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Abgehängte Regionen
Spaniens Provinz kämpft gegen den Niedergang

Kaum Jobs, keine Perspektiven: Spaniens abgehängte Regionen León und Teruel kämpfen um Geld und Aufmerksamkeit. Nach dem katalanischen Vorbild wollen die Menschen dort auch Druck machen. Auf der Straße und im spanischen Parlament.

Von Hans Günter Kellner | 24.02.2020
Spanien, die Gemeinde Caminreal östlich von Madrid: Ein Mann spaziert mit seinem Hund eine Straße entlang.
Abgehängt? Eine Gemeinde in der Provinz Teruel, östlich von Madrid (dpa/Fernando Esté)
Zehntausende haben vor wenigen Tagen in León demonstriert: Seit dem Niedergang des Kohlebergbaus liegt die Region im Nordwesten Spaniens darnieder. Sie hätten Angst um ihre Zukunft, ihre Kinder fänden keine Jobs mehr und müssten die Provinz verlassen, sagten die Demonstranten im spanischen Fernsehen.
Mehrere Städte haben sogar schon die Unabhängigkeit erklärt. Nicht von Spanien, aber von Kastilien-León, einer der 17 autonomen Regionen Spaniens. Wenn das einstige Königreich León wieder von Kastilien unabhängig wäre, käme auch der Aufschwung, hoffen die Befürworter des sogenannten "Lexit".
"Ich bin mir sicher, viele Politiker kennen die Probleme im ländlichen Raum", sagt Tomas Guitarte in Teruel – der Provinz im Osten Spaniens. Guitarte vertritt seit den Wahlen vom November die Bürgerinitiative "Teruel existiert" im spanischen Parlament. Seit Jahren protestieren die Menschen in seiner Heimat gegen den Niedergang der bevölkerungsarmen und strukturschwachen Provinz:
"Aber die Politik hat ihnen bislang nicht die höchste Priorität eingeräumt. Dabei sind die Probleme des ländlichen Raums für alle, die wir hier leben, viel existentieller als die Probleme in Katalonien oder im Baskenland."
Investitionsstau bei Autobahnen und Zugverbindungen
Die Probleme der ländlichen Regionen stünden im Schatten des Konflikts um Katalonien, klagen viele in Teruel. Das könnte sich jetzt ändern. Denn ohne die Stimme Guitartes im spanischen Parlament wäre Pedro Sánchez im Januar nicht als spanischer Ministerpräsident bestätigt worden. Im Gegenzug soll die Regierung Milliarden in Teruel investieren: In Autobahnen, eine Zugstrecke und schnellere Datennetze. Guitarte hofft:
"Die meisten dieser Autobahnen oder die Zugstrecke sind ja schon lange geplant, wurden aber nie umgesetzt. Teruel darf nicht weiter so isoliert bleiben vom Rest Spaniens wie bisher. Wenn wir die Provinz in das Netz der staatlichen Infrastrukturen integrieren können, erwartet uns eine brillante Zukunft! Denn wir liegen geostrategisch in einem interessanten Gebiet, zwischen Madrid, Valencia, Barcelona und Saragossa."
Ob Milliardeninvestitionen in Infrastrukturen aber tatsächlich die wirtschaftliche Entwicklung verbessern und damit auch die Landflucht eindämmen? Wirtschaftsexperten haben ihre Zweifel. Auch der Kommunalpolitiker Ignacio Urquizu, Bürgermeister von Alcañíz - mit knapp 16.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Provinz Teruel:
Die Jugend zieht weg
"Ärzte und Pfleger im Krankenhaus oder Lehrer an der Schule leben lieber in Saragossa und pendeln jeden Tag 200 Kilometer auf der Landstraße hin und her, statt sich hier eine Wohnung zu mieten. Das sind junge Leute, die nur darauf warten, dass eine Stelle in der Nähe von Saragossa frei wird."
Fertige Rezepte zur Lösung der Probleme hat niemand. Hoffnung gibt es dennoch: Zum Beispiel im 800-Einwohner-Dorf Castelserás. Ganz ohne Autobahnanschluss hat sich in der Nähe von Alcañíz ein kleines, innovatives Zentrum für den Internethandel mit 25 Unternehmen entwickelt.
Die Dorfkneipe ist die Infobörse, etwa zu den Algorithmen der Suchmaschinen, berichtet Raquel Sodric, Marketingexpertin, die vor sechs Jahren hierherzog. In der Region sei schon vom Silicon Valley von Teruel die Rede:
"Es sind wirklich sehr viele Unternehmen, wenn man bedenkt, wie klein dieses Dorf ist. Und alle tauschen sich aus. Jeder handelt mit etwas anderem, so gibt es keine Konkurrenz, dafür aber viele Synergien. Das kommt allen zugute."