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90 Jahre Zeitungshoroskop
Irrtum ausgeschlossen!

Von vernunftbegabten Menschen werden Horoskope als Unfug abgetan. Doch schon das allererste Horoskop in einer britischen Zeitung lag verblüffend richtig, hat Arno Orzessek herausgefunden. Beim Entwurf seiner Glosse hat er sich deswegen von seinem Sternzeichen leiten lassen.

Von Arno Orzessek | 26.08.2020
Symbolbild: Sternbilder sind im Kreis um einen hell leuchtenden Stern angeordnet.
Nachzulesen in diversen Horoskopen: Was sagen uns die Sterne? (imago / Realcg)
Wir sind hin- und hergerissen! Einerseits gelten Zeitungshoroskope als totaler Unfug. Jeder seriöse Astrologe kann bestätigen: Die paar Zeilen, die sich nur an den zwölf Tierkreiszeichen orientieren – ohne Aszendent, Horoskophaus, Mondknoten und andere elementare Dinge –, sind skandalös unterkomplex.
Tagtäglich eine einzige Prognose für ein Zwölftel der Menschheit – nee, das ist echt zu blöd! Nicht umsonst wettert das Online-Magazin Astrologie 2000 mit Abscheu gegen "Vulgärastrologie" zur bloßen "Unterhaltung".
Andererseits sind wir erstaunt: Am 24. August 1930 also hat der Sunday Express im ersten Boulevardzeitungs-Horoskop überhaupt der frischgeborenen Prinzessin Margaret ein ereignisreiches Leben vorausgesagt... Und spätestens seit der Netflix-Serie The Crown weiß alle Welt: Haargenau so kam's dann! Allein Margarets Männergeschichten und ihr Zoff mit Schwester Elizabeth!
Horoskope unter einem guten Stern
Außerdem stand der Merkur an jenem Tag im Tierkreiszeichen der Jungfrau. Deshalb hatte wohl auch die Geburt des Zeitungshoroskops als solches den Segen von oben. Denn Mercurius ist in der römischen Mythologie der Götterbote.
Arno Orzessek. Seit 1966 Arbeiter- und Bauernsohn, geboren in Osnabrück. Studierte in Köln Philosophie und anderes. Dank "unverlangt eingesandt": SZ- und DLF-Autor; auch: zwei Romane. Lebt seit 2000 rundfunktreu in Berlin. Angesichts der Unordnung der Dinge thematisch unspezialisierter Stoffwechsel-Spezialist. Welt-Erfahrung per Motor- und Rennrad, plus Lektüre. Radio-Ideal: Geistvolles in sinnlicher Sprache; Ziel: Gedankenübertragung; Methode: Arbeit am Text; Verfassung: der Nächste bitte!
Oder gibt's wirklich bessere Erklärungen dafür, dass das Zeitungshoroskop als Medium außerirdischen Wissens so eine Riesenkarriere hingelegt hat?
Schon klar: Wer die Astrologie-Kritik von Wissenschafts-Cracks wie Karl (Raimund) Popper und Paul Feyerabend liest, der fällt vom Glauben an die Sterne ab wie eine faule Birne vom Baum. Seriöse Astrologie, die gibt’s gar nicht, weder in Zeitungen noch sonst wo, basta!
Aber seien Sie ehrlich, liebe Mitmenschen – und erfreuen Sie sich an unserem Wortspiel: Lesen Sie jemals nach Feierabend Feyerabend? Na bitte! Auch wir haben im Vorblick auf die knifflige Glosse lieber unser Wochen-Horoskop im hiesigen Fachblatt Astrowoche studiert.
Gestalte deine Möglichkeiten
Und wieder: Volltreffer! Löwen wird dort auf den Kopf zugesagt: "Diese Woche werden Sie im Job […] mit großen Herausforderungen konfrontiert."
Woher wusste die Astrowoche, dass wir wegen der Horoskope von erkenntnistheoretischem Schwindel befallen würden – wenn es ihr nicht die Sterne verraten haben?
Heute dann, wie zum Ausgleich: Seelen-Doping vom online-Express höchstselbst, dem gemeinsamen Portal von Daily und Sunday Express. Der Express rät allen Löwen: "Zeig' Initiative und gestalte Deine eigenen Möglichkeiten." Kein Journalist in Schreibnot, der sich da nicht ermuntert fühlte.
Und Sie können nicht leugnen: Wir gestalten unsere Glosse exakt nach unseren Möglichkeiten! Ja, liebe Schlaumeier aller Geschlechter – wir wissen, dass Sie gerade an den Barnum-Effekt denken: Danach neigen labile Geister dazu, vage Aussagen über die eigene Person – hier: das eigene Sternzeichen – als zutreffend zu empfinden.
Der Verstand macht uns zu schaffen
Und wir wollen Sie auch nicht davon abhalten, Zeitungshoroskopen nicht zu vertrauen. (Ich nehme an, die doppelte Negation hier ist Absicht und Sie betonen den Satz so, dass man ihn dann versteht.)
Doch wir selbst sitzen in der Klemme. Für uns gilt, was der Astrologe Norbert Giesow auf sternzeichen.net verlautbart: "Der Mensch hat mit seinem Verstand ein mächtiges Werkzeug entwickelt, was ihm oft auch zu schaffen macht." Genau das ist unser Problem: Der Verstand macht uns zu schaffen, seitdem wir uns mit dem Horoskop-Kram beschäftigen.
Ach, auch wir wollen wieder an die Rationalität glauben. Aber unser Horoskop auf instyle.de sagt klipp und klar: Heute sei der beste Tag, "um ein wichtiges Vorhaben ein bisschen zu verschieben."