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Abhörskandal in Thüringen
Polizei soll jahrelang Anrufe aufgezeichnet haben

Bei der Polizei in Thüringen sollen jahrelang heimlich eingehende Telefonate aufgezeichnet worden sein. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Innenministeriums. Es ist unklar, was mit den Mitschnitten passierte und ob sie vielleicht gegen Polizeimitarbeiter verwendet wurden.

Von Henry Bernhard | 03.08.2016
    Ein Telefon mit dem Aufdruck "Vorsicht Abhörgefahr" liegt auf einem Schreibtisch.
    Ein Telefon mit dem Aufdruck "Vorsicht Abhörgefahr" liegt auf einem Schreibtisch. (Imago / Seeliger )
    Was klingt wie eine Provinzposse, könnte sich zu einem handfesten Datenschutz-Skandal entwickeln: Bei der Thüringer Polizei wurden seit 1999 Zehntausende eingehende Telefonate routinemäßig aufgezeichnet - auch mit Staatsanwälten, möglicherweise aber auch mit Rechtsanwälten, Journalisten und anderen Anrufern.
    Auch interne Gespräche sollen nach Recherchen des MDR mitgeschnitten und gespeichert worden sein. Ein Fall für die Erfurter Staatsanwaltschaft, erklärt deren Sprecherin Anette Schmitt-ter Hell: "Wir haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet aufgrund zweier Strafanzeigen. Tatvorwurf ist hier der Tatbestand Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß Paragraf 201 des Strafgesetzbuches."
    Anzeige erstattet hatten zwei Staatsanwälte. Ermittelt wird gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Innenministeriums.
    "Es liegt diesen Aufzeichnungen eine Dienstanweisung zugrunde des Thüringer Innenministeriums aus dem Jahre 1999. Wir haben diese jetzt beigefordert und auch mehrere Unterlagen angefordert, die alle im Zusammenhang mit dieser Dienstanweisung und dem Vorgehen der Polizei stehen und werden das jetzt auswerten."
    Es gab Gerüchte bei der Polizei
    Zwar sollen die Telefonate nach 180 Tagen routinemäßig gelöscht worden sein. Möglicherweise wurden aber auch vorab Vermerke angefertigt. Bei der Polizei selbst ist man entsetzt, erklärt der Thüringer Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Kai Christ. Schon früher habe es Gerüchte gegeben, dass Gespräche aufgezeichnet wurden; das Innenministerium habe aber vor drei Jahren versichert, dass diese Praxis ein Ende habe.
    "Ob und wie weit Aufnahmen ausgewertet worden und sind, ob womöglich sogar Aufnahmen zu Disziplinarverfahren oder zum Zwecke eines Strafverfahrens geführt haben, ausgewertetet worden sind, ist bis jetzt alles nicht klar, ist nicht geklärt. Das sind Fragen, die dringend geklärt werden müssen. Da ist das Innenministerium ganz klar in der Pflicht."
    Christ fordert von Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) "eine einhundertprozentige Aufklärung", welche Telefonnummern und welche Apparate überwacht wurden und was mit den Aufzeichnungen geschehen sei. Das Innenministerium verspricht schnelle Aufklärung, der Druck von allen politischen Parteien ist erheblich. Der Deutsche Journalistenverband fordert personelle Konsequenzen im Innenministerium.