Freitag, 19. April 2024

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Abendstunden in Demokratie

"Für Julia und Karen. Wer ist das? Das ist sie. Und Julia ist meine Frau. Danke schön, und alles Gute. Ich wollte sie mal fragen, ob sie mir den Katalog von Klee auch signieren könnten oder ist das nicht möglich. Katalog von Klee? Haben Sie ihn da? Und wollt’ mich auch bei Ihnen recht herzlich bedanken, daß sie uns die Ausstellung nach Berlin gebracht haben."

Martin Hartwig | 04.01.1999
    Signierstunde im Berliner Kaufhaus der Westens. Geduldig zeichnet der Autor seinen Namen in die Bücher. Einige aus der Warteschlange wünschen sich kurze Widmungen: "Für Janette, Für Annemarie und ähnliches. Andere gehen etwas weiter und bitten um die Zeile "Für einen Freund”. Freund von Heinz Berggruen zu sein, ist gerade in diesen Tagen etwas, mit dem man sich sehr gut schmücken kann. Kommt der bekannte Kunstsammler doch soeben aus Paris zurück, wo er für achteinhalb Millionen Mark zwei Picassos aus dem Nachlaß von Dora Maar ersteigert hat. Sie sind jetzt in der Sammlung Berggruen am Schloß Charlottenburg zu sehen, und die Berliner danken es dem alten Herrn. Guter Freund von Heinz Berggruen zu sein, war am Ende des Zweiten Weltkrieges, zu der Zeit als er das Buch schrieb, das er jetzt signiert, allerdings noch vorteilhafter. 1936 emigrierte der Sohn jüdischer Eltern nach Kalifornien. 1945 kehrte er als amerikanischer Staatsbürger und Sergeant der US- Armee ins besetzte Deutschland zurück. "Das State Department hat mich engagiert um eine Zeitschrift herausgegeben zur Umerziehung der Deutschen", so Heinz Berggruen. "Diese Zeitschrift habe ich mit einem Kollegen zusammen herausgegeben, und es ging darum, den Leuten Demokratie beizubringen. Leute, die alle aus dem Krieg kamen. Aus den Fängen von Hitler und Konsorten. Das war eine interessante Aufgabe, und ich schrieb da jede Woche eine Glosse."

    "Heute” hieß das Blatt für das der damals 31jährige regelmäßig schrieb. Unter der Überschrift "Angekreidet” notierte und kommentierte Berggruen das Verhalten seiner ehemaligen Landsleute unmittelbar nach dem Krieg - auch die auffällige Nähe, die viele jetzt zu den vorher Verfolgten suchten. "Wir haben die ganzen Jahre hindurch immer an Sie gedacht und uns gefragt, was wohl aus unserem lieben Herrn Silbermann geworden ist."

    So heißt es zum Beispiel in einem fiktiven Brief eines Geschäftsmannes an seinen emigrierten ehemaligen Anwalt: "Als ich damals der SA beitrat, da sprach ich ja noch mit Ihnen, weil sie doch unser Anwalt waren, und ich sagte Ihnen gleich, ich trete nur der Form halber bei, weil mein Konkurrent von der Großschleimheimer Mühle auch bei der SA war. Meine Frau meint, ich soll Ihnen unbedingt mitteilen, wie sehr sie sich in der NS-Frauenschaft, in die sie ja mit rein mußte, für unsere armen nichtarischen Glaubensgenosse eingesetzt hat. Meine Frau hat immer eine untadelige Gesinnung gehabt, das geht schon daraus hervor, daß sie bis zum Schluß noch den Kindern aus dem ersten Teil der Heiligen Schrift vorlas, und zwar aus Ihrem Exemplar, und das ist doch gewissermaßen der jüdische Teil und wurde eigentlich genauso scheel angesehen wie Schwarzhören."

    Das Ganze endet mit der Bitte ihm doch ein positives Leumundszeugnis für die Spruchkammer auszustellen. Trotz solcher Spitzen kamen Bergruens Glossen bei vielen Lesern gut an. "Das haben die Leute geschluckt", so Berggruen. "Die haben gemerkt, daß das was ich sagte, stimmte. Daß das nicht nur die Zeit spiegelte, sondern die menschliche Lage, die psychologische Lage. Beim Rowohlt-Verlag damals gab es einen relativ jungen Menschen, der inzwischen gestorben ist. Heinrich Maria Ledig, der war der Chef vom Rowohlt-Verlag, der Sohn vom alten Rowohlt, der kam zu mir und sagte, ich möchte gerne die Glossen, die Sie geschrieben haben in einem Sammelband herausgeben, und das geschah auch. Ich denke mir, es waren etwa 1000 Exemplare. Bestimmt nicht mehr, und wir nannten das Buch damals "Angekreidet”. So hießen auch die Glossen in der Zeitschrift. Und diesen Titel haben wir jetzt für die Neuausgabe fünfzig Jahre später verändert."

    Da dieses Buch immer wieder nachgefragt wurde und in den Antiquariaten Preise bis zu 250 Mark erzielte, entschloß sich Rowohlt jetzt das Buch neu aufzulegen. Der neue Titel heißt "Abendstunden in Demokratie”. Der Hintergrund dafür ist eine Anzeige, die Berggruen im "Darmstädter Echo” fand: "Junge Dame, Büroangestellte, gibt Abendstunden in Demokratie nach sechs."

    Vor jede der 21 Glossen hat der Autor solche Fundstücke aus der damaligen Presse gestellt: "Überprüfung von Romanen, Erzählungen und ähnlicher Literatur auf Eignung im demokratischen Sinne (Ausmerzung nazistischer und militaristischer Tendenzen), sowie Beratung und Umarbeitung für Neuauflagen, auch Durcharbeitung von Bibliotheken usw. übernimmt in gewissenhafter Ausführung: Lektorat Steinberg. Düsseldorf, Achenbachstraße 9."

    Bei allem Spott, etwa über Kunstprofessoren, die jetzt plötzlich engagiert für abstrakte Malerei eintraten, ist der Ton den Berggruen anschlägt oft auch erstaunlich milde: "Es war eine Mischung bei mir, von Ressentiments, Haß eigentlich nicht. Dazu bin ich glaube ich von Natur aus zu tolerant. Aber Ressentiments schon. Eine Mischung auch mit einer gewissen Sentimentalität. Ich bin hier in Berlin geboren. Ich habe eine sehr gute Jugend verbracht. Es waren sehr gemischte Gefühle?"

    So sind neben dem Umgang mit den jüngsten Ereignissen, die Alltagsnöte der ersten zwei Nachkriegsjahre der Hauptgegenstand von Berggruens Betrachtungen. "Es hatte was Gespentisches. Das spürte man im täglichen Umgang. Zum Beispiel das Zigarettenrauchen. Die Menschen waren süchtig in einer Weise. Und die sind dann wirklich Kilometer gelaufen um eine Schachtel zu einem idiotischen Preis zu ergattern. Oder die, die sich in den Straßen von München nach Stummeln gebückt haben, also würdig aussehende Leute und ältere Menschen. Das war eine Noterscheinung. Das habe ich beobachtet und versucht einzufangen."

    Trotz des Verständnisses für die Nöte der Bevölkerung macht sich Berggruen nie gänzlich zu ihrem Anwalt, wie gleich die erste Glosse des Buches mit dem Titel "Wir, die kleinen Leute”, zeigt: "Wir wurden populär. Es gab Romane, Theaterstücke und Filme über uns. Man sagte: ‘Auf euch kommt es an, auf euch kleine Leute.’ Na ja, da kam es eben auf uns an. Wir wählten und wir gingen in die Partei. Und später sagten wir ‘Ja’, sehr oft sagten wir ‘Ja’- was sollten wir auch tun? Denn jetzt muß noch etwas sehr Wichtiges bemerkt werden. Es ist schon richtig, daß man plötzlich mit uns rechnete; es stimmt schon, daß man uns ernst nahm. Aber deshalb blieben wir doch die kleinen Leute. Einfluß, eigentlich, hatten wir ja nie - oder?"

    Die "Abendstunden in Demokratie” zeichnen ein vielschichtiges Bild der Verfassung der Deutschen nach dem Kriegsende: Innere Emigranten, Mitläufer und "eigentliche Widerständler” versuchen sich rein zu waschen, kämpfen mit einer absurden Bürokratie um Lebensmittelmarken und Ausweispapiere oder üben sich unbeholfen in Demokratie. Das alles wird auf eine Weise geschildert, die auch nach 50 Jahren noch fassungsloses Kopfschütteln und Lachen provoziert. Man muß es fast bedauern, daß der Autor nicht bei der Schreiberei blieb, sondern 1947 Deutschland wieder verließ und Kunsthändler wurde. Als Reminiszenz an den weiteren Werdegang Berggruens sind in dem schmalen Bändchen 9 Illustrationen von Paul Klee aus seiner Sammlung abgedruckt. Sie haben, wie der Autor im Vorwort versichert, keinen thematischen Bezug zum Text, sondern sind schmückendes Beiwerk des auch sonst aufwendig gestalteten Buches.