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Abrechnung aus finsteren Tagen

Dem in Köln lebende Autor Dogan Akhanli wird in der Türkei der Prozess gemacht. Wie viele weitere inhaftierte Kollegen säße Akhanli wegen seiner politischen Haltung im Gefängnis, glaubt Halil Ibrahim Özcan, Sprecher der Schriftstellervereinigung PEN in der Türkei.

Von Gunnar Köhne | 08.12.2010
    Wenn Halil Ibrahim Özcan seine Hosenbeine hochschiebt, werden die Narben sichtbar. Zehn Jahre saß Özcan - heute Schriftsteller in Istanbul - nach dem Militärputsch 1980 im Gefängnis. Immer wieder wurde er gefoltert. Als Mitglied einer linken Stadtguerilla war er in blutige Auseinandersetzungen mit faschistischen Gruppen verstrickt. Doch nur die Linken bekamen die Brutalität des Staatsapparates zu spüren. Viel hätte sich in der Türkei seitdem gebessert, sagt Özcan, nebenbei Sprecher des türkischen PEN. Doch noch immer würden besonders Intellektuelle Opfer der Verfolgungswut einzelner Richter:
    "Rund 40 Kollegen sitzen derzeit in Gefängnissen. Aber sie wurden nicht verurteilt wegen eines Buches oder eines Artikels, jedenfalls steht davon nichts in der Anklage, sondern weil sie der Zusammenarbeit oder der Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen beschuldigt worden sind. Für uns sind diese Autoren aber dennoch Gewissengefangene, inhaftiert vor allem wegen ihrer politischen Haltung."
    Dass Dogan Akhanli wegen seiner Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern vors Gericht gezerrt wird, hält Özcan für unwahrscheinlich. Vielmehr sei er Opfer von Juristen geworden, die den Militärputsch vor 30 Jahren immer noch als eine Tat zur Rettung des Vaterlandes ansehen:
    "Du kannst heute in der Türkei über die Armenierfrage unbehelligt schreiben. Ich selbst habe das Thema in meinem letzten Roman behandelt - ohne, dass ich dafür angeklagt worden wäre. Akhanli ist also nicht wegen seiner Bücher im Gefängnis. Der Prozess gegen Akhanli ist Teil einer Abrechnung aus den Tagen des Putsches von 1980. Und es wird nicht der letzte Prozess sein, der aus diesem finsteren Kapitel in unsere Tage reicht."
    Schriftsteller im Knast? Damit leben wir, solange wir denken können, sagt der Istanbuler Romancier Roni Marguiles. Die türkische Justiz sei den Intellektuellen des Landes immer feindlich gesinnt gewesen, vielleicht sei die Solidarität für den inhaftierten deutsch-türkischen Kollegen Dogan Akhanli darum nur sehr schleppend angelaufen. Am vergangenen Montag protestierten Marguiles und vier weitere Autoren und Menschenrechtler in Istanbul auf einer Pressekonferenz gegen die Behandlung Akhanlis.
    "Wenn es nur diesen einen Prozess gäbe! Ich kriege doch jede Woche E-Mails, in denen ich aufgefordert werde an einer Solidaritätskundgebung vor Gericht oder an einer Pressekonferenz teilzunehmen. Ich käme ja zu nichts anderem mehr! Weil Akhanli deutscher Staatsbürger ist, bekommt sein Fall bei Ihnen in Deutschland mehr Aufmerksamkeit."
    Bislang machte der Fall Akhanli tatsächlich nicht viele Schlagzeilen in den türkischen Medien. Das wird sich vermutlich beim heutigen Prozessauftakt in Istanbul ändern, denn allein der angekündigte Besuch Günther Wallraffs sorgt für Aufmerksamkeit. Wallraff genießt seit dem Buch "Ganz unten", für das er in die Rolle eines türkischen Gastarbeiters geschlüpft war, Prominentenstatus.

    Die wenigen türkischen Prominenten, die sich bislang zum Fall Akhanli geäußert haben, sehen wieder einmal den Justizapparat am Pranger. Viel schlimmer als die Interna aus der amerikanischen Botschaft in Ankara, die über WikiLeaks veröffentlicht wurden, sei der Imageschaden, den die türkische Justiz nicht bloß im Fall Akhanli anrichte, schreibt der bekannte Publizist Cengiz Candar. Sie sei rachsüchtig, arbeite schlampig und mit Tricks.

    So auch im Falle der inzwischen in Berlin lebenden Feministin Pinar Selek. Obwohl sie vom Vorwurf, vor zwölf Jahren einen Bombenanschlag auf einen Istanbuler Basar verübt zu haben, gleich zweimal freigesprochen worden war, hat ein Berufungsgericht kürzlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet. Selek, die bereits zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft hinter sich hat, wird sich eine Rückkehr in die Türkei nun gut überlegen.
    Der Schriftsteller Roni Marguiles weiß, dass solche skandalösen Verfahren auch manchen in der Regierung peinlich sind. Dennoch müsse sie endlich handeln:
    "Immer wenn es ein Problem mit der Justiz gibt, sagt die Regierung: Die Justiz ist unabhängig, wir können uns da nicht einmischen. Wir sollten weitere Justizreformen abwarten. Aber unserer Geduld geht langsam dem Ende zu, die Regierung muss endlich etwas tun. Sonst gehen diese absurden Prozesse weiter."