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"Abschiebungen von Afghanen sind verfrüht"

Nach einem einwöchigen Aufenthalt in Afghanistan ist Antje Möller, Abgeordnete der Grünen der Hamburger Bürgerschaft, der Auffassung, dass eine Abschiebung von Afghanen verfrüht ist. Für Rückkehrer ohne finanziellen Rückhalt, Familie und schlechter Ausbildung sei "es fürchterlich schwer, Fuß zu fassen".

10.05.2005
    Thoma: Afghanistan, das Land ist eindeutig auf dem Weg zur Demokratie aber es ist auch noch weit entfernt von stabilen und sicheren Verhältnissen. Antje Möller hat das jetzt selbst deutlich zu spüren bekommen. Antje Möller ist Abgeordnete der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft. Und sie ist im Moment in Afghanistan, um sich über die Sicherheitslage dort zu informieren und jetzt für uns am Telefon. Schönen guten Morgen Frau Möller.

    Möller: Guten Morgen Herr Thoma.

    Thoma: Der Selbstmordanschlag in einem Internet-Café in Kabul war am Wochenende auch bei uns in den Nachrichten, drei Menschen starben. Und Frau Möller, Sie wären fast selbst Opfer geworden. Was genau haben Sie dort erlebt?

    Möller: Man muss vielleicht sagen, dass wir damit einfach ein Stück der alltäglichen Gewalt mit erleben mussten. Wir sind in der selben Straße in einem benachbarten Internet-Café ein paar Stunden vorher gewesen. Es ist üblich, hier in Internet-Cafés zu gehen, weil zum Beispiel selbst die Kabuler Universität seit einer Woche kein Internetanschluss mehr hat. Viele Menschen bewegen sich in diesen Cafés. Und Gewalt ist tatsächlich an diesen Orten auch zu finden.

    Thoma: Haben Sie denn die Bombe selbst explodieren sehen und hören?

    Möller: Nein, es ist einfach Stunden später passiert und wir waren dann schon wieder in einem anderen Stadtteil, zum Glück.

    Thoma: Sind diese Anschläge gezielt gegen Ausländer in Afghanistan gerichtet?

    Möller: Es ist schwer festzustellen. Wir haben mit der Polizei auch darüber gesprochen, weil wir uns ja hier auch auf Grund der Sicherheitslage mit einem Leibwächter schon umgeben müssen, der uns mitgeteilt hat, dass die Zusammenhänge in bezug auf diesen Anschlag noch sehr unklar sind. Es wurde vermutet, dass es sich um einen Araber handeln musste, weil Selbstmordattentäter in Afghanistan ja untypisch sind. Aber ich kann da nicht mehr zu sagen. Das ist eine Gerüchteküche hier und für uns ist die Lage nicht wirklich klar.

    Thoma: Eigentlich sind Sie in Afghanistan wegen des Streits mit Hamburgs Innensenator Udo Nagel. Der will ja noch in dieser Woche damit beginnen, rund 5000 afghanische Flüchtlinge zurückzuschicken. Von den insgesamt 58.000 Afghanen in Deutschland lebt ein Drittel allein in Hamburg. Senator Nagel war auch dort in Afghanistan und sagt, die Menschen können zurück. Deswegen sind Sie jetzt dort hingefahren. Was ist Ihr Eindruck?

    Möller: Mein Eindruck ist ganz eindeutig der, dass es mit der Abschiebung noch zu früh ist. Wir haben hier mit vielen Rückkehrern gesprochen, wir haben länger in afghanischen Familien hier gelebt, allerdings - wie gesagt - nicht ohne, dass man Sicherheitsleute um sich hat. Aber es ist sehr deutlich geworden, dass Rückkehrer, die ohne den sozialen Zusammenhalt einer großen Familie hierher zurückkommen, ohne materielle Unterstützung mitzubringen und nicht gut ausgebildet sind oder abgebrochene Ausbildungen haben, die haben es hier fürchterlich schwer, Fuß zu fassen.

    Thoma: Also Sie sagen, sie sollten im Moment lieber noch nicht zurück nach Afghanistan?

    Möller: Ja. Abschiebungen sind verfrüht. Sie müssen sich vorstellen, dass dieses Land ja immer noch das drittärmste Land der Welt ist. Und wir laufen hier in allen Orten, wo wir waren, durch offene Kloaken. Kabul selber hat über 80 Prozent der Häuser ohne Wasserver- und -entsorgung. Strom gibt es manchmal ein paar Stunden, aber die hygienischen Verhältnisse und natürlich auch die humanitären Verhältnisse sind teilweise dermaßen schrecklich, dass wenn man sich dann vorstellt, jemand ohne alles - nämlich nur mit einem Koffer und 50 Euro in der Hand - zurück, der kann hier nicht wieder Fuß fassen. Es gibt kein soziales Netz, es gibt nichts, was ihn auffangen kann, wenn er keine Familie hier hat und wenn er nicht zurück kann in sein Heimatdorf, dort wo vielleicht ein kleines Netzwerk aus dem großen Familienzusammenhang besteht.

    Thoma: Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Einschätzung? Der Hamburger Senator Nagel war ja nun auch in Afghanistan und er sagt, sie können zurück. Und er hätte auch mit den zuständigen Ministern gesprochen und die hätten ihm gesagt: Ja, wir nehmen sie wieder auf, die Flüchtlinge.

    Möller: Ich glaube, es gibt zwei Gründe dafür. Einmal geht es natürlich Herrn Nagel auch um Politik. Sie wissen, dass im Juni die Innenministerkonferenz tagt. Dort denke ich, kann er, wenn es ihm tatsächlich gelingt, schon Menschen nach Afghanistan abzuschieben, sich sehr klar positionieren. Er wäre dann der erste Innenminister, dem das gelungen ist. Sie wissen sicherlich auch, dass das Memorandum of Understanding, was eigentlich auf der nationalen Ebene zwischen Schily und Kasai und dann auch unter Einbeziehung des UNHCR längst hätte abgeschlossen sein sollen, immer wieder scheitert. Andere europäische Länder haben dieses Memorandum of Unterstanding, damit auch einen klaren Regelungskatalog, einen Kriterienkatalog, wie Rückführungen durchzuführen sind und wann in welchen Fällen auch Abschiebungen stattfinden. Und das hat Deutschland alles nicht. Und ich denke und das ist meine Einschätzung, aus politischen Motiven möchte der Innensenator Nagel hier vorpreschen.

    Andererseits muss ich auch sagen, wenn wir nicht eine Woche hier in Afghanistan gewesen wären und die Gelegenheit gehabt hätten, mit vielen, vielen Menschen zu sprechen, die zurück gekehrt sind aus Pakistan, aus dem Iran aber auch aus Europa, und wir nicht die Gelegenheit gehabt hätten, auch auf das Land zu fahren, die Dörfer zu sehen, die kranken Kinder und die absolut schlechten Versorgungsverhältnisse, dann könnte vielleicht ein oberflächlicher Eindruck ein anderes Bild ergeben. Aber je mehr man sich mit den Menschen hier beschäftigt, je mehr Gespräche man auch führt und je mehr man auch sieht, wie zum Beispiel die jungen Leute sehr viel Hoffnung geben in die Demokratisierung dieser Gesellschaft und gleichzeitig aber auch ohne Wasser und Strom hier ihren Alltag verbringen, desto klarer wird doch nur das Bild.

    Thoma: Können Sie denn ihre Eindrücke dort auch dokumentieren, dass Sie sagen, in dieser Woche haben wir so viel gesammelt, dass man sagen kann, es spricht eindeutig vieles dagegen, dass man die Leute wieder zurück schickt? Können Sie das so dokumentieren, dass es möglicherweise die Innenministerkonferenz überzeugen kann?

    Möller: Das wäre natürlich ein großes Ziel von uns. Es würde mich freuen, wenn es wenigsten eine Bereitschaft gäbe, unseren Eindrücken zuzuhören. Ich habe natürlich auch Kontakt mit der Bundestagsfraktion der Grünen, die sehr wohl auch zuhören werden und sich auch für das, was wir erlebt haben und natürlich auch noch mal in einem Bericht dokumentieren werden, interessieren werden. Und ich hoffe, dass es gelingt, auch Einfluss auf die Innenministerkonferenz zu nehmen. Andererseits wünsche ich mir aber auch, dass wenn wir zurück nach Hamburg kommen auch dort noch mal in differenzierter Art und Weise gesprochen werden kann über dieses Vorpreschen von Herrn Senator Nagel. Und wie es ausgeht, werden wir sehen.

    Thoma: Antje Möller war das, Abgeordnete der Grünen der Hamburger Bürgerschaft. Im Moment ist sie in Afghanistan, um sich über die Lage dort zu informieren, vor allem darüber, ob die Flüchtlinge aus Deutschland jetzt schon wieder zurück können in ihr Heimatland. Dankeschön Frau Möller für das Gespräch.