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Ab in die Senkrechte

Eine imposante Klettersteige ist am Hohen Dachstein im österreichischen Salzkammergut entstanden. Über gut 1200 Höhenmeter zieht sich die "Super-Ferrata" quer durch die mächtige Südwand des Fast-Dreitausenders. Hier entstand vor rund 170 Jahren der wohl erste gesicherte Touristensteig auf einen Gipfel - zumindest in den Nordalpen.

Von Folkert Lenz | 07.10.2012
    "Was für eine abscheuliche Kletterei! Es kann einem Angst und Bange werden, wenn man liest, was Friedrich Simony 1842 in der "Wiener Zeitung" berichtet. Als einer der Ersten wollte der junge Naturforscher auf dem Gipfel des Hohen Dachsteins stehen. Seinerzeit ein kühnes Unterfangen."

    "Es lässt sich schwer eine treue Schilderung von dem furchtbar durchwühlten und zernagten Boden geben, auf dem wir umherkletterten. Schlünde und Spalten von unergründlicher Tiefe hemmen alle Augenblicke den unsicheren Schritt. Das zerklüftende Gestein hat so scharfe Kanten und Spitzen, dass man bei jedem Ausgleiten sich die Hände blutig aufritzt oder zersticht."

    An einem schönen Septembernachmittag erreicht Friedrich Simony schließlich sein Ziel: den wuchtigen Kalkgipfel über dem österreichischen Salzkammergut. Zwar übersteht der Abenteurer seinen halsbrecherischen Versuch nahezu unbeschadet. Doch im Nachhinein hat er nur einen Wunsch.

    "Möchte sich doch ein begüterter Freund der Alpennatur finden, und zur Gangbarmachung der gefährlichen Stellen eine kleine Summe opfern, mit welcher die geringen, dazu erforderlichen Ausgaben bestritten werden können."

    Gesagt, getan! Heute, 170 Jahre später, sind die gelblich-grauen Felskögel rund um den Dachstein ein Tummelplatz für Klettersteiggeher unterschiedlichster Couleur. 17 Drahtseilwege führen kreuz und quer durch die steilen Kalksteinwände der umliegenden Bergspitzen. Eine Route sticht dabei heraus: die "Super-Ferrata". Die spektakuläre Steiganlage führt durch eine der höchsten Felswände der Ostalpen: die mächtige Dachstein-Südwand, die sich 900 Meter hoch über der Wiesenterrasse des Bergdorfes Ramsau aufbaut.

    "Die hochalpinen Klettersteige - der Johann mit der Anna, der Schulter und dem Dachsteingipfel: Das ist absolut die Höhe. Das sind 1200 Höhenmeter zusammenhängender Klettersteig. Mit einer kleinen Unterbrechung bei der Seethaler Hütte, der Dachsteinwarte. Die Sportlichen, die konditionell Starken gehen das an einem Tag.""

    Doch wir gehen es etwas gemütlicher an, als man uns empfiehlt. Es ist später Vormittag, als wir zum Einstieg der "Anna" stiefeln - des untersten der drei Drahtseilwege, die uns auf den Hohen Dachstein bringen sollen. Unter der Südwandbahn hindurch und an der Südwandhütte vorbei erreichen wir mit den letzten Regentropfen den Anseilplatz.

    "Ein skeptischer Blick in die Höhe. Eine steile Kante soll uns vom sicheren Boden wegbringen. Gespickt zwar mit eisernen Trittstiften, die Drahtseilpiste aber führt gleich richtig in die Vertikale. Reichlich Luft unter den Sohlen also, während wir uns mit unseren Karabinern von einer Sicherung zur nächsten klicken. "

    "Athletisch, ein paar Kletterstellen drin, ein bisschen luftig teilweise. - Eine geneigte Platte, nur mit ein paar Stiften drin. Das ist aber eine Rutsche 500 Meter ins Tal. Man ist einfach mitten in der Luft. - Dadurch, dass man gut gesichert ist, kommt man auch an ziemlich ausgesetzte Stellen, die ich kletternderweise nicht erreichen würde. Also überall da, wo es so ausgesetzt über Nasen drüber ging. Kleine, leicht überhängende Stücke. Diese Wasserrinnen waren einfach auch von der Felsstruktur her interessant. "

    Noch ein senkrechter Aufschwung, dann ist die erste Etappe des Eisenweges geschafft. Auf dem Mitterstein, der von unten nur wie ein unbedeutender Steinhaufen wirkt, entdecken wir überrascht ein kleines Gipfelkreuz.
    "Das ist im Winter gemacht. Aber ich bin erst jetzt zum Aufstellen gekommen. Aber ich finde ja, auch zu so einem kleinen Berg gehört ein Gipfelkreuz. Wenn man dann oben ist, dann sieht man auch, dass es doch ein Berg ist. Und dass die Wand gar nicht so niedrig ist."

    Andi Perner, Wirt der Dachsteinsüdwandhütte, hat das Metallkreuz heraufgebracht. Mit der "Anna", dem untersten Teilstück des langen Steiges, hat er die Super-Ferrata vor zwei Jahren komplettiert.

    Der wagemutige Friedrich Simony wäre wohl erstaunt, wenn er sehen könnte, wie einfach in modernen Zeiten der Dachstein auch von Nicht-Hazardeuren bezwungen werden kann. Denn damals warteten größere Mühen:

    "Oft mussten wir uns zwischen den Wänden auf Schornsteinfegerart einklemmen, um uns so zum wechselseitigen Stützpunkt dienen zu können. So ging es Klafter für Klafter aufwärts. Zuletzt wurden uns auch im Klettern die Alpenstöcke hinderlich und wir warfen sie daher zu unserem Gepäcke hinab."

    260 Gulden kostete es seinerzeit, den Weg auf den Gipfel auch denjenigen zu bahnen, die bei einer Bergtour nicht gleich ihr Leben aufs Spiel setzen wollen. Eisenzapfen, Handhaken, eingemeißelte Griffe und ein 80 Klafter langes, dickes Schiffstau dienten als Steighilfen. So ist es überliefert. Damit entstand im September 1843 der wohl erste Touristenklettersteig der Nordalpen. Eine Pioniertat!

    "Auf dem kleinen Felskopf des Mittersteins ist aber erst ein klitzekleines Stück des Weges bis zum Gipfel des Dachsteins geschafft, ist jetzt zu sehen. Der Weiterweg über den "Johann": 700 Meter Drahtseil und 250 Trittstifte. Über sie geht es nun hinauf zur Dachsteinwarte. Der Einstieg lauert über einem hart gefrorenen Schneefeld: ein knackiger, weit ausladender Überhang. Der steinerne Bauch und die folgenden, stundenlangen Klettereien sind nichts für Anfänger."

    Warnt Andi Perner.

    "Es hat schon einige ausgesetzte Stellen. Und das Einmalige ist halt, dass man sehr nah an der Dachstein-Südwand ist und von da einen super Einblick hat in diese. Und dass man dann genau an der Seethaler Hütte aussteigt, praktisch direkt auf der Terrasse."

    Aber dann steht man immer noch nicht oben auf dem Hohen Dachstein. Schließlich zählt die Super-Ferrata mit ihren 1200 Höhenmetern Vertikaldistanz zu den längsten Klettersteigrouten der Alpen. Es ist also nicht nur Schwindelfreiheit gefragt, sondern auch eine ordentliche Portion Ausdauer. Denn es fehlt ja noch der hochalpine Anstieg über die "Schulter". Und vor der letzten Drahtseiletappe wartet noch die kurze Passage über den Hallstätter Gletscher. Der aber hatte Friedrich Simony arg zu schaffen gemacht.

    "Im ersten frischen Schnee des Spätsommers sanken wir oft bis über die Knie ein, ja ich konnte an manchen Stellen meinen Alpenstock ganz in die weiche Schneemasse stoßen. Unsere Lage wurde nun mit jedem Schritt bedenklicher, denn wir liefen jeden Augenblick Gefahr, in eine überschneite Kluft zu stürzen."

    Ganz so dramatisch verläuft eine Tour auf den Hohen Dachstein heute nur selten. Gegen den Sturz in eine Gletscherspalte hilft das Bergseil. Am Ende der Tour steilt sich aber noch mal ein Felsturm auf.

    "Kurz über den Gletscher und dann geht es zum Gipfel. Und das ist schon eine sehr spannende Sache. Von der Aussicht her und der spektakulären Situation wirklich fast unübertrefflich."

    "Sehr abwechslungsreich: Mal über einen Grat drüber. Oder über kleine Schneefelder. Ein kurzer Anmarsch über den Gletscher: Sehr schön!"

    Dann endlich: das Gipfelglück auf dem Fast-Dreitausender. Die Aussicht normalerweise noch ganz genauso, wie sie Friedrich Simony seinerzeit beschrieben hat: mit Tiefblick auf die "im herrlichsten Wiesengrün prangenden Alpenmatten von Ramsau und Filzmoos, die herrlichen Täler von Schladming und Altaussee". Mit Weitblick über "das in die blaue Ferne sich verlaufende Flachland Bayerns und Ober-Österreichs".

    Pech nur: Heute wabern Wolkenschwaden um das massive, stählerne Gipfelkreuz. So fällt die Rast im Nebel etwas kürzer aus. Dafür bleibt Zeit, Andi Perner nach Anna und Johann zu fragen. Wer waren die beiden eigentlich?

    "Der Name Johann kommt daher, weil der Erzherzog Johann seinerzeit den Dachstein von Norden her erkundet hat. Und da weiß man: Er war auch mal auf der Dachsteinwarte. So ist es zu dem Namen Johann gekommen. Und weil eben dann der Gedanke entstanden ist, dass man einen zweiten Klettersteig bauen will am Fuße des Johann, da haben wir gesagt, da passt Anna ganz gut. Weil ja dem Johann seine Freundin, das war ja die Anna Plochl. Und so hat der Johann eben seine Anna wiedergekriegt. "

    Der österreichische Erzherzog und seine bürgerliche Frau Anna Plochl - heute erneut vereint am Dachstein: per Drahtseil.

    "Wie gut, dass wir uns alsbald sorglos an den Abstieg machen können. Friedrich Simony hatte den Kopf nicht so frei. An ihm nagten bei der Gipfelrast vor 170 Jahren ..."

    "Marternde Zweifel, ob wir einen Pfad auffinden werden, der uns wieder sicher hinabführt von der todumwehten Zackenkrone des finsteren Alpenfürsten durch sein wüstes Gletscherreich in die freundliche Menschenwelt"

    In modernen Zeiten ist der Abstieg denkbar sicher: Ins Drahtseil geklinkt und flugs hinab bis zur tiefen Randkluft in der steilen Nordostflanke. Und sollte diese dem Aspiranten unüberwindbar erscheinen, so hat gewiss schon ein freundlicher Bergführer eine Leiter an dem schaurigen Loch aufgestellt.

    "Ein Drahtseil nutzen auch wir später noch mal auf dem Weg gen Tal - diesmal allerdings das der Südwandbahn.2"

    ""Herzlichen Dank für Ihren Besuch. Das Dachstein-Team wünscht Ihnen noch eine schöne Zeit in Ramsau am Dachstein ..."