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Abschied vom rechten Maß

Reichel: Herr Lütge, wie beurteilen Sie aus Ihrer Perspektive den Ausgang des Mannesmann-Prozesses?

25.07.2004
    Lütge: Ja, Frau Reichel, vorläufig ist die rechtliche Seite der Sache geklärt. Jetzt scheint es so zu sein, dass ein moralischer Makel bleibt. Dazu muss man allerdings auch sehen, was ihm vorgeworfen wird. Klaus Esser soll sich auf Kosten seiner Aktionäre bereichert haben. Nur muss man sehen, dass er den Wert seines Unternehmens gewaltig gesteigert hat um etwa 60 Milliarden Euro durch seine - wenn Sie es so nennen wollen - Abwehrschlacht, die er gegen Vodafone geführt hat. Von den 60 Milliarden sind allein 10 Milliarden Euro den kleinen Privatanlegern zugute gekommen. Erhalten hat er 30 Millionen Euro, das sind 0,3 Prozent Provision. Da muss man sich fragen, ist das wirklich zuviel? Warum soll er nicht diese 0,3 Prozent erhalten? Das muss man im Hinterkopf haben dabei.

    Reichel: Warum empfinden denn viele die Prämienausschüttung an Klaus Esser und Joachim Funk und andere hochrangige Mannesmann-Mitarbeiter als moralisch verwerflich? Also Bundespräsident Thierse sprach zum Beispiel von unanständiger Selbstbedienung.

    Lütge: In der Tat, jetzt wird nach Selbstbedienung gerufen, jetzt werden Höchstgrenzen gefordert. Es ist meines Erachtens so, dass wir hier immer noch zu sehr die Vorstellung haben, es gibt so etwas wie ein richtiges Maß, es gibt so etwas wie eine gerechte Höhe. Vergleichbar zu kleineren Gehältern darf die Lohnspanne angeblich nicht zu hoch werden. Das ist eine Vorstellung, die sicherlich aus früheren Zeiten kommt, wo das noch in größerem Maße so war, aber wir müssen uns, wie ich meine, auch aus ethischer Sicht in Zeiten der Globalisierung davon etwas verabschieden. Gerechtigkeit - auch im Hinblick auf Managergehälter - besteht nicht so sehr in einem bestimmten Lohnniveau und einer bestimmten Höchstgrenze, sondern eher darin, dass das Gehalt regelrecht zustande gekommen ist.

    Reichel: Was sind denn solche Regeln? Wie können denn solche Regeln aussehen?

    Lütge: Wir haben ja im Aktienrecht etwa eine ganze Reihe von Regelungen, wie solche Gehälter zustande kommen und da muss man sagen, in den USA gibt es sehr viel schärfere. Es wird ja jetzt häufig gefordert, unser Aktienrecht anzupassen, unsere Verhaltensstandards anzupassen an die, die international üblich sind. Im Moment werden zum Beispiel höhere Offenlegungspflichten gefordert, mehr Transparenz. Stoiber hat das unter anderem gerade verlangt. In der Tat haben wir hier Nachholbedarf. Also in der Vergangenheit haben wir es in der Deutschland AG damit zu tun gehabt, dass solche Gehälter im Grunde doch mehr oder weniger ausgekungelt wurden und insofern kommt glaube ich auch daher die moralische Verurteilung. Wenn wir mehr Transparenz hätten, dann hätten wir aus meiner Sicht viel weniger Probleme, auch moralische Probleme.

    Reichel: Die Regeln haben wir ja schon angesprochen. Sie sind ein Verfechter der Ordnungsethik, das heißt nur die Regeln werden moralisch bewertet, nicht aber die Taten innerhalb dieser Regeln. Wie könnte denn dieser Ansatz im Fall von Managergehältern weiterhelfen? Müssen die Regeln zum Beispiel verstärkt werden oder wie können sie auch gefunden werden?

    Lütge: In der Tat, wir können nicht die Handlungen innerhalb der Regeln bewerten, denn die Menschen, die innerhalb dieser Regeln handeln, die erwarten bestimmte Dinge, die die Regeln vorgeben. Auf sie wirken Anreize, die von diesen Regeln ausgehen, und da können sie nicht so einfach heraus im Wettbewerb. Da zwingt die Wettbewerbssituation insbesondere in der Globalisierung dazu. Jetzt haben wir es hier, wie ich sagte, mit Regeln zu tun, die möglicherweise der jetzigen Situation nicht mehr völlig angemessen sind. Wir müssen mehr Transparenz fordern. Wir haben in der Bundesrepublik seit zwei Jahren diesen "Corporate Governance Codex", der Offenlegungspflichten in wesentlich stärkerem Maße fordert. Der ist allerdings noch nicht umgesetzt worden von allen Unternehmen, auch nicht von allen DAX-Unternehmen etwa. Da wäre noch Nachholbedarf.

    Reichel: Sie sagen, die Manager haben sich im Prinzip an die Regeln gehalten, die Manager von Mannesmann. Auf der anderen Seite wird es als unmoralisch von vielen empfunden. Wie kann man sozusagen die Differenz überbrücken?

    Lütge: Wir müssen folgendes noch dabei berücksichtigen: Wenn wir an dieser Stelle jetzt sagen, das Verhalten von Klaus Esser war nicht zulässig, wenn wir das als kriminell einstufen, dann wird der nächste Manager, der in einer ähnlichen Situation steht, eine solche Abwehrschlacht nicht mehr führen und den Marktwert seines Unternehmens auch entsprechend nicht so hoch steigern und nicht das Maximum rausholen auch für seine kleinen Privatanleger. Das ist die Frage, ob wir das wollen. Das heißt wir setzen Anreize für den nächsten Fall, das müssen wir immer berücksichtigen. Insofern ist hier schwer zu sagen, worin wirklich der moralische Fehler bestehen soll. Also mein Eindruck ist, dass es hier um so etwas geht wie, es gibt ein angemessenes Maß von Gehältern und darüber dürfen wir nicht hinaus. Und da müsste ich dazu fragen, wie ist es denn bei Spitzensportlern etwa, wo wir gar kein Problem damit haben, dass die ein Vielfaches von dem verdienen, was Herr Esser und Herr Ackermann verdienen.

    Reichel: Warum gibt es dann besonders viele Diskussionen über Managergehälter und weniger über Fußball- und Popstargehälter?

    Lütge: Weil man schon den Eindruck hat, aus meiner Sicht, dass das Gehalt der Spitzensportler irgendwie verdient ist, da sieht man die Leistung offensichtlicher, während man in Deutschland doch in Bezug auf Unternehmen, auf Wirtschaft und den Markt immer so gewisse Vorbehalte hat. Es gibt moralische Vorbehalte gegen den Wettbewerb in Deutschland stärker als in anderen Ländern und es ist vielleicht nicht zu viel gesagt, von einer gewissen Marktfeindschaft zu sprechen bei uns. In den angelsächsischen Ländern sieht das ganz anders aus.

    Reichel: Nun gibt es ja natürlich noch ein anderes Argument, das viele ins Spiel bringen, dass auf der einen Seite zum Beispiel Arbeitnehmer sparen müssen, sie müssen Zugeständnisse machen, wie jetzt zum Beispiel bei Daimler Chrysler, auf der anderen Seite aber die Managergehälter eben sehr zugenommen haben in den letzten Jahren. Also es gibt da Zahlen, zum Beispiel von 1997 bis 2002 sollen die Managergehälter in den 30 Konzernen in Deutschland, die im deutschen Aktienindex sind, um 80 Prozent gestiegen sein, die der Beschäftigten insgesamt nur um 15 Prozent. Das klafft so ein bisschen auseinander, das wird auch als moralisch verwerflich angesehen. Wie können Sie denn gegen dieses Argument argumentieren?

    Lütge: Das ist sicherlich richtig, wir haben hier eine erhebliche Steigerung und gerade im Zusammenhang mit dem Problem um Hartz IV, wird dieses Problem jetzt als besonders dringlich empfunden. Nun wenn wir einerseits sagen, wir müssen uns an den USA orientieren in Bezug auf Offenlegungspflichten und Transparenz, dann müssen wir natürlich auch anerkennen, dass dort die Lohnspannen noch viel größer sind. Dort sind die Spitzengehälter noch wesentlich höher als etwa die von Herrn Esser. Insofern denke ich, dass wir da vielleicht ein bisschen dazulernen müssen. Allerdings würde ich zugestehen, dass die Empfindung der Leute auch daher kommt, dass diese Gehälter auch verschleiert wurden in den vergangenen Jahren, dass das immer so ein bisschen ausgekungelt wurde. Es wäre zum Beispiel eine Möglichkeit, eine Regel zu verbessern wenn man sagt, ab einer gewissen Höhe von Managergehältern muss die Hauptversammlung darüber entscheiden und nicht nur etwa der Vorstand oder wer auch sonst das tut, also dass es eine breitere Entscheidungsbasis dafür gibt. Das wäre aus meiner Sicht eine mögliche Regelverbesserung.

    Reichel: Der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge war das. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.