Freitag, 19. April 2024

Archiv

90 Jahre Feinkost Rogacki
So schmeckt West-Berlin

Zweiter Weltkrieg, Mauerbau, Wiedervereinigung – Feinkost Rogacki in Berlin-Charlottenburg hat alles überlebt. Und sich nur behutsam gewandelt. Denn der Berliner Kunde ist Traditionalist, wenn es um sein Hackepeter-Schwein geht. Auch wenn er es online bestellt.

Von Nana Brink | 12.02.2018
    Ladenlokal des Traditions-Feinkostgeschäfts Rogacki in Berlin-Charlottenburg
    Ladenlokal des Feinkostgeschäfts Rogacki in Berlin-Charlottenburg (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    "Rogacki" – Feinkostgeschäft und Fischräucherei. Stammtisch und Stadtküche. Kantine des Westens. Seit 90 Jahren. Mindestens ebenso lang rätselt der Berliner über den Namen:
    "Zu Rogatz-ki? Rogacki, oder?"
    Der Stammkunde liebt seine Kantine. Vor allem mittags. Da steht er Schulter an Schulter und isst immer das Gleiche. Fischbulette oder Schollenfilet. Und es sieht immer gleich aus. Beruhigend. Die knallgrüne Tresenverkleidung katapultiert ihn sofort in die 70er Jahre. Dietmar Rogacki:
    "Das ist 1972 gebaut worden, hat man den Laden anlässlich des 50-jährigen Jubiläums großartig umgebaut, daher kommt dieser Markthallen-Effekt, den wir hier sehen. Grün ist die Hausfarbe und grün ist die Farbe der Frische. Sie müssen sich vorstellen, da wo es jetzt grün ist, war früher freier Himmel! Und irgendwann hat's dann meinem Großvater gereicht."
    Dietmar Rogacki, Geschäftsführer von Feinkost Rogacki, in seinem Laden in Berlin-Charlottenburg
    Dietmar Rogacki, Geschäftsführer von Feinkost Rogacki, in seinem Laden in Berlin-Charlottenburg (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Er kaufte das Haus und baute an. Was für ein Glück! sagt Dietmar Rogacki. Könnte doch keiner heute mehr die Miete zahlen. Er führt das Geschäft in dritter Generation. Jeden Tag steht er hier. Alle kennen ihn, alle grüßen ihn. Kurze graue Stoppelhaare, wache Augen, Berliner Schnauze.
    Großvater Paul zog Anfang der 30er-Jahre mit seinem Bollerwagen voller Fisch aus dem Arbeiterbezirk Wedding ins bürgerliche Charlottenburg. Ein Aufstieg. Der Grundstein für den Erfolg steht noch heute gut sichtbar im Ladengeschäft.
    "Die sind aus dem Jahre 1932, die sind original, die werden gepflegt wie unser Augapfel, sind alte Räucheröfen, die benutzt heute so gut wie gar keiner mehr. Warum machen wir das? Das ist einfach Qualität, die einfach von der anderen Art des Räucherns nicht erreicht wird. Und so lange wir das machen dürfen, ist eine Frage, wie lange die Genehmigung hält (lacht), weiß man ja alles nicht."
    Fischbecken im Traditions-Feinkostgeschäft Rogacki in Berlin-Charlottenburg
    Fischbecken bei Feinkost Rogacki (Deutschlandradio / Nana Brink)
    Der Chef rollt mit den Augen. Ganze Ordnerreihen mit "Genehmigungskrimskram" füllen sein Büro. Tradition kann mühsam sein. Auch die Fischbecken gleich neben den Öfen stehen unter Beobachtung der Behörden.
    Das sind Lachforellen und Saiblinge drin", erklärt der Fischmeister. "mit dem Käscher … na, die werden dann zum Tisch gebracht, mit dem Schlagstock auf den Kopf betäubt und dann mit dem Kehlschnitt getötet.
    Es gibt nur noch wenige, die das können. Seit Jahren findet Rogacki keine Lehrlinge mehr. Der Chef schüttelt den Kopf. Ist so. Will keiner mehr machen.
    Stammtisch: "Immer freitags, immer Austern"
    Sorgsam auf Eis drapiert starrt der Seeteufel mit offenem Maul auf die Kundschaft.
    Verkäuferin: "370 Gramm ... 9,99 ... zehn Stück, ja?"
    Kunde: "Ja, regelmäßig. Ich weiß, woher die Produkte kommen, das ist wirklich sehr gut.
    Kundin: "Schon über 30 Jahre, hier etwas Geräuchertes, auch frischen Fisch und Matjesfilet. Na ja, was man eben so braucht ..."
    Rogacki: Wir versuchen, alles so zu lassen, wie es mal war, also Tradition kommt immer an.
    Deshalb gibt es noch das "Hackepeter-Schwein" mit Oliven-Augen und Paprikaschwanz. Groß wie ein Brotlaib. Es gibt die Wurst-Theke, die Fisch-Ecke, den Käsestand. Und die Stammkunden. Damen mit violet getönten Haaren und Herren mit schwarzen Lederjacken. Das schwule Pärchen mit Brilliantohrring und Tweed-Jacket. Oder Martin, Johannes, Wigand und Franz. Manager, Architekt, Gewerkschaftler, Tanzwissenschaftler.
    Stammtisch im Traditions-Feinkostgeschäft Rogacki in Berlin-Charlottenburg. V.l.n.r.: Johanna, Wigand, Franz, Martin
    Stammtisch, v.l.n.r.: Johannes, Wigand, Franz, Martin (Deutschlandradio / Nana Brink)
    "Das ist immer so."
    "Weil wir ein Stammtisch sind, deswegen geht das automatisch."
    "Wir werden immer gut bedient."
    "Von Frau Doris, ja."
    "Wenn man ein paar Tische weiter steht, ist es eine andere Bedienung, und das ist ganz anders, also, man muss sich da schon auskennen."
    "Immer hier."
    "Immer freitags, immer Austern!"
    "Sechs Austern, welche Austern?"
    "Die trinken immer ihren Wein, bisschen Wasser dazu, essen was Schönes und freuen sich."
    (Gelächter)
    "Vegan ist ein Salat bei uns"
    Frau Doris ist auch schon seit Jahrzehnten dabei. So soll es bleiben. Austern und Hackepeter-Schwein. Perfekte Westberliner Mischung. Findet auch die vierte Generation Rogacki:
    Nikolai Rogacki: "Na, vegan ist hier schwer, vegan ist ein Salat bei uns. Aber auf den Punkt Tradition und Hipster zu kommen – wir müssen natürlich gucken, wie wir Tradition neu verpacken, neue Medien, da versuche ich mit diesen ganzen Apps zusammenzuarbeiten um auch das junge Publikum zu kriegen, weil da sind wir bis jetzt noch ein bisschen im Hintertreffen ..."
    Nana Brink: "Und da lässt er Sie machen?"
    Nikolai Rogacki: "Muss er ja."
    Dietmar Rogacki: Also, ich habe da eine andere Meinung zu, aber das ist altersbedingt. Die Jugend soll mal machen."
    Seit ein paar Jahren arbeitet Nikolai Rogacki mit im Geschäft. Groß, blond, zupackend. Eigentlich ist er gelernter Physiotherapeut. Auch Vater Dietmar war früher Fotograf, bevor das Familiengeschäft rief. Berliner Biografien sind selten geradlinig. Aber – beide grinsen – eine Kindheit bei Rogacki prägt:
    Dietmar Rogacki: "Wenn wir also aus dem Kindergarten wieder kamen, beide Eltern waren ja im Betrieb und wir haben da hinten mit Ölsardinendosen gespielt, bis Eltern Feierabend hatten, wäre heute gar nicht mehr erlaubt, Unfallgefahr, Kinder, was weiß ich!"
    Nikolai Rogacki: "Als wir früher immer groß geschmückt haben zu Weihnachten, standen die Erwachsenen immer herum, gequatscht und mein Bruder und ich haben uns gelangweilt, und dann ham wa halt Hockey mit Limette gespielt. Die haben die Augen verdreht."
    Außenschriftzug des Traditions-Feinkostgeschäfts Rogacki in Berlin-Charlottenburg
    Außenschriftzug von Feinkost Rogacki (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Klingt romantisch. Ist es aber nicht.
    Nikolai Rogacki: "Wir sind schon ein Teil von Westberlin, aber wir sind halt nicht mehr so markant, weil wir dieses Jahr 90 Jahre alt werden, man darf sich nicht auf dem Ruhm alter Zeiten ausruhen."
    Hackepeter-Schwein online ordern
    Deshalb kann man das Hackepeter-Schwein jetzt auch online ordern. Das Kilo für 13,50 Euro. Und wie war das jetzt noch mal mit dem Namen? Dietmar Rogacki:
    "Also folgendes, Urgroßvater kam aus Ostpreußen, und dort sprach man das Rogacki aus wie Rogatzki, so das ist die Erklärung, da legte mein Großvater auch großen Wert drauf, dass er nicht Rogacki heißt, sondern Rogatzki ... Sie können sich ja mal einen Spass machen, setzen Sie sich ins Taxi und fragen nach Rogacki, weiß jeder, wo Sie hinwollen."