Dienstag, 19. März 2024

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Abgesagte Lesung der Kabarettistin
Empörungstheater um Lisa Eckhart

Man könnte sich empören, wenn es nicht so en vogue wäre, meint Knut Cordsen in seinem Kommentar. Um Konflikten mit den Gegnern der Kabarettistin Lisa Eckhart aus dem Weg zu gehen, hat das Hamburger Harbour Front Literaturfestival eine Lesung mit ihr abgesagt. Ist das ein Einknicken vor den Empörten?

Von Knut Cordsen | 07.08.2020
Wurde von Literaturfestival Harbour Front ausgeladen: Die Kabarettistin Lisa Eckhart
Die Kabarettistin Lisa Eckhart mit ihrem Programm "Die Vorteile des Lasters" in Osnabrück. (imago images / Future Image)
Empört Euch! Das war mal, knapp zehn Jahre ist es her, ein aufrüttelnder Imperativ, den der ehemalige französische Widerstandskämpfer und UN-Diplomat Stéphane Hessel ausgab. Sein gleichlautender Essay, der Protestbewegungen in ganz Europa inspirierte, war ein Bestseller. Längst ist "Empört Euch!" leider zum Schlachtruf in den sozialen Medien verkommen. Die Indignierten von heute sind eine diffuse Masse aus allzeit Entrüstungsbereiten auf Twitter. Sie tragen, wie es in Theresia Walsers vor einem Jahr in Salzburg uraufgeführten Theaterstück "Die Empörten" heißt, "die Moral wie eine Monstranz" vor sich her.
Polemik gegen "furchtlose Moralritter"
Die Kabarettistin Lisa Eckhart zerpflückt und entlarvt in ihren Programmen just jene in der Öffentlichkeit ausgestellte Tugendhaftigkeit, das sogenannte "virtue signalling" der sich immer wieder neu formierenden "furchtlosen Moralritter", welche bereits der satirische Autor und politische Kabarettist Walter Mehring so nannte, als die Erfindung sozialer Netzwerke noch in weiter Ferne lag. Insofern ist es nur natürlich, dass Lisa Eckhart heute ein Trend bei Twitter ist und ihr Name flugs zum Hashtag wurde. Eine Autorin, die unlängst erst im Wiener Magazin "Falter" konstatierte, dass "der Umgangston im Netz rau" ist, wird über die jüngste sie ereilende Empörungswelle kaum verwundert sein.
Sezierte Selbstwidersprüche
Man wird als "Gutunmensch", so verspottet sie unsereinen, halt ungern auf seine Selbstwidersprüche hingewiesen. Kunstvoll versteht die 27-Jährige das zu sezieren. Bitterböse stellt sie beispielsweise fest, dass, als Corona ausbrach, oft just diejenigen sich am lautesten um den Schutz der Großeltern sorgten, denen diese Altersgruppe kurz zuvor noch als Feindbild galt: "Heute heißen sie Oma und Opa. Gestern aber hießen sie noch Umweltsau und alter weißer Mann. Wie sehr wünschten sie denen den Tod. Und siehe da, jetzt sterben sie wirklich. Nur fehlt den Gutunmenschen die Schneid, das moribunde Röcheln der Alten konsequent mit ‚OK, Boomer!‘ zu quittieren." Das ist Lisa Eckhart at her best. Solche "metrischen Taktlosigkeiten", wie sie 2017 ihr erstes Buch nannte, provozieren naturgemäß Widerspruch.
Im "politischen Korrektum"
Ihr Programm lautet, niemandem in das zu kriechen, was sie das "politische Korrektum" nennt. Man muss das nicht mögen, aber man darf ebenso wenig den Sarkasmus ihrer Bühnen-Kunstfigur diskreditieren, indem man die Autorin wahlweise als Antisemitin, Rassistin oder Sexistin diffamiert, weil sie mit antisemitischen, rassistischen, sexistischen Klischees in ihren Programmen spielt. Das Unbehagen, welches selbst ihre Verteidiger bei Lisa Eckhart nicht leugnen, erinnert einen an Heinrich Heines Unwohlsein angesichts der Spottschärfe einer gewissen "Lady Mathilde", die er in seinen Reisebildern erwähnt: "Verdrießlich" sei ihm bei deren "wilder Spottlust" irgendwann geworden. "Vielleicht verletzte" sie ihn, überlegte Heine, weil ihre "Freude am Widerspruch der Dinge etwas Bösartiges" in sich trage.
Vereindeutigung ist der Feind der Kunst
Die Charakteristik jener "Mylady" durch Heine trifft ziemlich genau auf Lisa Eckhart zu: "Es gibt Herzen, worin Scherz und Ernst, Böses und Heiliges, Glut und Kälte sich so abenteuerlich verbinden, dass es schwer wird darüber zu urteilen. Ein solches Herz schwamm in der Brust Mathildens; manchmal war es eine frierende Eisinsel, aus deren glattem Spiegelboden die sehnsüchtig glühendsten Palmenwälder hervorblühten, manchmal war es wieder ein enthusiastisch flammender Vulkan, der plötzlich von einer lachenden Schneelawine überschüttet wird." Sowenig wie Heine diese Mathilde bekommen wir die Kunstfigur Lisa Eckhart zu fassen. Schon gar nicht mit falschen Vereindeutigungen, die seit jeher der Feind der Kunst sind – und die nun in letzter Konsequenz zu ihrer Ausladung vom Harbour Front Festival geführt haben. Wäre es nicht eh schon so en vogue, müsste man sich darüber glatt empören.