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Abknicken statt aufreißen

Technologie.- Seit anderthalb Jahren drehen sich 45 Kilometer vor Borkum die ersten deutschen Offshore-Windräder. Allerdings führt mitten durch die Deutsche Bucht auch eine der am meisten befahrenen Schiffsrouten der Welt – vom Ärmelkanal nach Hamburg. Da sind Kollisionen eigentlich vorprogrammiert. Ein raffiniertes System verhindert die Crashs.

Von Monika Seynsche | 12.08.2011
    "Dietmar Szech ist mein Name, ich bin von Beruf Kapitän und beim Wasser- und Schifffahrtsamt Wilhelmshaven Leiter der Verkehrszentrale."

    Diese Verkehrszentrale besteht im Wesentlichen aus einem großen Raum mit zahlreichen Bildschirmen, auf denen sich kleine Pünktchen bewegen.

    "Und auf diesen Pünktchen befindet sich noch ein kleines Label, ein Mitlaufzeichen, und ein kleiner Strich, der quasi die Fahrstrecke der nächsten zwei Minuten anzeigt und hinter diesem Label, was aus einem Buchstaben und einer Zahl besteht, verbergen sich die gesamten Schiffsdaten, die wir in unserer Datenverarbeitung vorliegen haben."

    Jedes größere Schiff und auch jeder Windpark ist mit einem Automatischen Identifikationssystem ausgestattet. Diese AIS-Daten werden zusammen mit Radarsignalen auf den Bildschirmen in Wilhelmshaven angezeigt. So können Dietmar Szech und seine Kollegen genau beobachten, welches Schiff wohin fährt. Kommt ein Schiff einem anderen Schiff oder einem Windpark zu nahe, können sie versuchen, die Besatzung per Funk zum Kurswechsel zu bringen. Klappt das nicht, macht sich ein Sicherungsfahrzeug auf den Weg.

    "Das Sicherungsfahrzeug hat die Möglichkeit, da mal eine Rakete hin zuschießen, ein Blitzknallsignal [...] ich kann das so sagen, ich spreche aus eigener Erfahrung: Ich war selber zwei Jahre Kapitän auf dem Gewässerschutzschiff Mellum und [...]da musste man auch schon mal ein Fahrzeug drauf aufmerksam machen, dass er doch bitte seinen entsprechenden UKW-Kanal einschaltet und dann schießt man da ein Blitzknallsignal aus einem weißen Blitz und einem sehr lauten Knall vor die Brücke und dann merken die das schon."

    Wenn sie es nicht merken, kommen die Notschlepper zum Einsatz. Ab Windstärke 8 gehen in der Nordsee drei dieser Schiffe auf Position. Sie können jeden Fleck der Deutschen Bucht innerhalb von zwei Stunden erreichen, ein Schiff zur Not entern und aus der Gefahrenzone heraus schleppen. Sollte trotz all dieser Sicherheitsmaßnahmen einmal ein Schiff in einen Windpark geraten, schlimmstenfalls ein Öltanker, müssen die Windräder selbst dafür sorgen, dass ein Zusammenstoß so glimpflich wie möglich abläuft.

    "Jedes Fundament, das wir draußen bauen in dem Windpark, muss untersucht werden auf die sogenannte Kollisionsfreundlichkeit."

    Wilfried Hube hat als Projektleiter den Bau des ersten Deutschen Windparks, Alpha Ventus, betreut.

    "Das heißt nicht, dass die Struktur irgendwo ja ... eine Sollbruchstelle wäre übertrieben, aber es muss rechnerisch nachgewiesen werden, dass bei so einer Schiffskollision die Windkraftanlage nicht so beschädigt wird, dass sie eventuell auf den Tanker stürzt, ihn aufreißen lässt. Und das sind eben zwei Sachen, die wesentlich sind: Einmal, dass möglichst die Rumpfstruktur nicht beschädigt wird und das Zweite ist, dass nicht zum Beispiel eine Gondel von oben dann auf das Schiff kippt. Also die Anlage soll immer möglichst vom Schiff weg kippen, wenn so ein Fall passiert, damit die Beschädigungen möglichst gering sind."

    Passiert ist bislang noch nichts. Sowohl Wilfried Hube als auch Dietmar Szech sind optimistisch, dass es dabei auch bleiben wird. Denn alle genehmigten Windparks sind viele Kilometer von den Schiffsautobahnen in der Deutschen Bucht entfernt. Und selbst dort stößt sehr selten ein Schiff gegen ein anderes.

    "Im Durchschnitt kommen wir auf circa 100.000 Schiffsbewegungen pro Jahr und ich darf durchaus sagen, dass die letzte Kollision im Zuständigkeitsbereich der Verkehrszentrale Wilhelmshaven, für die ich ja nur sprechen kann, 1996 war. Das heißt, wir haben eine Unfallquote, die sich im Promillebereich bewegt."