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"A Ghost Story" im Kino
Ein ungewöhnlicher Geisterfilm

Nach seinem Märchenfilm "Elliot, der Drache" wollte Regisseur David Lowery etwas "Kleines" machen. In der Rolle eines Verstorbenen, der als Geist in sein Haus zurückkehrt, zog er dem Schauspieler Casey Affleck ein Bettlaken mit Augenschlitzen über.

Von Hartwig Tegeler | 05.12.2017
    Szenenbild aus "A Ghost Story" - M (Rooney Mara) blickt traurig, hinter ihr der Geist von C (Casey Affleck) mit dem Bettlacken
    Im Film "A Ghost Story" braucht es nur ein Bettlaken, um einen Geist darzustellen (imago stock&people / Bear)
    "Na ja, irgendwann brechen die Dinge dann zusammen."
    Sie sind nicht mehr das, sie werden nicht mehr das, was sie waren. Man nennt das Vergänglichkeit. Was für ein anstrengender Film, und dann noch in diesem kleinen 4:3-Format - vollkommen ungewohnt -, das wir von alten Fernsehern kennen und das natürlich auf jeden zeitgenössischen Kinogänger wie eine Drohung wirkt à la "Achtung, Kunstfilm!".
    Langsam und lohnenswert
    Dann setzt sich M - Rooney Mara - nach dem Unfalltod von C - Casey Affleck - hin, vor den Küchenschrank, isst den Apfelkuchen aus dem runden Blech, stopft ihn in sich rein, stopft und stopft, kein Schnitt. Trauerfressen. Rein, rein. Und in der Ecke des Hauses steht ein Geist, eine Gestalt im weißen Bettlaken. Dann springt M auf, um sich in der Toilette zu übergeben. Das muss man als Kinogänger erst einmal aushalten - nicht das Übergeben, sondern diese Langsamkeit. Man muss sich zusammenreißen, um sitzen zu bleiben. Diese Szene, ziemlich am Anfang von "A Ghost Story", kann zur Qual werden, weil so zu sehen ungewohnt ist.
    Aber man wird belohnt in diesem Film über die Liebe und den Tod. "A Ghost Story" ist ein Geisterfilm. Und um Geist zu sein, braucht Casey Affleck in David Lowerys Film nur ein Bettlaken mit Augenschlitzen.
    "Man tut, was man kann, um sicher zu gehen, dass man auch noch hier ist, wenn man fort ist."
    Meint C beim bierseligen Philosophieren über die Endlichkeit des Seins, als er noch kein Geist ist.
    "Und sicher tun wir alle was wir können, um im Gedächtnis zu bleiben. Wir bauen unser Vermächtnis auf. Stück für Stück. Und vielleicht wird sich die ganze Welt mal an dich erinnern. Oder vielleicht auch nur ein paar wenige Menschen. Man tut, was man kann, um sicher zu gehen, dass man auch noch hier ist, wenn man fort ist."
    C, ein Musiker, wohnt mit seiner Frau M in einem alten, einfachen Haus. C liebt es; M will in die Stadt ziehen.
    M: "So darf das einfach nicht laufen. Wir sollten Entscheidungen gemeinsam treffen. Verstehst du das nicht?"
    C: "Doch."
    M: "Und warum entscheide immer nur ich?"
    C: "Weil ich nicht dasselbe will wie du."
    M: "Weil du hierbleiben willst?"
    C: "Ja."
    M: "Wieso?"
    "War im Kino, habe geweint"
    Das Schicksal in Gestalt eines Autounfalls nimmt beiden die Entscheidung ab: C stirbt. Doch dann kehrt er in das Haus zurück, als Geist. Wir sehen, wie dieser Geist in seiner weißen Bettlaken-Gestalt, nun gebunden an das Haus, das er nicht verlassen kann, seine Frau - oder ehemalige Frau - beobachtet, wie sie trauert - das Essen des Apfelkuchens -, wie sie anfängt weiterzuleben, wie sie auszieht. Doch der Geist kann das Haus nicht verlassen. Tage, Wochen, Jahre, an diesen Ort gebunden. Dann sehen wir ihn in der Pionierzeit im 19. Jahrhundert - an diesem Ort -, dann, in einem rasenden Zeitsprung, in einem modernen Bürogebäude, das auf dem Grundstück von C's und M's kleinem Haus errichtet wurde. Dann wieder auf den Ruinen, als es abgerissen wird. Immer scheint der Geist zu warten. Aber worauf wartet der Geist? Dass M zurückkehrt? Aber was dann? Aussichtslosigkeit.
    "A Ghost Story" ist ein Film mit einer großen suggestiven Kraft. Mit der erzählt David Lowery uns seine Geschichte über ein Wesen, das sich gegen die Endlichkeit des Seins stemmt. Eine Geschichte also über uns. Dabei geht von "A Ghost Story" eine große Traurigkeit aus. Wenn der Geist und der andere Geist im Nebenhaus telepathisch kommunizieren, hat das die Wirkung einer großen Leere. "War im Kino, habe geweint", schrieb Franz Kafka einmal.
    Gute Filme brauchen Fantasie, verbunden mit der Fähigkeit, von Menschen und ihren Ängsten, Freuden, ihrer Lust und ihrer Verzweiflung zu erzählen. Auch dann, wenn sie ihren Körper schon verlassen haben. Und manchmal hilft schlicht ein weißes Bettlaken mit Sehschlitzen, um die Wucht einer Geschichte über den Tod, die Liebe, das Loslassen und das Nicht-Loslassen-Können auf magische Weise zu verstärken.