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Abrechnung mit der Tourismusbranche und ihren Kunden

In Michael Hvoreckys Krimi "Tod auf der Donau" gerät die 22-tägige Reiseleitung des Protagonisten zum Spießrutenlauf zwischen Besichtigungstouren und Unterhaltungsprogramm an Bord, den Erwartungen kulturgeschichtlicher Fast-Food-Konsumenten, ihren Eitelkeiten und sexuellen Gelüsten.

Von Martina Wehlte | 25.06.2012
    Martin Roys Job als Reiseleiter auf einem Donauschiff könnte nicht härter sein. Die verwöhnten, mäkelnden Pensionisten, die er von Regensburg bis nach Tulcea in Rumänien rund um die Uhr zu betreuen hat, verhalten sich nicht anders als pflicht- und verantwortungsfreie Jugendliche mit ihrem lautstark provozierenden "alles geht". Einziger Unterschied: Die Jungen treten aus dem Bewusstsein ihrer Zukunft so auf, während die hundertzwanzig US-Greisinnen und –Greise auf dem Luxusliner der American Danube Cruises ihre körperliche Hinfälligkeit mit dem Habitus des fordernden Königs Kunde wettmachen wollen. Schließlich haben sie eine 8.000 Dollar-Reise gebucht und können sich dank Internetanschluss über jede Misstimmigkeit an Bord der America postwendend bei der Muttergesellschaft in Chicago beschweren.

    Michael Hvorecky schildert in seinem Roman "Tod auf der Donau" die 22-tägige Reiseleitung seines Protagonisten als wahren Spießrutenlauf zwischen Besichtigungstouren und Unterhaltungsprogramm an Bord, den Erwartungen kulturgeschichtlicher Fast-Food-Konsumenten, die sich mit billiger Touristenfolklore abspeisen lassen, ihren Eitelkeiten und sexuellen Gelüsten. Das Panoptikum von Martins amerikanischen Kunden vor Augen, möchte man wahrhaftig nicht mehr alt werden. Sie sind Ende sechzig bis Anfang neunzig, stützen sich auf Stöcke und bewegen sich lethargisch. Einer zieht seine Sauerstoffflasche hinter sich her, ein anderer ist dermaßen verfettet, dass er nahezu bewegungsunfähig während der gesamten Donaufahrt in seiner Kabine bleibt. Nein, Erwin, Catherine, Clark und die anderen mit ihren zerfurchten, fahlen Gesichtern haben nichts gemein mit den digital verjüngten Senioren auf Werbeplakaten. Aber was sie haben ist:

    "Vor allem… panische Angst vor fast allem: dem Wetter, dem Euro, Taschendieben, den Unannehmlichkeiten der Zeitverschiebung. Die Amerikaner gönnen sich erst im hohen Alter so richtig Urlaub, bis dahin arbeiten sie sehr hart. Während die Europäer nur noch apathisch auf den Tod warten, umringt von Pflegekräften und bei den eigenen Kindern und Nachbarn verhasst."

    Das ist die mitleidlose Perspektive einer jüngeren Generation, die sich um ihre Werte gebracht und von globalen Großunternehmen gnadenlos verheizt sieht, während sich die saturierten Älteren einen komfortablen Lebensabend leisten können. Mit beißendem Sarkasmus beschreibt Michael Hvorecky nicht nur die zahlungskräftigen Touristen sondern auch die profitable Branche, die deren Ansprüche mittels hoch qualifizierter Akademiker ohne festen Job bedient. Und dass er dabei auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann, wird aus seiner Erzählhaltung überdeutlich. Er polarisiert: die Hauptfigur, einen umfassend gebildeten, aber mittellosen Slowaken und fast klischeehaft ungebildete, wohlhabende Amerikaner; einen trunksüchtigen, aber sehr erfahrenen Kapitän und den aalglatten Juniorchef des US-Unternehmens in Maßanzug und mit protzigem Goldarmband. Vor drei Jahren hat Martin Roy den Idealismus eines brotlosen Übersetzers aufgegeben, die Bewerbungsmühle der American Danube Cruises erfolgreich durchlaufen und die Firmenphilosophie des Unternehmens verinnerlicht:

    "Verlier niemals die Selbstbeherrschung. Ein Problem ist eine Herausforderung. Das Leben ist ein Schiff und eine Karriere das Ziel. Die ADC ist unser ABC."

    Dafür lügt er wie gedruckt, denn der Dienstleistungssektor folgt eigenen Regeln, zumal beim amerikanischen Geschäftsmodell:

    "Martin, bitte, was ist Barock? Die Frau Reiseführerin hat es einige Male erwähnt, fragte Jeffrey und beugte sich über den Schalter.
    "Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Das habt ihr in Amerika nicht."
    "Wirklich nicht?"
    "Barock war eine italienisch-politische Diktatur, die noch vor der Gotik in Europa herrschte. Sehr böse, obskur und gefährlich!"
    "Gut, dass wir das in Amerika nicht haben! So was brauchen wir auch nicht. Was wir jetzt brauchen, ist eine gute Wirtschaftslage und Ordnung."
    "Du sprichst mir aus der Seele, Jeffrey", antwortete Martin.


    Wie es die US-Senioren verstehen, ihr tatsächliches oder vorgebliches Siechtum auf Landgängen zweckdienlich zu inszenieren, während sie in der Schiffsbar ein geradezu jugendliches Durchhaltevermögen unter Beweis stellen, so hat auch Martin eine schauspielerische Routine erlangt, mit der er die Erwartungen seiner Kunden erfüllt, ohne doch sein Bewusstsein von der geistesgeschichtlichen Überlegenheit des Europäers gegenüber amerikanischen Flachbrettbohrern abzulegen. Er ist mit Peter Altenburg, Hugo von Hofmannsthal, Egon Fridell vertraut und er hat von Kindheit an eine innige Liebe zu dem europäischen Strom, den er nun als Cruise Director, als Schiffsleiter, befährt: die Donau. Neben der markanten Zeichnung und erhellenden Überzeichnung seiner Figuren liegt die Stärke des Autors in der atmosphärischen Landschaftsbeschreibung und den bruchlos eingebundenen historischen Rückblenden, die europäische Geschichte vor Ort lebendig werden lassen:

    "Fünfundfünfzig Kilometer nach Linz, bei der Stadt Grein, folgte ein österreichischer Flussabschnitt mit dem Namen "Strudel & Wirbel", auf dem sich schon seit Jahrhunderten Tragödien zu ereignen pflegten. Im Jahre 926 ertrank dort Bischof Drakulf. … Das Schloss Artstetten lag bereits hinter ihnen, wo der Nachfolger des Habsburgerthrons, Erzherzog Franz Ferdinand, begraben liegt, welcher 1914 dem Attentat in Sarajevo zum Opfer fiel. Auf beiden Seiten zogen sich Wälder hin. Die Fische sprangen über die Wasseroberfläche. Die Sonne erhitzte den Fluss, und heiße Luft stieg auf, sie zeichnete Wolkenkreise um die Hügel."

    Erinnerungen an die Kindheit, authentische Momentaufnahmen von 1989, als der Eiserne Vorhang fiel, und sogar ein Schwenk in die Zeit, als in der Slowakei entlang der Donau Goldsand gewaschen wurde, führen meisterhaft vor, wie sich Geschichte anschaulich erzählen lässt. Nicht gelungen ist Michael Hvorecky allerdings eine schlüssige kriminalistische Handlungsführung, durch die der Mord an einer rumänischen Putzfrau und an dem schwergewichtigen Clark Collins motiviert oder gar aufzuklären wäre. Da helfen auch symbolträchtige Raben, ein plötzlich verdreckt und schäbig wirkender Luxusliner und die insgesamt morbide Atmosphäre im zweiten Teil des Buches nichts. Allzu halbherzig lässt der Autor einen der amerikanischen Passagiere, William Webster, einen Ausbruch von Raserei absolvieren und danach gelegentlich bedrohlich wetterleuchten, ohne ihn jedoch zu einem diabolischen Rächer, einem Triebtäter oder Wahnsinnigen aufzubauen. Wenn nach der Trauerfeier für den Kapitän in einer Friedhofsszene ein rätselhafter Zeitsprung angedacht wird, durch den sich ein Schiffsunglück von 1868 im Untergang der "America" noch einmal wiederholt hätte, so ist man perplex über eine derart an den Haaren herbeigezogene Erklärung.

    Ebenso desolat wirkt der Ausgang der gescheiterten Liebesgeschichte um Martin und seine Jugendfreundin Mona, einer typischen Vertreterin des Akademikerproletariats von heute, das von der Hand in den Mund lebt, moralische Skrupel über Bord wirft und in Europa leider immer zahlreicher wird. Ihr sozialer Absturz am Ende des Buches ist nur konsequent, ebenso wie Martins Rückkehr an den Schreibtisch, nachdem er dem Flammeninferno auf der "America", das er auf der Flucht vor dem Schiffsmörder notgedrungen ausgelöst hat, gerade noch entkommen ist. Am, Schreibtisch hätte er auch besser bleiben sollen, anstatt noch am Ende als Seelenretter den Säugling seiner koks- und alkoholabhängigen Ex-Freundin Mona zu entführen. So bleibt man über den Ausgang des Romans einigermaßen ratlos zurück, denn die Handlungsfäden verlieren sich zwischen Schein und Sein wie der Donaustrom in seinem sumpfigen Delta, in dem die "America" untergegangen ist. Schade !
    Martina Wehlte

    Michal Hvorecky: Tod auf der Donau.
    Aus dem Slowakischen von Michael Stavaric. (Originalausg. 2011)
    Cotta'sche Buchhandlung (Tropen Roman), 271 Seiten 19,95 Euro