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"Aber das Urteil, finde ich, hat doch fatale Auswirkungen"

Die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Terre Des Femmes, Irmingard Schewe-Gerigk, glaubt, dass das Urteil im Kachelmann-Prozess vergewaltigte Frauen von einer Anzeige abschrecken könnte.

Irmingard Schewe-Gerigk im Gespräch mit Jonas Reese | 01.06.2011
    Anne Raith: Als Medienprozess des Jahres haben ihn viele bezeichnet, den Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann. Gestern ging er nach rund neun Monaten zu Ende mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen. Juristisch ist der Fall also zunächst einmal gelöst, doch die Anklage überlegt, in Revision zu gehen, denn die Unschuld Kachelmanns sei nicht bewiesen. – Mein Kollege Jonas Reese hat mit Irmingard Schewe-Gerigk, der Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation Terre Des Femmes, gesprochen und sie gefragt, ob der Freispruch Kachelmanns ein Fehlurteil ist.

    Irmingard Schewe-Gerigk: Über Fehlurteile können wir sehr schwierig reden. Die Richter und Richterinnen haben sich sicherlich nach Prüfung aller Dinge, die da vorlagen, und auch ja interner Gutachten dazu durchgerungen, diesen Freispruch aus Mangel an Beweisen durchzuführen. Aber wenn man sich die Urteilsbegründung sehr genau ansieht, dann sieht man schon auch, dass sie schreiben, "Bedenken sie, dass Frau Dinkel möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war." Ebenso kann es natürlich auch sein, dass der Herr Kachelmann die Tat nicht begangen hat. Also man kann es schlichtweg nicht nachweisen. Aber das Urteil, finde ich, hat doch fatale Auswirkungen.

    Jonas Reese: Welche?

    Schewe-Gerigk: Es hat eine Signalwirkung an die Frauen, die eine Vergewaltigung erleben mussten, dass sie sagen, oh, das macht keinen Sinn, eine Anzeige zu starten, denn das, was mir da passiert, das endet dann letztendlich so, dass praktisch beim Gericht dann noch mal für mich alles durchlebt wird und quasi eine zweite Vergewaltigung durch dieses Gerichtsverfahren passiert und trotzdem dann der Täter auch freigesprochen werden kann.

    Reese: Aber es heißt in unserem Rechtssystem ja, Schuld muss bewiesen werden. Halten Sie das dann für falsch?

    Schewe-Gerigk: Nein, natürlich halte ich das nicht für falsch. Wir sind im Rechtsstaat und wenn keine Punkte da sind, wo man genau sagen kann, der Herr Kachelmann hat die Vergewaltigung durchgeführt, oder die Frau hat gelogen, dann kann man auch tatsächlich das nicht anders machen als so einen Freispruch.

    Ich sage nur, welche Auswirkungen dieses Urteil hat, und wenn man sich einmal ansieht, mit welch unterschiedlichen Mitteln ja auch gekämpft worden ist – der Herr Kachelmann hat viel Geld, der hat die besten Anwälte, hat sie zwischendurch noch mal ausgewechselt und kann sich im Prinzip alles mögliche leisten, und das ist ja so ähnlich, wie wir es jetzt auch bei Herrn Strauss-Kahn sehen -, da wird also allerlei versucht herauszubekommen, oder die Zeugin da in ein schlechtes Licht zu setzen. Und wir wissen, dass ungefähr nur fünf Prozent der Sexualstraftaten überhaupt zur Anzeige gebracht werden. Das heißt, wir haben in Deutschland 8.000 Fälle und es gibt eine ganz, ganz hohe Dunkelziffer auch dafür.

    Reese: Aber warum sollte dann eine Frau so ein schreckliches Signal aus diesem Prozess mitnehmen, wenn sie doch sieht, bei einem Unentschieden, sage ich mal, wird einfach im Zweifel für den Angeklagten entschieden, was man ja auch gar nicht ändern kann?

    Schewe-Gerigk: Nein, ich spreche von der Frau, die vergewaltigt worden ist. Es ist ja nicht so, dass jemand Recht bekommt, sondern das Recht sprechen und das Recht haben, das kann ja mal differieren, und wie es tatsächlich gewesen ist, das wissen eigentlich nur zwei Leute. Aber dieses Urteil macht deutlich: Selbst wenn eine Frau vergewaltigt worden ist, kann es ihr passieren, dass der Täter freigesprochen wird, weil natürlich die Beweislage ganz schwierig ist in einem solchen Verfahren. Ich kann jetzt nur noch mal einen Berliner Staatsanwalt zitieren, der sagt, "Wenn ich meiner Tochter raten dürfte, nach einer Vergewaltigung eine Anzeige zu machen oder nicht, würde ich ihr immer davon abraten, das überhaupt zu tun", und das ist natürlich auch fatal in einem Rechtsstaat. Wir haben 1997 das Gesetz der Vergewaltigung auch in der Ehe beschlossen und haben erwartet, dass dadurch auch eine bessere Rechtssicherheit da ist, dass die Frauen gestärkt werden, die vergewaltigt wurden. Ich spreche jetzt nicht von den Frauen, die vermeintlich dieses nicht haben.

    Reese: Aber wäre es nicht mindestens genauso schlimm, wenn ein Unschuldiger zu Unrecht verurteilt wird?

    Schewe-Gerigk: Ja natürlich! Das sage ich! Ich sage ja nur, wie die Auswirkung dieses Urteils ist, das ich jetzt so akzeptieren muss, obwohl ich nicht weiß, ob die Staatsanwaltschaft nicht möglicherweise da auch noch in Berufung gehen wird – das hat sie sich ja vorbehalten. Aber es ist ein Indizienprozess gewesen und man kann natürlich Indizien auch anders bewerten. Insofern müsste man noch mal schauen. Ich kann mir zwar nicht richtig vorstellen, dass da noch so viele Dinge aufgedeckt werden können, denn das Gericht hat sich ja unglaublich viel Mühe gemacht, das alles zu recherchieren und zu bewerten. Insofern ist es möglicherweise auch so, dass die Staatsanwaltschaft da die Revision gar nicht mehr machen wird.

    Reese: Sie haben jetzt gerade den Berliner Staatsanwalt zitiert und würden Ihrer Tochter also auch nicht empfehlen, Anzeige zu erstatten im Falle einer Vergewaltigung.

    Schewe-Gerigk: Nicht meiner! Ich habe von dem Staatsanwalt gesprochen, der die Verfahren kennt und sagt, er würde es seiner Tochter nicht anraten, weil das Opfer so sehr in die Mangel genommen wird, dass man sich das im Vorfeld genau überlegen muss, ob man überhaupt eine Anzeige macht. Und wenn Sie sehen, dass nur 14 Prozent der Fälle auch zu Verurteilungen führen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, selbst wenn sie Opfer dieser Vergewaltigung wurde, auch nicht Recht bekommt, eben weil es unglaublich schwer nachzuweisen ist.

    Reese: Jetzt wurde die Rolle der Medien sehr kritisiert in diesem Prozess, auch wahrscheinlich sehr zurecht. Nur ist es nicht auch so, dass durch diese starke Medienberichterstattung Außenstehende sich jetzt nun auch als Experten sozusagen aufschwingen in diesen Prozess und vorschnell vielleicht auch Partei ergreifen?

    Schewe-Gerigk: Ja, aber auf beiden Seiten. Das hat das Gericht in seiner Begründung auch in drei oder vier Seiten beschrieben, wie die Rolle der Medien war und dass sich Leute als Experten da hervortun, die gar nicht wissen, welche Dinge auch tatsächlich im Gutachten stehen, und es gab so die eine Seite, die sagte, "Na ja, der Herr Kachelmann hat Recht", und die andere Seite, die sagte, "Das Opfer hat Recht". Aber es waren schon sehr viele prominente Männer, die sich öffentlich auch für Herrn Kachelmann eingesetzt haben und gesagt haben, er sei unschuldig. Ich stelle mir die Frage, wie die zu so einer Äußerung kommen können, dass Herr Kachelmann unschuldig ist, wenn selbst das Gericht nicht zu diesem Schluss kommt.

    Raith: Irmingard Schewe-Gerigk, die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Terre Des Femmes, im Gespräch mit meinem Kollegen Jonas Reese über das Urteil im Kachelmann-Prozess.