Freitag, 19. April 2024

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Abschiebeanordnung
"Sicherstellen, dass ein solcher Fall in Abschiebehaft kommt"

Mit dem schärfsten Schwert des deutschen Aufenthaltsrechts, der Abschiebeanordnung, hätte man den Attentäter von Berlin, Amri, mit sehr strengen Meldeauflagen belegen können. Warum dies nicht geschehen sei, erschließe sich ihm nicht, sagte der Sicherheitsexperte Nikolaos Gazeas im DLF. Man müsse die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.

Nikolaos Gazeas im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.01.2017
    Der Aufenthaltsraum für rückzuführende Frauen und Männer (l) und das angrenzende Arbeitszimmer der Bundespolizei (r) , aufgenommen am 07.12.2015 bei der Bundespolizei auf dem Flughafen in Frankfurt am Main
    Der Aufenthaltsraum für rückzuführende Frauen und Männer am 07.12.2015 bei der Bundespolizei auf dem Flughafen in Frankfurt am Main. (picture alliance / dpa / Andreas Arnold)
    Sandra Schulz: Den Takt hat allerspätestens gestern die Kanzlerin vorgegeben mit ihrer Einschätzung, der Berliner Anschlag mahne schnell zu handeln, richtig zu handeln und nicht in Ankündigungen stecken zu bleiben. Da waren weitgehende Forderungen von Innenminister de Maizière (CDU) als Konsequenz aus dem Berliner Anschlag allerdings schon in der Welt. Die Verlängerung der Abschiebehaft zum Beispiel und die Möglichkeit, Gefährder mit einer elektronischen Fußfessel zu belegen. Und auch die SPD hat ihre Bereitschaft schon öffentlich gemacht, die Anti-Terror-Gesetze erneut zu verschärfen. Heute beraten Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister de Maizière. Vieles zeichnet sich jetzt schon ab.
    Am Telefon ist jetzt Nikolaos Gazeas, Experte für Sicherheits- und Strafrecht, Anwalt in Köln, und da lehrt er auch an der Uni. Schönen guten Tag.
    Nachjustierungsbedarf an wenigen Stellschrauben
    Nikolaos Gazeas: Guten Tag, Frau Schulz.
    Schulz: Ziehen die Minister, soweit sich das jetzt abzeichnet, die richtigen Konsequenzen?
    Gazeas: Zusammenfassend kann man sagen, dass es sinnvoll erscheint, über Änderungen nachzudenken. Ich möchte allerdings davor warnen. Man sollte nicht den Fehler machen, nun in Panik und Aufregung alles zu verschärfen, was nur irgendwie geht, sondern besonnen überlegen, an welchen, in meinen Augen hier wenigen Stellschrauben tatsächlich Nachjustierungsbedarf besteht. In einem ersten Schritt sollte man wirklich primär prüfen, ob die bestehenden Gesetze denn auch tatsächlich effektiv angewendet werden.
    Das was wir bislang zu dem Fall Amri erfahren haben deutet ja nun eher darauf hin, dass wir ein ganz großes Problem bei uns haben, nämlich ein Defizit im Gesetzesvollzug, und wenn wir das belastbar identifiziert haben, dann ist es an der Zeit, auch einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu prüfen. Aber man sollte vor allem nicht unüberlegt alles verschärfen, was nur irgendwie geht, denn eine hundertprozentige absolute Sicherheit, die wird es nicht geben. Die kann auch kein Gesetz verschaffen, das man irgendwie verschärft.
    "Gefährder unter erleichterten Bedingungen in Haft zu nehmen"
    Schulz: Es wäre ja zumindest nach dem Anschlag von Berlin durchaus ein Maßstab zu sagen, wir müssen die Stellschrauben so bedienen, dass sich ein Fall Anis Amri so nicht wiederholen kann. Sehen Sie das denn?
    Gazeas: Das ist richtig und das sollte auch oberstes Ziel sein. Und ich glaube, hier gibt es wenige Stellschrauben, an denen man sinnvollerweise schrauben kann. Das was im Moment in der Diskussion ist, etwa die Fragen der Abschiebehaft im weiteren Sinne noch einmal konkret zu prüfen und sich die Frage zu stellen, ob und warum Amri nicht in Haft genommen wurde, und sicherzustellen vor allem, dass ein vergleichbarer Fall wie Amri tatsächlich in Abschiebehaft kommt, das sollte gesetzlich möglich sein und das ist, je nachdem wie man das Gesetz auslegt, in weiten Teilen auch heute schon zumindest in den Grundsätzen möglich. Wir haben ein Problem in der bestehenden Gesetzeslage. Dort ist es nämlich so: Abschiebehaft darf dann nicht angeordnet werden, ist unzulässig, wenn zum Zeitpunkt der Inhaftierung nicht sichergestellt werden kann, dass die betroffene Person innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden kann.
    Das ist ein großes Problem, was wir haben, denn das war ja auch im Fall Amri so, und ich glaube, das wird sich von heute auf morgen auch nicht ändern, auch wenn man nun anfängt, mit den betroffenen Staaten zu sprechen. Hier macht es durchaus in meinen Augen Sinn, punktuell zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, ausschließlich Gefährder, nicht alle anderen Ausreisepflichtigen, Gefährder, Islamisten, die man für gefährlich hält, in einer solchen Konstellation unter erleichterten Bedingungen in Haft zu nehmen. Das ist aber noch mal eine wirklich kleine Stellschraube.
    Die Abschiebe-Anordnung (Paragraf 58a) im Aufenthaltsgesetz
    Schulz: Aber auch da gehen die Meinungen ja durchaus auseinander. Es gibt dieses Argument, das jetzt immer wieder gesagt wird, auch Thomas de Maizière, auch die Landesinnenminister hätten ein Gewahrsam anordnen können nach diesem Paragraphen 59 im Aufenthaltsgesetz. Das Argument stimmt dann so aber nicht?
    Gazeas: Paragraph 58a meinen Sie im Aufenthaltsgesetz, die Abschiebeanordnung. Die wäre in meinen Augen tatsächlich das Mittel der Wahl gewesen im Fall Amri und warum die Behörden hiervon nicht Gebrauch gemacht haben, das erschließt sich mir tatsächlich nicht. Ich möchte hier kein abschließendes Urteil fällen, weil wir noch mitten in der Aufklärung sind, aber da sollte auch die Öffentlichkeit, meine ich, ein ganz besonderes Auge drauf legen, denn mit diesem schärfsten Schwert, was das Aufenthaltsgesetz kennt, und wir haben ein sehr strenges Abschieberecht, wenn wir uns rein die Gesetzeslage anschauen, wäre es in meinen Augen möglich gewesen, Amri zumindest etwa mit sehr strengen Meldeauflagen zu belegen. Und wenn er dagegen verstoßen hätte, dann hätte man das wiederum sanktionieren und ihn, ich sage mal, weitaus besser in Kontrolle halten können, als das tatsächlich geschehen ist.
    Nicht zu viele Hoffnungen in elektronische Fußfessel stecken
    Schulz: Auf der Liste der Vorschläge steht auch die Möglichkeit, Gefährder mit Fußfesseln zu versehen oder zu belegen. Wie sehen Sie das?
    Gazeas: Rechtlich gesehen ist das grundsätzlich zulässig. Das muss alles natürlich im Rahmen unserer Verfassung auch verhältnismäßig sein. Aber dieser Vorschlag ist rechtlich umsetzbar. Ich stelle mir hier allerdings die Frage, ob das tatsächlich ein Mehr an Sicherheit bietet, denn die Fußfessel ist gerade nicht das, was das Wort sagt. Es ist keine Fessel. Sie fesselt keinen Menschen, sie lässt ihm den vollen Bewegungsraum und erlaubt nur, aber immerhin eine doch recht präzise Kontrolle seines Aufenthaltsorts und sorgt dafür, dass der Betroffene stets weiß, wir wissen, was Du tust. Die elektronische Fußfessel ist erwägenswert. Ich möchte allerdings dafür plädieren, dass man nicht zu viele Hoffnungen da reinsteckt. Eine elektronische Fußfessel wird in meinen Augen keinen entschlossenen Terroristen davon abhalten, eine Bombe zu zünden oder mit einem LKW irgendwo in eine Menschenmenge zu fahren.
    Schulz: Der Sicherheitsexperte und Kölner Anwalt Nikolaos Gazeas heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag". Danke Ihnen ganz herzlich für die Einschätzungen.
    Gazeas: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.