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"Abrüstung und Rüstungskontrolle sind dringliche Themen"

Wolfgang Ischinger, erstmals Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, stellt die Reduktion konventioneller und atomarer Waffen in den Vordergrund des Forums. Sorgen machten ihm die Entscheidungsverbindlichkeit des Weltsicherheitsrates sowie die Einbindung der Energiewirtschaft in sicherheitspolitische Themen.

Wolfgang Ischiner im Gespräch mit Jochen Spengler | 06.02.2009
    Spengler: Die Mächtigen der Welt werden von heute bis Sonntag in München keinen einzigen Beschluss fassen, und dennoch knüpfen sich an die 45. Münchener Sicherheitskonferenz große Hoffnungen – nicht nur, weil man sich Aufschluss erhofft über den künftigen außen- und sicherheitspolitischen Kurs der neuen US-Administration unter Präsident Barack Obama.
    Am Telefon in München ist nun Wolfgang Ischinger, langjähriger deutscher Botschafter in den USA und in Großbritannien und nun der neue Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Ischinger.

    Ischinger: Guten Morgen!

    Spengler: Das ist heute für Sie eine Prämiere. Sind Sie aufgeregt?

    Ischinger: Aufgeregt nicht, aber sehr gespannt und ich gebe zu, sehr viel geschlafen habe ich in den letzten Nächten nicht, weil das Telefon natürlich von in der Tat 7 Uhr morgens bis Mitternacht unentwegt schellt – gerade auch, weil ja eben sehr viele Gäste aus den USA und aus anderen Erdteilen erwartet werden, wo die Uhren etwas anders gehen.

    Spengler: Könnte bei so einer Konferenz eigentlich etwas schief gehen?

    Ischinger: Es geht immer irgendetwas schief. Ich habe gerade vor wenigen Stunden schon die erste kleine, nicht gravierende, aber immerhin bedauerliche Katastrophenmeldung bekommen. Das so genannte Stimulance Package im amerikanischen Senat ist noch nicht verabschiedet. Das wird dazu führen, dass die Senatoren, auf die ich mich hier sehr gefreut habe, Senator McCain, ein alter Freund der Münchener Konferenz, Senator Carey, vermutlich es bis heute Abend oder morgen Früh nicht nach München schaffen werden. Die sind sozusagen die ersten Opfer, was die Sicherheitskonferenz angeht, der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise.

    Spengler: Fragen wir mal umgekehrt. Wenn Sie sich ein Ergebnis von München wünschen könnten, wie sähe denn da Ihr Wunschergebnis aus?

    Ischinger: Ein glaubwürdiger und klarer neuer Aufschlag der neuen amerikanischen Regierung in den Hauptbereichen, um die es geht: in den transatlantischen Beziehungen, in dem Verhältnis zu Russland und im Verhältnis zum größeren Mittleren Osten, also einschließlich der Fragen arabisch-israelischer Konflikt, Gaza, Iran und Afghanistan.

    Spengler: Herr Ischinger, nun haben Sie selbst vor unrealistischen Erwartungen an die USA gewarnt. Was wäre denn unrealistisch?

    Ischinger: Unrealistisch wäre die Erwartung, dass die neue amerikanische Regierung sozusagen mit einem Zauberstab die Probleme innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen lösen kann. Das wäre völlig unrealistisch. – Realistisch ist es aber, dass jetzt zu Beginn dieses Jahres – und München ist dafür eine gute Bühne, denke ich – neue Angebote formuliert werden, neue Akzente gesetzt werden. Wie gesagt, einer meiner Gesprächspartner im Weißen Haus bei den Vorbereitungen hat tatsächlich Tennis-Sprache benutzt und sagte, wir machen unseren ersten Aufschlag außerhalb von Washington in der Außenpolitik in München. Der erste Aufschlag – heute Abend fängt er an.

    Spengler: Glauben Sie denn, dass die Amerikaner gut trainiert haben, dass sie sozusagen schon ihr Konzept in der Tasche haben?

    Ischinger: Ich persönlich bin sehr beeindruckt – und ich habe den Eindruck, ich bin nicht der einzige – von der Personalauswahl, die der Präsident in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik getroffen hat. Solche Namen, die ja auch über den Kreis der Fachleute hinaus bekannt sind, wie Richard Holbrooke, um von Hillary Clinton jetzt mal ganz zu schweigen, wie der künftige stellvertretende Außenminister Jim Steinberg, langjähriger Fachmann im Weißen Haus, wie General Jones selbst, langjähriger NATO-Oberbefehlshaber, einer der wenigen Amerikaner, die ich kenne, der völlig fließend und perfekt Französisch kann, der Europa wie seine Westentasche kennt. Also ich bin beeindruckt. Das sind erstklassige Profis, die wissen, was sie wollen.

    Spengler: Wir können und wollen nicht alle Themen streifen, über die in München gesprochen wird. Klar ist: der Begriff Sicherheit geht weit über Rüstung hinaus, über Atomraketen hinaus. Worin sehen Sie derzeit die größte Bedrohung unserer Sicherheit?

    Ischinger: Ich habe große Sorgen in zwei Bereichen, die miteinander zusammenhängen. Ich sehe eine sich abschwächende Legitimität unseres gesamten internationalen Systems. Das fängt an mit der berühmten Frage, wie kann der Weltsicherheitsrat verbindliche Entscheidungen für die Welt treffen, wenn kaum die Hälfte der Welt unter seinen ständigen Mitgliedern repräsentiert ist. Das gleiche gilt aber auch für die Strukturen in der Wirtschafts- und Finanzwelt. Die Bundeskanzlerin hat ja hier vor wenigen Tagen Vorschläge gemacht. Dringlich ist und klar erkennbar ist: Die Reformen, über die wir seit vielen Jahren reden, die sind jetzt nicht nur notwendig, die sind längst überfällig. Also hier gibt es internationale Strukturfragen größter Ordnung.

    Zweiter Punkt: Die Abhängigkeit von Verbrauchern und Lieferanten im Öl- und Gasgeschäft, in der Energiepolitik, die führt zu einer ganz neuen Konstellation zwischen dem, was man klassischerweise die außenpolitische Elite nennt und der Wirtschaft. Wir können doch hier in München, denke ich, nicht über die Energiesicherheit Europas reden, wenn wir nicht auch einen Fachmann, sagen wir mal, von E.On oder von Gazprom, wenn Sie so wollen, mit am Tisch haben. Deswegen habe ich den Versuch gemacht, die Konferenz auch stärker noch als in der Vergangenheit für führende Köpfe aus der Wirtschaft zu öffnen. Wir brauchen deren Expertise, genauso wie ja umgekehrt zurzeit die Wirtschaft die Politik braucht, um aus der Patsche der Finanzkrise herauszufinden.

    Spengler: Wir sprechen mit Wolfgang Ischinger, dem neuen Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Wir haben gerade angesprochen, was gehört heute zur Sicherheit. Gehört so was Traditionelles wie Abrüstung, Rüstungskontrolle zur Sicherheit eigentlich noch dazu? Davon war ja zuletzt kaum die Rede und man hatte den Eindruck, so richtig wichtig ist das nicht mehr.

    Ischinger: Ich bin Ihnen richtig dankbar für diese Frage, denn in der Tat werden wir heute Nachmittag zu Konferenzbeginn genau diese Themen in den Vordergrund stellen. Sie verdienen dringlich wieder neue Zuwendung.

    Spengler: Warum?

    Ischinger: Es gibt eine Menge ungelöste Probleme, die die Sicherheit Europas unmittelbar tangieren. Denken Sie mal an den so genannten KSE-Vertrag. Da geht es um konventionelle Rüstung in Europa. Das hat der Bürger seit dem Ende des Kalten Krieges vergessen. Der Vertrag ist aber nicht in trockenen Tüchern; der muss endlich mal ratifiziert werden, damit die Zahl von Panzern und Artillerie und so weiter in Europa nicht eines Tages (aus welchen Gründen auch immer) wieder maßlos aufwachsen könnte. – Denken Sie an die jeweils über 2.000 interkontinentalen Trägersysteme, die die USA und die Russen immer noch mehr oder weniger gegeneinander aufgestellt haben. Alle Fachleute sind sich einig – und ich teile diese Meinung -, dass eine Absenkung auf die Hälfte, auf etwa 1.000 Systeme, nicht nur realistisch ist, sondern auch dringlich nötig ist. Es ist nicht nur Ressourcenverschwendung, es ist eine Bedrohung, zumindest eine potenzielle Bedrohung des Erdballs, solche Systeme in solchen Zahlen in einer Zeit aufrecht zu halten, in der es überhaupt keinen einzigen Grund rationaler Art dafür mehr gibt.
    Also Abrüstung und Rüstungskontrolle sind dringliche Themen. Es gibt gute Signale aus Washington und auch durchaus positive Reaktionen aus Moskau, dass es auch hier in diesem Bereich zu einem neuen Aufschlag kommt. Das wäre für die Gesamtatmosphäre gut, das wäre aber auch für deutsche und europäische Sicherheit gut. Deswegen wird zu diesem Thema ja auch gleich zu Beginn der Konferenz Außenminister Steinmeier sprechen, der dieses Thema ja schon in den letzten Monaten immer wieder dringlich angesprochen hat.

    Spengler: Herr Ischinger, Sie haben gesagt, wir sollten als Europäer nicht nur auf die Vorschläge der USA warten, sondern wir sollten ihnen auf Augenhöhe begegnen und unsere eigenen Vorschläge machen – setzt voraus, dass wir wissen, was wir wollen. Meinten Sie so etwas wie die deutsch-französische Initiative?

    Ischinger: Ja. Es ist wichtig und gut, dass wir unsere eigene Aufstellung zunächst einmal selbst vornehmen. Dazu gehört mehr Geschlossenheit, dazu gehört auch, dass man zumindest erste Schritte dahin unternimmt, dass nicht jeder europäische Kleinstaat seine eigenen militärischen Strukturen unabhängig von denen der Nachbarn aufrecht erhält, so als wären wir noch im 18. Jahrhundert. Hier ist doch mehr Pooling auf Neudeutsch, also mehr Zusammenführen, mehr Gemeinsames möglich, und Deutschland und Frankreich gehen gerade ja auch in diesem Bereich schon seit Jahren immer wieder einen Schritt gemeinsam voran. Ich denke, der Auftritt, den wir morgen erwarten, der Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten wird auch hier eine neue Tür öffnen, denn es ist ja angekündigt für den weiteren Verlauf dieses Jahres eine ganz grundsätzliche Entscheidung Frankreichs über sein Verhältnis zum nordatlantischen Bündnis. Wenn diese Entscheidung dann mal vollzogen ist, wird vieles in der Zusammenarbeit zwischen NATO und EU damit in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leichter werden, und vielleicht sogar, wenn wir mit gutem Beispiel weiter vorangehen, auch billiger in dem Sinne, dass wir unsere Haushaltsmittel – wir als Europäer – so einsetzen, dass wir mehr bringen können. Das wird uns auch mehr Respekt auf amerikanischer Seite einbringen.

    Spengler: Wolfgang Ischinger, der neue Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, im Deutschlandfunk am Telefon. Herr Ischinger, danke für das Gespräch.

    Ischinger: Schönen Dank! Auf Wiederhören.