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Abgepresst und versilbert

Der "Fall Dietel" belegt exemplarisch ein dunkles Kapitel der DDR-Geschichte: In den 70er- und 80er-Jahren wurden systematisch und brutal private Kunst- und Antiquitätensammler enteignet, um die Ware im Ausland gegen Devisen einzutauschen.

Von Hilde Weeg | 14.08.2010
    Heinz Dietel muss von Kunst und Antiquitäten fasziniert gewesen sein. Der Werbegrafiker war über die Jahre hinweg zum Kunstexperten und zum leidenschaftlichen Sammler geworden. Als er am 18. November 1975 im Alter von 64 Jahren in Erfurt starb, hinterließ er seinem Sohn als alleinigem Erben eine der bedeutendsten privaten Kunst- und Antiquitätensammlungen der DDR. Mit umfangreichen Beständen an Silber-, Glas- und Porzellankunst, Möbeln und Ostasiatika. Das heißt, Dietel hinterließ etwa die Hälfte seiner Sammlung. Den anderen Teil hatte er kurz zuvor dem staatlichen Kunsthandel übergeben müssen, um extrem hohe Steuernachforderungen von 1,2 Millionen Ostmark zu begleichen.

    Diese waren über ihn verhängt worden von Steuerfahndern der Kunst- und Antiquitäten GmbH aus dem Schalck-Golodkowski-Imperium. Der Fall wirft damit Licht auf ein dunkles Kapitel der DDR-Geschichte: In den 70er- und 80er-Jahren wurden systematisch und brutal private Kunst- und Antiquitätensammler enteignet, um die Ware im Ausland gegen Devisen einzutauschen. Hilfe für die maroden Staatsfinanzen der DDR. Insgesamt sind rund 220 solcher Fälle bekannt.

    1973 war Heinz Dietel sogar für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft genommen worden. 1974 begann er, mit Stücken aus seiner Sammlung die angeblichen Schulden abzutragen. Aber auch nach seinem Tod wanderten etwa 80 Kunstgegenstände aus seinem Nachlass an das Angermuseum in Erfurt, ohne Einverständnis seines Sohnes. Der Streit um diesen Bestand wird seit Jahren geführt, aktuell von dessen Berliner Anwalt Ulf Bischof, der zum Thema Enteignung privater Kunstsammler in der DDR promoviert hat:

    "Wir verlangen diese am 8. Dezember 1975 in das Angermuseum gelangten Gegenstände vom Angermuseum heraus."

    Bischof vertritt den Sohn und alleinigen Erben Matthias Dietel, der, mittlerweile 62 Jahre alt, in der Nähe von Boston in den USA lebt. Matthias Dietel hatte 2004 zum ersten Mal in Erfurt nachgefragt, wie das Angermuseum mit diesem Erbe umgehen möchte, weil seinem Vater und ihm als Erben übel mitgespielt worden war. 2009 schaltete er entnervt den Fachanwalt Bischof ein, weil sich nichts tat. Der Fall liegt nun in der Hand der Kulturbeauftragten der Stadt Erfurt, Tamara Thierbach, von der Linkspartei. In dieser Woche ließ Thierbach schriftlich verlauten, dass die Stadt die Herausgabe an Matthias Dietel ablehnt. Für ein Interview steht sie bis auf Weiteres krankheitsbedingt nicht zur Verfügung:

    "Im Angermuseum der Stadt Erfurt befinden sich Kunstgegenstände, die über den Kunstsammler Heinz Dietel in das Eigentum des Museums gelangten. Nach Auswertung aller bekannten Unterlagen sind derzeit keine rechtlichen Rückgabeansprüche erkennbar. Das Landesverwaltungsamt bestätigte zwischenzeitlich die Auffassung der Stadtverwaltung, wonach die unentgeltliche Herausgabe einzelner Sammlungsstücke nach der Thüringer Kommunalordnung nicht in Betracht komme."

    Die Erklärung fällt erstaunlich knapp aus. Der Verweis auf die Thüringer Kommunalordnung, wonach die Herausgabe einzelner Stücke verboten ist, betrifft ganz allgemein Sammlungsstücke, die eindeutig im Besitz der Stadt sind. Aber genau das bezweifeln Dietel und sein Anwalt. Einen Nachweis darüber, dass die Stadt rechtmäßige Eigentümerin ist, bleibt sie schuldig. Aber genau darum geht es.

    Matthias Dietel hat sich jahrelang um eine einvernehmliche Lösung bemüht. Er hat sich sogar dazu bereit erklärt, den größten Teil der väterlichen Sammlung dem Angermuseum zu schenken und nur wenige Stücke zur Erinnerung für sich zu behalten. Er ist von der Entscheidung der Kulturbeauftragten enttäuscht:

    "Ich bin sehr erschüttert. Ich habe mich bereit erklärt, den größten Teil der Sammlung an die Stadt zu schenken und nur ein paar Stücke zur Erinnerung zu behalten. Und jetzt: Ich kann nicht darüber fertig werden. Ich habe gerade keine Worte dafür, ich bin immer noch bissel in shock."

    Warum reagiert die Stadt so abweisend auf diese Bitte? Die jetzige Entscheidung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

    Der Fall Dietel: Ein Beispiel dafür, wie schwierig es auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist, zu DDR-Zeiten erlittenes Unrecht als solches aufzuklären und in irgendeiner Form zu entschädigen. Unrecht, das die im staatlichen Auftrag agierenden Devisenbeschaffer systematisch an rund 220 privaten Kunst- und Antiquitätensammlern begangen haben.

    Um sich den ungehinderten Zugriff auf wertvolle Kunstwerke und Antiquitäten zu sichern, wurde unter dem Dach von Schalck-Golodkowskis KoKo-Imperium, der Kommerziellen Koordinierung, 1973 die Kunst- und Antiquitäten GmbH in Berlin-Mühlenbeck gegründet. Ihre Aufgabe war, Kunstgegenstände und Antiquitäten zu finden und sie in den Westen zu verscherbeln, um damit Devisen zu erwirtschaften.

    In den 16 Jahren ihres Bestehens wurden von der Kunst- und Antiquitäten GmbH 430 Millionen D-Mark erzielt, ein bescheidener Anteil an den insgesamt 27 Milliarden D-Mark, die die KoKo insgesamt von 1966 bis 1989 "eingenommen" hatte. Der Löwenanteil des Geldes aus den Kunstverkäufen stammte dabei aus systematischen und skrupellosen Enteignungen von privaten Sammlern und kleinen Händlern. Nach Darstellung von Dietels Anwalt Bischof gehörte auch sein Mandant dazu. Aber: Obwohl nach Aktenlage rund 220 Personen auf diese Weise schweres Unrecht zugefügt wurde, hat kaum einer der Geschädigten nach dem Fall der Mauer seinen Fall vor Gericht gebracht und Klage erhoben - geschweige denn eine Entschädigung erhalten:

    "Es gibt keine Unterlagen – ich kann nur aus der Sekundärliteratur, wo darauf hingewiesen wird – es ist ein Prozentsatz, der unter 10 Prozent liegt. So aus dem hohlen Bauch raus: fünf Prozent."

    Der emeritierte Jenaer Rechtswissenschaftler Olaf Werner kennt sich mit den schwierigen Rechtsverhältnissen rund um diese Enteignungen sehr gut aus und erklärt, was die Aufarbeitung der Fälle so schwer macht:

    "Wir müssen sehen, dass jeder Fall unterschiedlich lag. Rein vom Tatsächlichen haben wir ja Fälle, in denen Personen etwas willentlich weggegeben. In anderen Fällen wurde es weggenommen. …Wen haben wir noch als Zeugen? Ist Druck ausgeübt worden? Deswegen kann man nie sagen, alle Fälle sind über einen Leisten zu scheren."

    Dazu kommt: Die Gegenstände in Privatbesitz waren meistens nicht eindeutig bezeichnet, es gibt kaum Fotos. In den Inventarlisten stehen nur grobe Bezeichnungen wie "Vase, 18. Jahrhundert, mit Landschaftsmalerei", "Silberbesteck, reich ornamentiert", oder "Barockstuhl". Wie sollen ehemalige Besitzer beweisen, dass es sich bei einem Stück um ihres handelt? Die kriminellen Händler in Mühlenbeck haben sich zudem bemüht, die Spuren zu verwischen: Die Sammlungen wurden bewusst zerschlagen und die Teile über Zwischenhändler in alle Welt verstreut. Mittlerweile sind viele Forderungen auch verjährt:

    "Also wir haben eine ganze Reihe von Problemen, die der Lösung bedürfen. Und man kann nur den jeweiligen Einzelfall angehen – man wird in vielen helfen können, aber ich befürchte, in den meisten aufgrund tatsächlicher Unklarheiten nicht. Weil über die Steuerbescheide eine willentliche Weggabe war. Wenn auch widerwillig, aber man hat es gemacht, um Steuerschulden zu begleichen."

    So auch im Fall Heinz Dietel. Falls er tatsächlich Steuern schuldig geblieben war, dürfte der Betrag deutlich unter der geforderten Summe von 1,2 Millionen Ostmark gelegen haben. Von den Behörden unter Druck gesetzt, hatte er dem staatlichen Kunsthandel kurz vor seinem Tod 1975 Stücke aus seiner Sammlung im Wert von 500.000 Mark übergeben. Nach seinem Tod konnte sein Sohn und Erbe Matthias nur noch etwa die Hälfte der Sammlung in der Wohnung seines Vaters finden und ein halbes Jahr später schließlich nur noch 12 Prozent als sein Erbe in den Westen überführen.

    Eine der zentralen Fragen betrifft die Zeit zwischen Dietels Tod im November und dem Eintreffen seines Sohnes in der Wohnung am 5. Dezember 1975. Der Sohn, damals 28 Jahre alt, fand einen Großteil des väterlichen Eigentums verpackt in Kisten vor, fertig zum Abtransport ins Angermuseum, um die restlichen Steuerschulden zu tilgen. Ein Finanzberater sowie der frühere Direktor des Angermuseums, Kurt Römpler, hatten über sein Erbe verfügt. Dietels Anwalt Ulf Bischof beschreibt die Situation:

    "Er hatte keine Vollmacht, das zu tun – zudem war Herr Dietel anwesend und hat gefragt, ob er nicht selbst die Dinge aussuchen könnte, wenn denn Dinge verkauft werden müssten. Er hat auch angeboten, die Steuern bar zu bezahlen – aber dazu kam es nicht, die Sachen wurden vom Angermuseum übernommen."

    Vollmachten hierfür von Heinz Dietel liegen nicht vor. Was genau dem Sammler zuvor widerfahren ist, lässt sich nur vermuten. Matthias Dietel lebte schon lange nicht mehr bei seinem Vater. Die Eltern hatten sich 1960 getrennt, Dietel war mit seiner Mutter nach Düsseldorf gezogen und später in die USA ausgewandert. Die Dokumente zum Fall Heinz Dietel liegen im Stadtarchiv Erfurt unter Verschluss oder sind von der Stasi vernichtet worden.

    Aber nicht nur in diesem Fall ist es schwierig, die genauen Hintergründe und Abläufe zu rekonstruieren. Nur wenige Zeitzeugen wollen sich zu den Vorgängen der Enteignungen äußern – die Täter sowieso nicht, aber auch die meisten Opfer nicht, sofern sie überhaupt noch leben. Einer der wenigen, der die kriminelle Vorgehensweise am eigenen Leib erfahren hat und davon erzählt, ist der Rudolstädter Auktionator Martin Wendl. Seine erste Frau Bettina und er hatten 1973 die kleine "Antiquitätenstube" in Rudolstadt eröffnet. Er war damals als Lektor im Greifenverlag tätig und schrieb Bücher über Kunst und Kunsthandwerk, sie restaurierte liebevoll Möbel und Puppen. Martin Wendl, heute 67 Jahre alt, erzählt:

    "Mit dem Antiquitätenladen ließ sich das sehr gut an: Es gab wenig ansprechende Dinge in den Konsumläden zu kaufen, die Nostalgiewelle kam gerade auf – und da konnte man, wenn man viel unterwegs war, relativ viel ranholen und verkaufen."

    Der Ärger mit den Devisenbeschaffern begann in den 80er Jahren, als seine Frau ihre restaurierten Puppen in anderen Städten auszustellen begann:

    "Man erzählt sich, dass dort irgendein westlicher Händler diese Sachen gesehen hatte und eine erkleckliche Summe in Aussicht gestellt hätte, wenn man diese Dinge in den Westen exportieren könnte."

    Das Interesse der Schalck-Mafia war geweckt, im April 1987 schließlich schritt man zur Tat, in den Stasi-Unterlagen als "Operativer Vorgang", "OV Puppe" dokumentiert.

    "Das war generalstabsmäßig vorbereitet. Der Angriff wurde so vorbereitet, dass ich erstmal weg vom Fenster sein sollte. Man zitierte mich unter irgendeinem Vorwand aufs Volkpolizei-Kreisamt – um mich zu irgendeinem Sachverhalt zu befragen. Man versuchte mich in der Zeit von 8.30h bis 11.30h etwa festzuhalten. In der Zwischenzeit waren etliche Herren von der Stasi und der Mühlenbeckschen Firma in dem Geschäft. Meine damalige Frau war drin und wurde quasi überfallen: Zeigen Sie mal Ihre Bücher! Die wussten ganz genau, die ist da überfordert –dann wollte man suchen, wo die Bücher sind. Aber nicht im Geschäft, sondern zuhause. Und in der Wohnung haben sie nicht nach den Büchern gefragt, sondern nach der Puppensammlung. Sie wollten die Puppensammlung sehen."

    In und um das kleine Geschäft und im kleinen Reihenhaus der Wendls versammelten sich die Staatliche Bau-Aufsicht Jena, die Staatsanwaltschaften Jena und Rudolstadt, acht Genossen des Stasi-Bezirks, der Vertreter des Finanzministers und ein Steuerfahnder aus Gera. Zudem wurden zwei PKW-Besatzungen und zwei Vernehmungsräume in der Untersuchungs-Haftanstalt Rudolstadt und in der SED-Ortsparteileitung bereitgestellt. Geplant war, am Vormittag verdächtiges Material sicherzustellen, um einen Haftbefehl gegen Martin Wendl und seine Frau zu erwirken. Die beiden wurden abgeführt wie Schwerverbrecher.

    Auch am folgenden Tag, dem 9. April 1987, ging die Bestandsaufnahme des Wendlschen Eigentums weiter. Unter den Schätzern aus Berlin-Mühlenbeck war auch der aus anderen Enteignungs-Fällen bekannte Siegfried Barchhaus, der als "IM Reinhardt" bei der Stasi geführt wurde. Die Liste umfasste schließlich rund 1000 Positionen:

    "Es wurde in der Wohnung komplett alles aufgenommen, was irgendwie einen antiquarischen Anschein hatte. Die Puppen wurden als erstes aufgenommen – die erste Frage war "Wo sind denn hier die 10.000 Mark-Puppen"? Da war wahrscheinlich gerüchteweise diese Puppensammlung hochgespielt worden, dass das ganz wertvolle Dinge waren – aber es waren mit viel Fleiß zusammengebaute Dinge, die von der Wertigkeit nicht den Export-Erwartungen entsprachen."

    Zwischen Privat- und Geschäftsvermögen wurde nicht getrennt: jeder Teppich, Schrank, sogar das Bett wurden zur Handelsware deklariert und willkürlich im Wert geschätzt. Die Schätzung wurde Wendls aber nicht vorgelegt. Um sie zu bekommen, sollte das Ehepaar 10.000 Mark zahlen. Nach dieser Inventur gingen die Devisenbeschaffer daran, aus den Schätzungen die Steuerschulden ihrer Opfer zu konstruieren. Wendl fasst zusammen:

    "Man hat also gesagt: Passen Sie auf – alles, was Sie besitzen, ist Handelsware. Und für die Handelsware brauchen Sie eine Eröffnungsbilanz, wie viel Sie eingesetzt haben. Und wenn das nicht da ist, ist quasi der Warenbestand schon der Gewinn. Und der damalige Steuersatz, das kann heute keiner mehr nachvollziehen, war 90 Prozent, der ganz normale Steuersatz, Einkommenssteuer. Das ging schon ab mittleren Einkommen los. Das heißt, die wollten unser Vermögen hoch schätzen, das Privatvermögen zur Ladenware erklären, dazu kommen dann soundso viel Prozent Verzugssteuern und Strafen – kurzum: Wir laden auf."

    Während Martin Wendl von den Ereignissen 1987 erzählt, beginnt er zu schwitzen. Sein Atem wird kürzer, sein Gesicht rötet sich. Er spürt erneut die Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber dem skrupellosen Staatsapparat. Denn mit dem Überfall im April war noch lange nicht alles ausgestanden, im Gegenteil: Fast fünf Monate lang mussten die Wendls zu Verhören nach Gera fahren, zwei- bis dreimal pro Woche. Alle Konten bis auf das Geschäftskonto wurden beschlagnahmt.

    Ein Steuervergehen war trotz intensiver Bemühungen der Stasi nicht nachzuweisen. Trotzdem kam ein Steuerbescheid: Darin wurde das Vermögen der Wendls auf 620.000 Mark geschätzt. Die Steuerschuld für die Jahre 1977-1986 belief sich demnach auf die astronomische Summe von 607.000 Ostmark. Die Wendls sollten zahlen. Glück im Unglück: Sie fanden Unterstützung bei dem Anwalt Christian Drechsler in Lobenstein. Er setzte sich für sie ein, erhob Einspruch und verlangte Einsicht in die Unterlagen, die er aber nicht erhielt:

    "Wir haben dann drei Wochen nichts gehört und bekamen drei Tage vor dem Ablauf der Einspruchsfrist einen Anruf: … wir sollten aufgrund dieses Einspruchs 36.000 Mark Gebühren zahlen – sie würden uns aber die Chance geben, diesen Einspruch zurückzuziehen."

    Mit rechtsstaatlichen Prinzipien hatte all das – in diesem Fall wie in den anderen rund 220 Fällen - nichts zu tun. Wendls Anwalt zog den Einspruch gegen den Bescheid zurück – aber mit dem Hinweis, dass seine Rechtsauffassung bestehen bliebe. Ein Vermerk, der im Verfahren nach der Wende wichtig wurde. Wer nicht protestiert hatte, hatte bei Rückforderungen nach 1989 deutlich schlechtere Karten.

    Für die Wendls stand 1988 fest: Sie mussten zahlen. Und: Sie wollten und konnten das Geschäft nicht weiterführen. Mithilfe von Freunden, Verwandten, letzten Ersparnissen und schließlich einem Teilverkauf ihrer Bestände an die Kunst- und Antiquitäten GmbH gelang es ihnen, die Summe von 620.000 Ostmark aufzubringen. Es gelang ihnen, sich freizukaufen und schließlich nach Westdeutschland auszureisen, im Mai 1989. Nach dem Fall der Mauer, im Frühjahr 1991, kehrte Martin Wendl mit seiner zweiten Frau nach Rudolstadt zurück, um hier ein Auktionshaus zu eröffnen. Die Peiniger von damals waren aber immer noch aktiv: Das bekam er zu spüren, als er 1992 mit seinem Anwalt das Steuerverfahren revidieren wollte. Das Finanzamt Rudolstadt lehnte dies ab. Es war der Ansicht, dass keine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze gegeben sei:

    "Unterzeichnet hatte diese Akte der damalige Steuerfahnder."

    Erst vor dem Thüringer Finanzgericht in Gotha erhielt Wendl schließlich Recht, die rechtswidrigen Steuerbescheide wurden aufgehoben. In dem Urteil vom 20. April 1994 heißt es:

    "Die Klage hat Erfolg, weil die angegriffenen Bescheide hinsichtlich ihrer Bestandskraft mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind."

    Wendl erhielt schließlich eine Entschädigung: "Ein Viertel hab ich dann wieder gekriegt. Meine damalige Frau hat die Hälfte bekommen – und es wurde 1:2 abgewertet, weil ja Währungsreform war – aber immerhin: Es war eine Wiedergutmachung und es war Westgeld. "

    Die Wendls gehören damit zu den wenigen Personen, die überhaupt juristisch anerkannt bekamen, welches Unrecht ihnen geschah. Die Täter der Kunst- und Antiquitäten GmbH wurden nicht verurteilt. Gegen Alexander Schalck-Golodkowski wurden mehr als 50 Verfahren angestrengt, alle liefen ins Leere. Dass die Vorgehensweise der Devisenbeschaffer kriminell war, daran besteht dennoch kein Zweifel. Der Jenaer Rechtswissenschaftler Olaf Werner formuliert das so:

    "Also man ist hier eigentlich alle nicht legalen, halblegalen und legalen Wege gegangen, um an die Sachen ranzukommen. Wenn’s auf Bestellung war, dann umso mehr, denn dann war der Preis höher. Die Rechtslage war uninteressant, man machte das, was man wollte. Wir sind hier nicht in einem Rechtsstaat."

    Es gibt Belege dafür, dass die kriminellen Steuerfahnder und Kunsthändler im Fall Heinz Dietel auf vergleichbare Art und Weise vorgegangen sind. Dietel ist nachweislich schon seit den 60er Jahren von der Stasi bespitzelt worden. Über ihn wurde in Erfurt die Kriminalakte "Olymp" angelegt, die aber mit vielen anderen Unterlagen 1989 vernichtet wurde, immerhin fand Anwalt Bischof dazu einen Löschvermerk.

    Warum die Stadt Erfurt nach Prüfung der Unterlagen dennoch zu der Überzeugung kommt, die Stadt sei rechtmäßig in den Besitz des Dietel-Erbes gekommen und Dietl habe tatsächlich so hohe Steuerschulden gehabt, ist weiterhin nicht nachvollziehbar. Wenn sie ihre Haltung so gut begründen kann, wie sie behauptet, warum legt sie die Beweise dann nicht vor? Wie es nun weitergeht, will Anwalt Ulf Bischof mit Matthias Dietel erst einmal beraten.