Dienstag, 23. April 2024

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80 Jahre Israel Philharmonic Orchestra
Starorchester eines kleinen Landes

Heute gehört es zu den international bedeutendsten Klangkörpern: das Israel Philharmonic Orchestra, geleitet von Zubin Mehta. Vor 80 Jahren wurde es am 26. Dezember 1936 in Tel Aviv als "Palestine Orchestra" gegründet. Ab 1948 machte der in "Israel Philharmonic Orchestra" umbenannte Klangkörper eine steile Karriere.

Von Ruth Kinet | 02.01.2017
    Das Israel Philharmonic Orchestra spielt unter seinem Chefdirigenten Zubin Mehta ein Konzert in Athen
    Internationales Spitzenorchester: das Israel Philharmonic Orchestra (ANA-MPA)
    Mittwoch Vormittag in Tel Aviv. Auf dem weißen und weiten Platz, der zwischen dem Rothschild-Boulevard auf der einen und dem Chen-Boulevard auf der anderen Seite liegt, ist eine der wichtigsten kulturellen Institutionen Israels zuhause: das Israel Philharmonic Orchestra. Seit 1957 hat es sich hier niedergelassen, in der so genannten Kulturhalle, die seit der jüngsten Renovierung aus dem Jahr 2013 ihren Mäzen Charles Bronfman im Namen trägt. Aber das Orchester war nicht immer im Zentrum Tel Avivs beheimatet.
    Avivit Hochstadter sucht das Werbeplakat für das Gründungskonzert des Israel Philharmonic Orchestra vom 26. Dezember 1936. "Das gibt’s doch gar nicht", sagt sie, "das war so ein schönes großes Plakat mit Huberman und Toscanini".
    Geschichte und Geschichten
    Avivit Hochstadter verwaltet das Gedächtnis des Israel Philharmonic Orchestra, sie ist die Hüterin der Archivalien. Sie sitzt an den Quellen der Geschichte und Geschichten des Orchesters:
    "Bronislaw Huberman war ein sehr erfolgreicher jüdischer Geiger, der 1882 in Polen geboren wurde. Er kam Anfang der 1930er Jahre mehrmals zu Rezitalen nach Palästina und sah bei seinen Besuchen wie dieses Land aufblühte. Er wusste, dass in den europäischen Orchestern immer mehr hervorragende Musiker entlassen wurden, weil sie Juden waren. Er reiste von Stadt zu Stadt, lud zu Vorspielen ein und versuchte die Besten davon zu überzeugen, nach Palästina zu gehen."
    Drei Jahre lang arbeitete Huberman mit schier unerschöpflicher Energie an der Gründung eines Spitzenorchesters in Palästina: Er nahm Verbindung zum britischen Bevollmächtigten im Mandat Palästina auf, er verhandelte mit David Ben-Gurion über Arbeitsvisa für seine Musiker. Er gewann Prominente wie Albert Einstein als Spenden-Einwerber für sein Projekt und Arturo Toscanini als Dirigent für das Gründungskonzert.
    "Heute Abend wurde Tel Aviv Zeuge der Geburt des Palestine Symphony Orchstra und nie wurde eine musikalische Institution unter glücklicheren Umständen eingeweiht."
    So berichtete der Kritiker der "Palestine Post" am Tag danach.
    "Das Konzert wurde eröffnet mit der Ouvertüre zur "Scala di seta" von Rossini. Ihr folgte die Zweite Symphonie von Brahms, dann die "Unvollendete" von Schubert, dann die Nocturne und das Scherzo aus dem "Sommernachtstraum" von Mendelssohn, was eine besondere Bedeutung hatte, denn in Deutschland wurden jüdische Komponisten nicht mehr aufgeführt. Und den Abschluss bildete die Ouvertüre des "Oberon" von Weber."
    Viele Menschen standen vor der Konzerthalle und hörten von draußen zu, weil sie keine Karten mehr bekommen hatten. Manche kletterten sogar auf das Dach um zuzuhören.
    Sound mit schöner Politur
    Der Komponist Noam Sheriff war zehn Jahre alt, als er um 1945 das Palestine Orchestra zum ersten Mal hörte. Bis heute erinnert er sich an seinen Klang:
    "Es war ein grandioses Orchester, hauptsächlich deutsches Orchester. Das Orchester hatte damals gehabt einen sehr schönen, dunklen rot-braunen Klang gehabt, mit einer sehr schönen Politur."
    Die 71 Musiker der ersten Besetzung des Palestine Orchestra waren Entronnene. Bronislaw Huberman rettete insgesamt etwa 1000 Juden vor dem Zugriff der Nationalsozialisten nach Palästina. Und mit den Musikern rettete Huberman auch einen kulturellen Schatz, der in Europa keinen Ort mehr hatte und sich in Palästina noch neu beheimaten musste. Und dann das Publikum... Der Komponist Noam Sheriff:
    "Die Leute, die haben damals 33 aus Europa gekommen. Jedes Abonnement-Konzert wurde gespielt 12 Mal. Dasselbe Programm 12 Mal, Abend nach Abend, weil das Israelische Philharmonische Orchester damals hat gehabt ungefähr 40.000 Abonnenten. Unglaublich!"
    Die Abonnenten des Israel Philharmonic Orchestra waren fast ausschließlich ashkenasische, aus Europa eingewanderte Juden. Die meisten von ihnen kamen aus dem deutschsprachigen Kulturraum:
    "Damals, als du gingst in Tel Aviv am Strand, am Meer, wo gab mehrere Kaffehäuser und die Kaffeehäuser waren von Jeckes. Du konntest in ein Kaffeehaus kommen, da war ein Grammophon und Du konntest sagen, ich möchte jetzt hören ein Quartett von Beethoven und sie haben sofort diese Schallplatten gelegt auf Grammophon und gespielt Beethoven-Quartette. Die Ben-Yehuda-Straße, wie wir sagen, Rechov Ben-Yehuda-Straße, war voll mit deutschen Buchhandlungen. Das war so eine Faszination, das kann man nicht vorstellen."
    Orchesterdienst vor Wehrdienst
    Der Fagottist Mordechai Rechtman, der 1946 im Palestine Orchestra zu spielen begann, war ein so genannter Jecke, ein Einwanderer aus Deutschland, geboren 1926 in Wuppertal. Er war 20, als er in das Orchester aufgenommen wurde. 45 Jahre spielte er das Fagott im Israel Philharmonic Orchestra. Er war auch dabei, als das Orchester am 14. Mai 1948 bei der Gründung des Staates Israel die Nationalhymne "Hatikva" spielte.
    Musik: Historische Aufnahme der "Hatikva" vom 14.5.1948
    Als noch am selben Tag die Armeen der arabischen Nachbarstaaten den neu gegründeten Staat Israel angriffen, meldete sich der 22jährige Fagottist des inzwischen zum Israel Philharmonic Orchestra umbenannten Klangkörpers sofort zum Militärdienst.
    "Nach ein paar Tagen hörte ich, dass ich nicht in den Krieg gehen, sondern wieder zum Orchester zurück sollte. Der Dirigent Bernardino Molinari forderte, dass ich weiterspielte. Während des gesamten Unabhängigkeitskrieges hat das Orchester nicht aufgehört zu spielen. Wir bewegten uns in Panzern fort. Deshalb habe ich nicht einmal eine militärische Grundausbildung! Nichts! Bis heute weiß ich nicht wie man mit einem Gewehr schießt!"
    Musik als spirituelle Nahrung
    Im Laufe der 80 Jahre seines Bestehens hat das von den Musikern selbst verwaltete Orchester einige Kriege und zwei Palästinenseraufstände durchlebt. Ungezählte Male hat das dreiköpfige Management des Orchesters schon einschätzen müssen, ob die Sicherheit der Musiker und des Publikums bei einem Konzert gewährleistet ist. Dabei gilt das Festhalten am Konzertkalender immer als hohes Gut, sagt die in Philadelphia aufgewachsene Bratschistin Miriam Hartman Beazley. Sie sitzt seit 33 Jahren am Pult der Ersten Viola:
    "Jeder in diesem Orchester empfindet eine leidenschaftliche Loyalität gegenüber diesem Land. Wir wissen, dass wir eine Aufgabe haben und wir wissen, dass ein Konzert in schwierigen Zeiten spirituelle Nahrung für die Menschen sein kann."