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Abschied vom Shareholder-Value?
US-Konzernchefs wollen nicht länger nur den Aktionären dienen

An den Börsen wird Erfolg daran gemessen, wie stark Aktionäre verdienen. Die Gewinnmaximierung wird häufig kritisiert. Jetzt spricht sich eine starke Lobbygruppe von US-Unternehmen für eine Abkehr vom reinen Shareholder-Value aus.

Von Peter Mücke | 21.08.2019
Sie sehen eine US-amerikanische Flagge vor der Börse in New York City
Die Börse an der Wall Street ist der Inbegriff der Macht der Aktionäre (imago stock&people)
Seit 50 Jahren gilt in den USA die Doktrin des Chicagoer Wirtschaftswissenschaftlers Milton Friedman: Die soziale Verantwortung eines Unternehmens ist es, den Gewinn zu maximieren. Der Shareholder-Value steht im Mittelpunkt. Also: Das Interesse der Aktionäre, dem alles andere unterzuordnen ist.
In den 80er-Jahren fand diese Haltung auch Eingang in die Popkultur. Ob in Bret Easton Ellis Roman "American Psycho" oder Oliver Stones Film "Wall Street", in dem Börsenhai Gorden Gecko über die Gier philosophiert: "Gier ist gut. Gier ist richtig. Gier funktioniert."
Es zählen nicht nur die Aktionäre
Auch der "Business Roundtable" – der Verband der wichtigsten Unternehmenslenker – folgte bislang dieser Philosophie. Umso revolutionärer liest sich deshalb die Erklärung, die jetzt die Chefs von immerhin 181 der 193 Mitgliedsunternehmen unterschrieben haben.
"Was wir jetzt sehen, ist eine Korrektur: Es reicht nicht, nur den Aktionären zu dienen. Unternehmen müssen sich breiter aufstellen und auch zum Wohl ihrer Angestellten, Kunden und lokalen Gemeinden beitragen. Wenn die Kommunen nicht gesund sind und funktionieren dann kann man auch kein erfolgreiches Unternehmen betreiben", sagt Alan Murray, der Geschäftsführer des Wirtschaftsmagazins "Fortune".
Seiner Ansicht nach war es höchste Zeit, dass die US-Unternehmen auf die wachsende Kritik aus der Bevölkerung und Teilen der Politik reagieren: Miese Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und die Dominanz der Großunternehmen sind auch Themen im US-Wahlkampf. Themen, die vor allem junge Leute interessieren. Und an die sei die Erklärung des "Business Roundtables" auch hauptsächlich gerichtet, sagt dessen ehemaliger Vorsitzender John Engler:
"Es ist eine Nachricht an die Millennials. Vor ein paar Wochen ist eine Gallup-Umfrage für die Harvard Universität erschienen, nach der mehr als die Hälfte der Millennials eine Abneigung gegen den Kapitalismus hat. Das zeigt, dass wir der Öffentlichkeit und vor allem den jungen Leuten besser erklären müssen, wem sie den heutigen Wohlstand zu verdanken und welche Chancen sie dadurch haben."
Umsetzung des Stakeholder-Value bleibt unkonkret
In der Erklärung betonen die Unterzeichner, das oberste Ziel für die Unternehmen solle in Zukunft nicht mehr die Gewinnmaximierung für die Aktionäre – also die Shareholder – sein. Die Konzerne seien allen sogenannten Stakeholdern verpflichtet – Kunden, Mitarbeitern, Zulieferern, lokalen Gemeinden und Aktionären. Das Wort alle ist dabei unterstrichen und wörtlich heißt es: "Die Amerikaner haben eine Wirtschaft verdient, die es jeder Person erlaubt, mit harter Arbeit und Kreativität erfolgreich zu sein und ein bedeutungs- und würdevolles Leben zu führen."
Einen radikalen Kurswechsel sieht der Republikanische Politiker Engler darin aber nicht. Eher eine Munitionierung in der politischen Debatte: "Die Unternehmen können jetzt rausgehen und sagen: Wir übernehmen Verantwortung. Und wir brauchen nicht die Politik dazu."
Auch Nancy Koehn, Historikerin an der Harvard Business School, nennt die Erklärung in der New York Times eine Antwort auf den Zeitgeist. Und so machen die unterzeichnenden Mitglieder des "Business Roundtables" auch keine konkreten Ankündigungen, wie das Ziel des Stakeholder-Values erreicht werden soll. Die Frage ist auch, wie die Reaktion der Wall Street ausfallen wird. Denn dort steht naturgemäß der Shareholder-Value im Mittelpunkt.