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Abgang eines Parteisoldaten

Er könne nur kurze Sätze, hat Franz Müntefering einmal über sich selbst gesagt. Aber die prägnante Formulierung ist nicht seine einzige Fähigkeit. Er vermochte es auch, Parteifreund wie politischen Gegner immer wieder zu überraschen. Mit seinem Rücktritt vom Parteivorsitz etwa im Oktober 2005, nachdem sein Kandidat für den Posten des Generalsekretärs nicht durchsetzbar war.

Von Frank Capellan, Gerhard Irmler und Rainer Burchardt | 13.11.2007
    Und auch heute wieder überraschte der Arbeitsminister und Vizekanzler. Aus ausschließlich familiären Gründen werde Müntefering seinen Kabinettsposten niederlegen - so machte es heute früh kurz nach zehn in Berlin die Runde. Und dies nur gut zwei Wochen, nachdem der Sauerländer beim SPD-Parteitag seinen Kampfesmut mit einem Griff in seinen Anekdotenschatz noch einmal unter Beweis gestellt hatte:

    "Als ich 1975 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag kam, bin ich zu Onkel Herbert gegangen, und hab dem erzählt, wie das jetzt so weiter gehen soll mit der Welt. Das ist ja so die Attitüde, mit der man als Abgeordneter da ankommt. Der Onkel hat sich das angehört und dann hat er gesagt, ja fang mal an, aber pass auf, dass Du nicht austrocknest. Ich habe das behalten, weil das so ein komischer Satz war, mit dem ich nicht wusste, was ich anfangen soll. Ich wollte Euch heute nur sagen, liebe Genossinnen und Genossen, es ist noch was da, ich bin noch nicht ausgetrocknet. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit."
    Franz Müntefering beim SPD-Parteitag von Hamburg. Sein Abschied aus dem Kabinett, das ist kein völliger Abschied von der Politik, sein Bundestagsmandat werde er behalten, sagte er. Nach 16 Jahren ist das aber der Abschied aus der ersten Reihe. Würde ich wieder machen - hat Spaß gemacht - so Münteferings Bilanz heute Nachmittag in kurzen Sätzen. Frank Capellan über die politische Karriere Franz Münteferings:

    Moses? - Das war doch eigentlich ein cooler Typ, kontert Franz Müntefering als Alt-Kanzler Schröder ihn in der Diskussion über sein Agenda-Erbe so völlig überraschend abkanzelt. Als coolen Typ haben auch viele Genossen Franz Müntefering stets verehrt, ein Workaholic, der bis tief in die Nacht - oft mit einem Zigarillo in der Hand - die Strippen in seiner Partei zieht.

    "Deshalb bin ich da gar nicht so zerknirscht an der Stelle."

    Eine Lieblingsformulierung des Franz Müntefering, der seine SPD an so vielen Stellen geprägt hat. Das knappe Müntefering Stakkato ist längst zum Kult geworden:

    "Die Fraktion ist gut. Die Partei auch. Glück auf!"

    Franz Müntefering, der Vermittler, ohne den Gerhard Schröder seine Reformagenda wohl niemals in der Partei hätte durchsetzen können. Schröder weiß, was er an Münte hat:

    "Franz, darf ich anfangen? Denn es geht hier um Inszenierung auch und da ist er der Zeremonienmeister, das ist ja gar keine Frage."

    Und der Alt-Kanzler übersetzt die Müntefering-Weisheiten schließlich sogar ins Englische:

    "The party is good. The parliamentary part of the party good. Thank you."

    Es dauert lange, ehe Franz Müntefering zu solchen Ehren kommt. Mit 26 tritt er in die SPD ein, wenig später in die IG Metall. Mit 35 wird Müntefering in den Bundestag gewählt, führt als Sprecher für Wohnungsbau eher ein Schattendasein. In der Bundespartei mischt der Westfale in der Tat erst spät mit. Zwar hat er als Vorsitzender des mächtigen SPD-Bezirks westliches Westfalen großen Einfluss, bundesweit wird er allerdings erst bekannt als ihn SPD-Chef Rudolf Scharping 1995 zu seinem Geschäftsführer macht:

    Müntefering: "Meine Parole: Mundwinkel hoch und Ärmel hoch gekrempelt, es geht um viel."

    1998 organisiert Müntefering den Wechsel zu Rot-Grün, prägt den Begriff der Neuen Mitte und macht Innovation und soziale Gerechtigkeit zum Wahlkampfthema:

    "Kohl ist das Gegenteil von Fortschritt und deshalb ist er hinderlich für die Zukunft unseres Landes."

    Die Kärrnerarbeit lohnt sich für Müntefering. Als Bauminister kann er den Regierungsumzug managen, doch schon nach einem Jahr braucht ihn Gerhard Schröder, um nach einer Serie von Niederlagen bei den Landtagswahlen wieder Ruhe in die Partei zu bringen: Müntefering erhält das neu geschaffene Amt eines Generalsekretärs. Was Schröder nicht kann, soll Münte richten: Die Seele der Partei streicheln, die Genossen mitnehmen auf einen mühsamen Weg der Reformen. Auch er muss lernen, dass sich Einschnitte am deutschen Sozialsystem nicht vermeiden lassen, wenn aber einem in der Partei eine solche Erkenntnis abgenommen wird, dann ist es Franz Müntefering. 2002 wird Müntefering Fraktionschef. Ihm kommt es nun zu Mehrheiten für ungeliebte Reformen zu sichern, Abweichler aus den eigenen Reihen ruft er schroff zur Ordnung:

    "Zu einer parlamentarischen Demokratie gehört, dass da nicht lauter freie Unternehmer im Deutschen Bundestag sitzen, sondern das man die Bundesregierung dann auch gemeinsam tragen muss."

    Trotzdem: Die Partei liebt Franz Müntefering, ganz anders als Gerhard Schröder, der muss einsehen, dass er sich immer mehr von den Genossen entfremdet und schmeißt im Herbst 2004 den SPD-Vorsitz, Müntefering tritt nun in die Fußstapfen Bebels und Brandts:

    "Das ist das schönste Amt neben Pabst, Vorsitzender der SPD zu sein."

    Ein Amt das er nach einem Jahr schon wieder aufgibt. Müntefering kann seinen Wunschkandidaten Wasserhövel nicht als Generalsekretär durchsetzen und kündigt überraschend an,

    "dass ich auf dem Parteitag in Karlsruhe nicht wieder als Parteivorsitzender kandidiere."

    Erstmals macht sich in der Partei Enttäuschung breit über Müntefering, der allerdings die Koalitionsverhandlungen mit der Union leitet und als Vizekanzler gestalten will. Macht zu haben, hat er einmal gesagt, ist für ihn nichts Negatives:

    "Macht ist unverzichtbar in der Politik. Die sucht man, das hat man gern, wenn man Einfluss hat und Einfluss gewinnt."

    Dass er wegen einer Personalie den SPD-Vorsitz hingeschmissen hat, hat Müntefering in den vergangenen Wochen häufig bereut. Anders als zwischen Schröder und Müntefering stimmt die Chemie zwischen Beck und Müntefering nicht mehr.

    "Wenn man weiß, dass diese Politik noch nicht populär ist, dann muss man nicht weglaufen, sondern muss dafür kämpfen, dass sie populär wird."

    Für Müntefering ist Kurt Beck einer, der wegläuft, der das Arbeitslosengeld 1 nicht aus Überzeugung länger zahlen will, sondern weil es ihm politisch nützt. Die Partei aber sehnt sich nach Korrekturen der Agenda. Dass er die Rente mit 67 durchgeboxt hat, haben ihm viele nicht verziehen. Tatsächlich hatte Müntefering das Projekt vor der Wahl rundum abgelehnt:

    "Sie wollen, dass das Renteneintrittsalter jetzt auf 67 erhöht wird, was für ein Quatsch. Wir müssen das faktische Renteneintrittsalter anheben."

    Dass Müntefering allerdings wegen der Auseinandersetzung um das Arbeitslosengeld zurücktreten würde, das will in der SPD bis zuletzt niemand glauben:

    "Über einen Rücktritt von Franz Müntefering muss man gar nicht ernsthaft reden,"

    versichert der Parteichef Beck Ende Oktober. Dass ihn nun zu allererst die schwere Krankheit seiner Frau dazu bewogen hat, doch zurückzutreten, wird Müntefering von allen Seiten hoch angerechnet. Das er gerne noch weiter gemacht hätte, darf man ihm getrost abnehmen

    "Wenn es sie mal nicht mehr geben wird, die große Koalition, irgendwann in 17.500 Stunden oder so ähnlich, werden sich viele im Land umsehen. Und die Leistungen der Koalition wertend werden sie sagen: Da kannste echt nicht meckern."

    Soweit der Beitrag von Frank Capellan. Zugeschaltet ist uns nun mein Kollege Rainer Burchardt, Experte in SPD-Dingen. Herr Burchardt, gibt es ihrer Ansicht nach wirklich ausschließlich familiäre Gründe für Münteferings Rücktritt?

    Burchardt: Na ja zunächst mal gebietet es natürlich auch ein wenig Pietät, das man sagt, das sind persönliche Gründe, die hat er noch mal sehr weit nach vorn gezogen, und von daher muss man das zunächst einmal glauben. Ich glaube auch tatsächlich, dass das ein ganz wesentliches Moment bei der Motivation ist, und was auch dafür spricht, ist ja, das Müntefering nicht erst heute morgen den Entschluss bekannt gegeben hat, sondern seine engsten Vertrauten bereits am Wochenende und gestern eingeweiht hat von seiner Absicht. Aber trotz alledem, ihm war wohl auch klar, dass er, nachdem er ging, über seinen Parteivorsitzenden sich schon beim Arbeitslosengeld 1 nicht hat durchsetzen können, dass er für den Fall, das jetzt in der Nacht, und so ist es ja gekommen, er im Grunde genommen auch eine zweite Niederlage erleidet, nämlich was die Mindestlöhne bei der Post angeht, dass das dann der letzte Tropfen war, und das Fass zum überlaufen war, und er dann eben auch tatsächlich diese Konsequenz gezogen hat. Also, es ist sicherlich in erster Linie das private Moment, aber das politische ist nicht zu missachten.

    Sie haben den Streit mit Kurt Beck angesprochen, über das Arbeitslosengeld 1. Kann es eigentlich sein, dass es nun nach Münteferings Rücktritt innerhalb der Partei nicht nur Bedauern, sondern auch Erleichterung gibt?

    Burchardt: Sicherlich bei einigen, dass ist klar, ich meine wir erinnern, und Frank Capellan hat es das ja auch schon mit wunderschönen O-Tönen belegt. Wir erinnern uns ja alle daran, dass Franz Müntefering ja nicht nur Parteisoldat war, sondern auch Parteibefehlshaber. Und er hat ja durchaus, auch da gab es ja einen O-Ton, er hat ja auch so genannte Abweichler in der Fraktion, sei es jetzt in der Kriegs- oder Friedenspolitik, sei es in der Sozialpolitik, die hat er ja immer wieder zur Ordnung gerufen. Und er hat ja auch nicht davor zurückgeschreckt, zu sagen, wer hier jetzt nicht spurt, der wird nicht wieder nominiert. Das ist natürlich eine ziemliche etatistische Auffassung, die er da hat, aber das ist nun mal typisch Franz Müntefering. Das weiß man, so ist er, und das war auch sehr wertvoll für die Partei, man wusste zumindest, wo es lang geht. Ob man das in Zukunft noch wissen wird, das wage ich mal zu bezweifeln, wobei Müntefering ja auch nicht davor zurückgeschreckt hat, letztendlich auch, ja man kann schon sagen, durch Umbiegen der Verfassung gesagt hat, also die Fraktion, die ist dazu da, die Regierung zu schützen, in der Verfassung steht immer noch da, dass das Parlament dazu ist, die Regierung zu kontrollieren, aber zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit gibt es ja schon seit Jahren einen gewaltigen Unterschied.

    Seine Frau finde seine Entscheidung gut, die Bundeskanzlerin nicht, so Franz Müntefering am Nachmittag in Berlin. Aus dem Munde Angela Merkels klang das vor einer guten halben Stunde so: Sie finde es schade, dass sie die Zusammenarbeit mit Franz Müntefering nicht fortsetzen könne.

    Franz Müntefering sei ein Anker der großen Koalition am Kabinettstisch gewesen, so wurde es ihm heute von allen Seiten attestiert. Die Regierungsarbeit ohne Franz Müntefering: Aus Berlin Gerhard Irmler:

    Im Regierungs- und Koalitionsalltag war Franz Müntefering als Vizekanzler und Arbeitsminister der direkte Ansprechpartner für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Erst in zweiter Linie war dies der SPD-Vorsitzende Kurt Beck.
    Doch der scheidende Arbeitsminister und Vizekanzler gab sich diesbezüglich bescheiden:

    "Das hat sich halt so ergeben, dass ich als gewissermaßen Stubenältester auf der SPD-Seite versucht habe, ein bisschen zu organisieren. Und das hat dazu geführt, dass ich öfter und gezielter als andere mit der Kanzlerin Kontakt hatte, daraus ergibt sich dann natürlich auch die Nähe und man bespricht viele Dinge miteinander, die über das eigene Fach hinausgehen."

    Merkel und Müntefering wurde stets ein enges Vertrauensverhältnis zugeschrieben, trotz aller Differenzen beim Mindestlohn und der Neuordnung des Niedriglohn-Sektors, der dem Vizekanzler so sehr am Herzen lag. Politisch, wie persönlich. Die Verlässlichkeit ihrer Beziehung, haben Merkel und Müntefering immer wieder betont. Und selbst heute morgen nach der für die SPD so enttäuschend verlaufenen Koalitionsrunde, wollte sich Franz Müntefering die Einschätzung seiner Partei, Angela Merkel habe beim Postmindestlohn "Wortbruch" begangen nicht zu eigen machen wollen, auch wenn er aus seiner Bitterkeit kein Hehl machte:

    "Das Thema Mindestlohn, das wird uns bleiben, und der CDU/CSU auch und man sieht sich immer mehrmals im Leben."

    Für Angela Merkel ist der Rücktritt Münteferings als Vizekanzler und Arbeitsminister der Großen Koalition ein herber Verlust. Er war die sichere Bank, die auf SPD-Seite tragende Säule dieser Koalition, trotz des eskalierenden Konflikts um Mindestlöhne und Münteferings kritisch bis ablehnender Haltung gegenüber Forderungen und Entwicklungen in der eigenen Partei. Sie habe gut mit Müntefering zusammengearbeitet, bedauerte Angela Merkel den Rücktritt ihres Arbeitsministers:

    "Es ist schade, dass wir unsere Zusammenarbeit nicht fortsetzen können, obwohl wir in verschiedenen Fragen durchaus auch unterschiedlicher Meinung waren, ich werde natürlich mit den Nachfolgern gut zusammenarbeiten."

    Bei allem Respekt für die Begründung des Rücktritts von Frank Müntefering, die schwere Krankheit seiner Frau, vermuten noch immer viele, dass der Zeitpunkt des Rücktritts nicht zufällig gewählt war. Die Kanzlerin hatte soeben die Einführung eines Mindestlohns bei der Post offiziell beerdigt und Kurt Beck im Gegenzug, die von Müntefering abgelehnte Forderung nach einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes 1 in der Koalitionsrunde durchgesetzt.

    Demontiert als Arbeitsminister und Vizekanzler hatten Kurt Beck und die Partei Franz Müntefering schon auf dem Hamburger Partei der SPD. Schon damals wurde spekuliert, ob Franz Müntefering zurücktreten werde und wenn nein, wie es ihm wohl gelingen könnte, den Spagat zwischen eigenen Überzeugungen, Kabinettsdisziplin und den Vorstellungen seiner Partei zu schaffen.

    Dem Nachfolger Münteferings im Amt des Arbeitsministers, dem Arbeitsrechtler und parlamentarischen Geschäftführers der SPD-Fraktion, Olaf Scholz, wird zwar die fachliche Kompetenz zugetraut, Zweifel hegen jedoch viele im politischen Berlin, ob Scholz jemals die Statur eines Franz Müntefering wird erreichen können, zumal nicht er, sondern Außenminister Frank-Walter Steinmeier der künftige Vizekanzler der Grossen Koalition ist.

    Womit, so fragt man sich, will sich Olaf Scholz profilieren, nach den gescheiterten Anlauf zum Mindestlohn für Postbedienstete?

    Reibungsloser, weniger angespannt, wird die Arbeit in der Großen Koalition, in der die Stimmung in den letzten Wochen ohnehin stets gereizter wurde, mit Sicherheit nicht. Für die Koalition bedeutet der Müntefering-Rücktritt ein schweres Beben auf der nach oben offenen Richter-Scala. Zumal auch zwischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Kanzlerin die Missstimmungen zugenommen haben, seitdem Steinmeier die Kanzlerin offen kritisiert und sich zwischen den Beiden in außenpolitischen Fragen ein Verhältnis herauskristallisiert, wie es Gerhard Schröder und Joschka Fischer hatten, der eine Koch, der andere Kellner. Hinzukommt: Frank-Walter Steinmeier ist seit kurzem auch stellvertretender SPD-Vorsitzender und damit ganz anders in die Parteidisziplin eingebunden als bisher.

    Vom Rücktritt Franz Münteferings profitiert, wenn man so will, der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck und dessen nach links gerückte SPD.

    In innenpolitischen Fragen wird sich die Kanzlerin fast ausschließlich mit Kurt Beck abstimmen müssen, der es sich verkniffen hat, als Minister nach Berlin zu gehen, um nicht in eine Kabinettsdisziplin eingebunden zu werden, die ihm womöglich schade, heißt es. Ein nur spärlicher Kommentar dazu von Franz Müntefering.

    "Das Kurt Beck sich so entschieden hat, natürlich hätte er alle anderen Möglichkeiten auch gehabt, lag in seiner Hand, aber ich kann das durchaus als eine vernünftige, pragmatische, sinnvolle Entscheidung sehen."

    SPD und Union versuchten den ganzen Tag über Sorgen über ein Platzen der Koalition zu zerstreuen. Zwar steht die Koalition vor einer schweren Belastungsprobe, als deren Garant für Regierungsfähigkeit und Koalitionstreue der SPD Franz Müntefering stets stand. Doch dass die Sozialdemokraten ihr Heil in der Opposition suchen könnten, glaubt niemand. Und selbstverständlich auch nicht Franz Müntefering:

    "Natürlich wollen wir regieren, und natürlich wollen wir auch 2009 regieren und dass das schwer genug ist auf der Strecke bis dahin, dass wissen wir ganz unsentimental, deshalb gibt man ja nicht auf, nein. Also Opposition da gibt es bei denen die Verantwortung haben in der Spitze keine."

    Kurt Beck wird nach dem Motto vorgehen "Augen zu und durch" und versuchen seine Partei in Abgrenzung zur Union aus dem 30 Prozent-Ghetto herauszuholen, das eigene Profil und das seiner Partei zu schärfen, indem er die Klientel der SPD besser bedient, als dies mit Franz Müntefering bisher angeblich der Fall war. Auf die Frage, ob die SPD nun geschwächt sei, reagierte Beck fast unwirsch:

    "Also wissen Sie, wenn das so wäre, dann dürfte nie jemand, auch aus Altersgründen ausscheiden, dann wäre man immer dadurch geschwächt."

    Der von vielen Kommentatoren immer wieder beobachtete Wahlkampf in der Großen Koalition im Hinblick auf die Bundestags-Wahl 2009 hat mit dem heutigen Tage begonnen.
    Soweit Gerhard Irmler. Rainer Burchardt, sinkt mit dem Abgang Münteferings die Chance der Großen Koalition, das reguläre Ende der Legislaturperiode zu erleben?
    Burchardt: Ja, zweifellos. Meines Erachtens ist das tatsächlich der Einstieg in den Ausstieg aus der Großen Koalition. Es wird wahrscheinlich noch verstärkt werden im Januar, wenn es die ersten Landtagswahlen gegeben hat, und wenn dann die SPD möglicherweise auch frischen Wind bekommen hat. Wenn das Ergebnis so aussieht, dass man sagen kann, wir können es jetzt wagen, dann glaube ich, wird tatsächlich hier die strategische Position so sein, dass es dann nur noch darum geht, zu klären, wer am Bruch der Koalition schuldig ist. Angela Merkel hat mit ihrer Äußerung eigentlich eher ein paar Krokodilstränen heute vergossen. Und sie hat ja Franz Müntefering meines Erachtens ganz bewusst heute Nacht auflaufen lassen, wohl wissend, dass da einiges im Busch ist, und die Reaktion von Frank-Walter Steinmeier heute Vormittag, von Müntefering, auch von Peter Struck, zeigt ja, dass der Haussegen also gewaltig, ja schief hängt kann man schon gar nicht mehr sagen, der ist kurz davor abzustürzen, und vor diesem Hintergrund sehe ich diese Koalition auf gar keinen Fall mehr bis 2009 halten.

    Wenn der Wahltermin also tatsächlich vorgezogen werden muss, ist es dann tatsächlich eine kluge Entscheidung von Kurt Beck von Mainz aus in die Koalitionsdinge einzumischen und nicht ins Kabinett einzutreten?

    Burchardt: Na ja, es gibt da ein Muster und dieses Muster heißt 1976, auch damals von Mainz aus interessanterweise mit Helmut Kohl, der damals im selben Amt war wie Kurt Beck, nämlich Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, und der ist ja auch nicht als Oppositionsführer angetreten in den damaligen Wahlkampf, sondern auch von Außen, wurde dann allerdings nach der Wahl, als er nicht Kanzler werden konnte, obwohl er für die Union 48,6 Prozent geholt hat, wurde dann aber Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer im Bundestag und hat dann eben noch mal Franz Josef Strauß auflaufen lassen, und wurde dann aber ´82 ja auch Bundeskanzler. Vielleicht kalkuliert Kurt Beck ähnlich, er ist ja auch von einer ähnlichen Mentalität, nicht so sehr politisch, aber persönlich, und er hat es ja auch schon angedeutet, oder andeuten lassen dass er sich nicht in die Koalitionsdisziplin einbinden lassen will, und vor diesem Hintergrund ist es gar nicht mal so verkehrt, dass er sich zumindest administrativ und taktisch zurückhält um dann im Zweifel als SPD-Vorsitzender mit seinem ganzen Gewicht sich einzubringen, zumal er ja die Speerspitze mit Frank-Walter Steinmeier hat, der sein Stellvertreter in der Partei ist.