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Abenteuerlicher Held deutscher Expeditionsgeschichte

Um die weißen Flecken auf der Landkarte zu tilgen, brach der Polarforscher Carl Koldewey Ende des 19. Jahrhunderts zweimal in Richtung Nordpolarmeer auf. Auch wenn er sein Ziel nicht erreichte, machten er und sein Team bedeutende geografische Beobachtungen.

Von Irene Meichsner | 17.05.2008
    Die Eroberung des Nordpols stand noch aus, die Arktis war eine "Terra incognita". Carl Koldewey zögerte nicht lange, als ihm der deutsche Geograf August Petermann 1868 das Angebot machte, bei einer von ihm organisierten Expedition ins Nordpolarmeer als Schiffskapitän anzuheuern. "

    Dr. Petermann’s Plan war folgender:"schrieb Koldewey später.

    "Ich sollte mich nach einem geeigneten Orte Norwegens begeben, eine Jacht, wie sie für den Walross- und Robbenfang auf Spitzbergen gebraucht würde, chartern, dieselbe bemannen und ausrüsten und damit den Versuch machen, die Ostküste von Grönland in etwa 75 Grad zu erreichen. Gelänge mir dies, so sollte ich die Küste weiter nördlich verfolgen und so weit wie möglich vorzudringen suchen."

    Hinter dem Packeisgürtel vermutete Petermann ein eisfreies Meer. Könnte man das Eis durchbrechen, käme man problemlos bis zum Pol. Heute wissen wir: Diese Theorie war falsch. Sie war damals schon umstritten, doch Koldewey leuchtete sie ein. Auch vaterländischer Stolz motivierte ihn, sich auf das Abenteuer einzulassen.

    "Die Deutschen waren gerade in nautischen Unternehmungen schmachvoll hinter allen Nationen Europas zurückgeblieben, trotzdem wir eine so große Handelsmarine, die drittgrößte der ganzen Welt, und eine so zahlreiche und tüchtige seemännische Bevölkerung aufzuweisen haben."

    Carl Koldewey, am 26. Oktober 1837 in Bücken im damaligen Königreich Hannover geboren, ging mit 16 Jahren zur See. Er besuchte die Steuermannsschule in Bremen, danach die Polytechnische Schule in Hannover. Als er August Petermann kennen lernte, studierte er gerade Mathematik, Physik, Mechanik und Astronomie in Göttingen.

    Für 3750 Taler, die Petermann teils als Spenden aus "erdkundlich" interessierten Kreisen eingeworben hatte, teils aus eigener Tasche bezahlt, kaufte Koldewey in Norwegen die "Grönland", eine kleine Segeljacht für elf Mann Besatzung.

    "Das Schiff flog über die See hinweg wie eine Möwe, und obgleich es schon bei der hohen Dünung oft stark schlingerte und wir über sieben Knoten machten, so erhielten wir doch keinen Tropfen Wasser über Deck."

    Wenig später steckte Koldewey in einem Meer von Eisschollen fest, aus dem er sich nur mühsam befreien konnte.

    "Direkt vor uns war alles so vollständig dicht, dass ein Eindringen gänzlich unmöglich war. Der Anblick dieses Eises vom Krähenneste aus war kein sehr ermunternder."

    Auf den ersten folgte 1869 ein zweiter Versuch, zum vermeintlich eisfreien Meer um den Nordpol vorzudringen. Immerhin: Mit seinem eigens für diese Fahrt gebauten Dampfer "Germania" schaffte es Koldewey bis nach Ost-Grönland. Der Plan sah vor, dort zu überwintern.

    In den folgenden zehn Monaten machten die Männer, darunter mehrere Wissenschaftler, diverse Erkundungstouren über insgesamt fast 2000 Kilometer - zu Fuß und mit dem Schlitten. Sie trotzten Schnee und Sturm, Hunger und Kälte, wurden von Eisbären attackiert.

    Bei allen Strapazen notierten sie fleißig ihre meteorologischen, botanischen und astronomischen Beobachtungen. Als das Eis die Germania im Juli 1870 wieder frei gab, versuchte Koldewey ein letztes Mal, hoch in den Norden vorzustoßen. Vergeblich. Dafür gelang auf der Heimfahrt weiter südlich die wohl spektakulärste geografische Entdeckung: der "Kaiser-Franz-Joseph-Fjord":

    "Ein unbekanntes Land, das wirkliche Innere von Grönland, eröffnete sich immer schöner und imposanter unseren staunenden Augen. Zahlreiche Gletscher, Cascaden, Sturzbäche kamen von dem immer höher und höher ansteigenden Gebirge herunter."

    Eine dritte deutsche Nordpolarexpedition kam nicht mehr zustande. Koldewey wechselte als Abteilungsleiter der Deutschen Seewarte in den Reichsdienst. Er starb am 17. Mai 1908 in Hamburg.

    Ein Jahr später kamen die Amerikaner Robert Peary und Matthew Henson dem Nordpol - zu Fuß und mit Schlitten - zumindest schon sehr nahe. Roald Amundsen und Umberto Nobile haben ihn 1926 als erste mit einem Luftschiff überflogen.

    Schon Carl Koldewey hatte empfohlen, statt geografischer Entdeckungsreisen in Zukunft international koordinierte Programme auf festen Stationen durchzuführen. 1991 wurde die erste deutsche Forschungsstation in der Arktis eröffnet: die "Carl-Koldewey-Station" auf Spitzbergen, wo Forscher aus aller Welt die günstige Lage nahe am Nordpol heute vor allem für die Klimaforschung nutzen.