zu sagen hat. Man hat da gar keine Wahl."
    Und weil er eben keine Wahl hat, schreibt John Irving weiter. Sein letztes Werk: ein Drehbuch für eine Fernseh-Miniserie, nach dem Buch, das der Grundstein ist für seine Karriere: "Garp und wie er die Welt sah". Und an seinem mittlerweile 15. Roman arbeitet er auch schon.