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Abschied von Schröders "zehn Geboten"

Die Agenda 2010 hat die einstige Arbeiterpartei SPD von den Gewerkschaften entfremdet. Sie hat etliche Wahlniederlagen verursacht, bis hin zum Verlust der Kanzlerschaft, zu ungeahnten Mitgliederverlusten geführt und links von der SPD eine neue Konkurrenz erwachsen lassen. Dass SPD-Chef Kurt Beck nun einen kleinen Teil der Reformen von Gerhard Schröder zurücknehmen will, wirkt zumindest parteitaktisch richtig.

Von Frank Capellan | 25.10.2007
    Ludwig Schmidt: " Aufbruchstimmung, nachdem die Mitgliederzahlen ein bisschen zurückgegangen sind, wollen wir sehen, dass sie mit dem Parteivorsitzenden Beck wieder nach oben gehen. "

    Stolz hält der Mann mit dem silbergrauen Haar dem SPD-Vorsitzenden seinen Mitgliedsausweis entgegen. Ludwig Schmidt ist 74 und immerhin schon seit fast 45 Jahren Mitglied der SPD. Kurt Beck trifft die Basis im hessischen Marburg. Und es soll endlich mal wieder Aufbruchstimmung verbreitet werden: "Auf mich kannst du dich verlassen!", gibt der alt gediente Kommunalpolitiker dem Chef mit auf den Weg.

    Kurt Beck stellt sich neben ihn, lächelt in die Kameras. Von solchen Leuten lebt unsere Partei, sagt er noch und zieht dann weiter.

    " Ich denke, es ist ein guter Parteivorsitzender. Ich finde schon, dass er seine Sache sehr gut macht und dass wir weiterhin auch gut aufgestellt sind mit ihm. "

    In Berlin allerdings braucht Kurt Beck lange, ehe er seine Rolle findet. Immer wieder werden seine Führungsqualitäten angezweifelt. Dass er das Zeug zum Kanzlerkandidaten haben könnte, trauen ihm viele nicht zu. Doch plötzlich ist alles anders geworden. Völlig überraschend hat er den alten Schröderianern gezeigt, was eine Harke ist. Selbst den Vizekanzler, in den Worten von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt so etwas wie eine Ikone der SPD, hat er im Streit um das Arbeitslosengeld I in die Schranken verwiesen. Das Parteivolk applaudiert - und König Kurt regiert nicht nur als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident mit absoluter Mehrheit, jetzt so scheint es, hat er auch die Partei völlig im Griff, bis auf weiteres zumindest. Wenn er morgen wie erwartet mit einem überzeugenden Ergebnis im Amt bestätigt wird, kann er sich zurücklehnen und seinen Kritikern zurufen "Was wollt Ihr eigentlich?"

    Hubertus Heil: " Dieser Bundesparteitag der SPD wird drei Ps klären, wenn sie wo wollen. P wie Parteivorstand und Personal, P wie Projekte und last but not least das Grundsatzprogramm der SPD. "

    Einen Parteitag der drei Ps kündigt Generalsekretär Hubertus Heil also an: Ganz oben die Personalie Kurt Beck, der Chef stellt sich zur ersten regulären Wiederwahl.

    " Wer Verantwortung an der Spitze einer Partei hat, der muss auch Führungskraft zeigen und ich will dies tun. "

    Was Kurt Beck am 14. Mai 2006 ankündigt, hat er mittlerweile wahr gemacht. Damals hatten ihn nicht weniger als 95 Prozent der Delegierten eines Sonderparteitages zum neuen Vorsitzenden der SPD gewählt. Doch der Neue führt zunächst nicht mit starker Hand, er moderiert zwischen den Flügeln der SPD. Mehr als ein Jahr lang funktioniert das mehr schlecht als recht. Anfang September allerdings, als sein Stellvertreter Peer Steinbrück und der designierte Parteivize Frank-Walter Steinmeier mit der Herausgabe des Buches "Auf der Höhe der Zeit" eine Bresche für Schröders Agenda-Politik schlagen und damit die Parteilinke provozieren, als das Gemurre von allen Seiten immer lauter wird, da platzt dem sonst so gemütlichen Pfälzer die Hutschnur:

    " Es ist jetzt gut. Wer nur von hinten hinterm Busch vor ruft, der muss sich sagen lassen, so nicht! "

    Der Basta-Beck ist geboren. Beck verschafft sich Respekt. Und allen ist klar: Mit den Nörglern hinterm Busch hat der Chef auch das Umfeld der Regierenden gemeint. Arbeitsminister Franz Müntefering stichelt immer wieder gegen den Parteivorsitzenden: Als Beck die Unterschichtendebatte beginnt, widerspricht Müntefering, als der SPD-Chef Koalitionen mit der Linkspartei ausschließt, relativiert Müntefering. Im Sommer, auf der Spargelfahrt des konservativen Seeheimer Kreises stiehlt der Vizekanzler gar dem Parteichef mit einer flammenden Rede die Show.

    " Wenn man weiß, dass diese Politik zur Zeit noch nicht populär ist, dann muss man nicht weglaufen, sondern muss dafür kämpfen, dass sie populär wird. "

    Spätestens mit dem Vorstoß, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I wieder auf bis zwei Jahre zu verlängern, ist der Parteichef in den Augen des Arbeitsminister weggelaufen. "Wir müssen jetzt das Vernünftige tun, nicht das Populäre" sagt der Vizekanzler in einer Präsidiumssitzung, "Wenn wir noch den Kanzler stellen würden, glaubt ihr, dann würde uns das Willy-Brandt-Haus vorschreiben wo es lang zu gehen hat", fragt er vor der Fraktion. Kurt Beck ein Populist, der auf persönliche Profilierung und die seiner Partei bedacht ist?

    " Etwas Populäres zu tun ist erstens, wenn es in der Sache richtig ist, nichts Negatives. Zum zweiten hat der Begriff Populist einen völlig anderen Klang, als zu sagen, ich mache in einer Frage etwas was auch populär ist. "

    Und populär ist die Verlängerung des Arbeitslosengeldes in der Bevölkerung ebenso wie in der SPD. "Kurt Beck hat lange in die Partei hineingehorcht", meint ein Vorstandsmitglied. "Er hat dann festgestellt, dass es genau an diesem Punkt dieses Ungerechtigkeitsempfinden darüber gibt, dass sich jemand, der im Alter unverschuldet arbeitslos wird, durch die Arbeitsmarktreformen ruck zuck nach einem Jahr als Hartz-IV-Empfänger wieder findet." Dass das den Menschen Probleme macht, hatte lange vor der SPD schon ein anderer, selbst ernannter Arbeiterführer entdeckt, Jürgen Rüttgers, Christdemokrat und Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen. Er hatte seine Partei vor einem Jahr dazu gedrängt, die Korrektur beim Arbeitslosengeld per Parteitagsbeschluss zu fordern. Als Rüttgers nun Mitte September 2007 in der Auftaktsendung von Anne Will auf Kurt Beck trifft, bringt er den SPD-Chef aus der Fassung:

    " Lieber Herr Rüttgers, was Sie sagen hat mit der Wirklichkeit so viel zu tun, wie eine Kuh mit der Strahlenforschung. Im Alltag unseres Kampfes in der Koalitionsrunde sieht das völlig anders aus, diametral anders. Schaffen Sie mal Ordnung in Ihrem Verein und dann reden wir über die Verbesserungen.

    Also erstens bin ich nicht als Parteipropagandist, sondern als ehemaliger ...

    Ich habe aber den Eindruck ...

    Darf ich ausreden?

    Aber immer, immer!

    ... als jemand der seine eigene Meinung hier vorträgt. Zweitens habe ich den Kampf geführt und habe aber nicht nachher eine Mehrheit dafür bekommen. Und derjenige, der es bisher verhindert, ist Ihr Vizekanzler. Das ist die Wahrheit.

    Ach! "

    Franz Müntefering verhindert eine gerechte Politik, die Union will uns erklären, was soziale Gerechtigkeit ist? Spätestens nach diesem Fernsehduell dürfte Kurt Beck den Entschluss gefasst haben, das Thema für sich zu nutzen. Dabei musste ihm allerdings von Anfang an klar sein, dass dies neue Probleme mit dem Vizekanzler, vor allem aber ein Glaubwürdigkeitsproblem heraufbeschwören würde. Vor einem Jahr nämlich kämpfte Kurt Beck an der Seite von Franz Müntefering gegen die Korrektur dieses wichtigen Teils der Agenda 2010. Redeausschnitte aus dem November 2006:

    " Das, was jetzt im Zusammenhang mit der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes diskutiert wird ist für meine Begriffe absolut kontraproduktiv, das ist nicht mein Ansatz in aller Klarheit, das kann er auch nicht werden. Wenn wir das Schleusentor an einer solchen Stelle öffnen, - wer kriegt es wieder zu? "

    Eine Frage, die heute auch Franz Müntefering stellt. Für den Arbeitsminister gilt als erwiesen: Eben weil das Arbeitslosengeld derzeit nur noch ein bis anderthalb Jahre gezahlt wird, sind die Menschen bei der Arbeitssuche schneller und kompromissbereiter geworden, in der Altersgruppe der über 50-Jährigen ging die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Jahr um 20 Prozent zurück, die Frühverrentung wurde gestoppt - der Beweis also, dass die Agenda wirkt. Aus Überzeugung stellt sich Müntefering gegen den Parteichef, der von Nachjustieren und Weiterentwickeln spricht:

    " Der Weg dieser Agenda war richtig, aber wir haben die eine oder andere Entscheidung weiter zu entwickeln. "

    Franz Müntefering: " Das ist auch keine Weiterentwicklung, sie ist schon ein Schwenk, den man da an einer Stelle durchführt. "

    Alles sieht zunächst nach einem Showdown zwischen sozialdemokratischem Parteichef und sozialdemokratischem Vize-Regierungschef auf dem Parteitag in Hamburg aus, doch Müntefering ist isoliert. Völlig überraschend gibt ihm sogar der Vater der Reformen zu verstehen, sich in seiner Ablehnung nicht zu verzetteln:

    " Die Agenda 2010 sind nicht die zehn Gebote, und niemand, der daran mitgearbeitet hat, sollte sich als Moses begreifen. "

    Zähneknirschend fügt sich Müntefering am Ende. Er setzt darauf, nichts gegen seinen eigenen Willen umsetzen zu müssen - solange die Union auf einer kostenneutralen Verlängerung beim ALG 1 besteht, solange könnte das gut gehen. Auf dem Parteitag jedenfalls will er nicht mehr gegen Becks Ideen kämpfen.

    " Auf dem Parteitag wird entschieden und dann gilt das. "

    Dass die Delegierten in Hamburg ihm mit großer Mehrheit folgen werden, gilt als sicher. Kurt Becks Hineinhorchen in die Partei hat ihn bestärkt, einen Kern der ungeliebten Agenda 2010 zu korrigieren. Schröders Reformen haben die einstige Arbeiterpartei von den Gewerkschaften entfremdet, sie haben etliche Wahlniederlagen verursacht, bis hin zum Verlust der Kanzlerschaft, sie haben zu ungeahnten Mitgliederverlusten geführt und links von der SPD eine neue Konkurrenz erwachsen lassen: Der Jubel der Partei musste ihm sicher sein, würde er es wagen, an den großen Stellschrauben der Schröderschen Agenda auch nur ein wenig zu drehen. Doch Applaus kommt nicht nur aus den eigenen Reihen, auch in den Umfragen legt die SPD erstmals wieder zu. Kurt Beck hat Machtinstinkt bewiesen und zumindest als Parteitaktiker alles richtig gemacht.

    Hubertus Heil " "P" wie Parteivorstand und Personal, wir erwarten, dass unter der Führung von Kurt Beck ein Spitzenteam gewählt und benannt wird vom Parteitag und zwar mit großer Mehrheit. "

    Becks Führungsmannschaft. Morgen wird gewählt. Dass Beck im Frühjahr ankündigt hatte sein Spitzenteam zu verkleinern, dass er rechts und links prominente Genossen und auch mögliche Konkurrenten einbezieht, dass hat sich spätestens mit dem Streit um das Arbeitslosengeld als geschickter Schachzug erwiesen.

    " Und das ist ja nett, dass wir Sie mal getroffen haben. Na, dass Sie extra gekommen sind - Gelächter - auf Wiedersehen. "

    Parteivize Nr. 1.: Frank-Walter Steinmeier. Der Außenminister ist Deutschlands populärster Sozialdemokrat. Ein denkbarer Aspirant auf die Kanzlerkandidatur, Im August begibt er sich aus der Weltpolitik in die Niederungen des künftigen Wahlkreises in Brandenburg. Steinmeier hatte nie ein Parteiamt, nie ein Mandat des Volkes - wer aber in der SPD was auch immer werden soll, der muss den Ochsenritt schnellstens nachholen. Dass die so genannte Kärrnerarbeit an ihm vorbeigegangen ist, dass er jetzt mir nichts dir nichts einen Wahlkreis vorgesetzt bekommt, das sorgt an der Basis nicht unbedingt für Begeisterung:

    " Die Genossen haben ein wenig gemault, weil die Tippel-Tappel-Tour, die man ja machen muss, von ihm nicht durchgeführt werden konnte aus den ja bekannten Gründen. "

    Steinmeier weiß um solche Vorbehalte. Auch deshalb hält er sich im Streit um das Arbeitslosengeld I auffallend zurück. Als Kanzleramtschef von Gerhard Schröder war er der Architekt der Agenda 2010, er hält Korrekturen für einen Fehler, doch - Punktsieg für Kurt Beck - Steinmeier wagt es mit Blick auf seine bevorstehende Wahl zum Parteivize nicht, sich klar zu positionieren. Erklärungsnöte:

    " Ich bin von meiner eigenen persönlichen Biographie aufs intensivste berührt mit diesem Reformprogramm, insofern ist es kein wirklich so ganz großes Geheimnis, was da im Augenblick geredet wird. "

    Kein Geheimnis ist auch, wie Parteivize Nr. 2 zu Becks Vorstoß steht. Auch Peer Steinbrück ist ein vehementer Agenda-Verfechter. Auch der Finanzminister bleibt ruhig, als es zwischen Beck und Müntefering so richtig kracht. Nach Tagen erst springt er seinem Kabinettskollegen zur Seite, warnt davor, ihn in den Rücktritt zu drängen, weil:

    " Diese politische Kraft, auf diese politische "Instanz" Franz Müntefering, weder das Land noch die SPD verzichten kann. "

    Steinbrück hatte sich zuvor weit aus dem Fenster gehängt - beklagt, dass seine Partei sich allzu oft für die Reformpolitik Schröders entschuldige, Steinbrück hatte gar Heulsusen in der SPD ausgemacht, die doch endlich mal stolz auf das Erreichte sein sollten. Damit machte sich der Parteivize nicht gerade beliebt, dass er mit seinem alten Ergebnis von 82 Prozent im Amt bestätigt wird, gilt nicht gerade als wahrscheinlich. Auffällig, dass Steinbrück schließlich in einem Spiegel-Interview Parteichef Beck zur Seite springt und Verständnis dafür zeigt, dass Kurt Beck mit der Arbeitslosengeld-Debatte nach neuen Mehrheiten schielt. "Ich kann wunderbar recht haben", so Steinbrück wörtlich. "Das nützt mir nur nichts, wenn ich nicht auch demokratisch legitimiert recht bekomme."

    Andrea Nahles: " Nach vorne gucken und auch ein bisschen verändern dürfen, das muss drin sein Franz. "

    Sie schlägt sich mit diesem Satz früh auf die Seite Becks: Andrea Nahles, die Letzte im Bunde der künftigen Stellvertreter-Troika. Die 37-Jährige hatte vor zwei Jahren den Rücktritt Franz Münteferings als Parteivorsitzender verursacht, sie wollte gegen seinen Willen Generalsekretärin werden. Nahles repräsentiert den linken Flügel der Partei, der durch die Agenda-Debatte erheblich an Gewicht gewonnen hat. Vor zwei Jahren auf dem Parteitag in Karlsruhe galt sie vielen als Königsmörderin - in Hamburg dagegen dürfte sie viel Zustimmung erhalten. Hubertus Heil:

    " "P" wie Projekte, die die SPD in den nächsten zwei bis drei Jahren durchsetzen will. "

    Die Projekte der Sozialdemokraten finden sich wieder in Anträgen, die am Samstag von den Delegierten diskutiert werden sollen. "Gute Arbeit" ist einer überschrieben, darin wird die Forderung nach gut bezahlter Tätigkeit und besserer Vermittlung von Arbeitslosen deutlich gemacht. "Reformen für ein soziales Deutschland" steht über einem anderen Antrag: Darin findet sich die Verlängerung des Arbeitslosengeldes 1 auf 15 Monate für über 45-Jährige und bis zu zwei Jahre für über 50-Jährige. Darin findet sich aber auch die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent oder die Einführung eines Rentenbonus´ für Arbeitnehmer im Alter von über 60 Jahre. Er soll die Belastungen durch die Rente mit 67 abfedern - bleibt aber weit hinter Ideen der Parteilinken zurück. In Hamburg dürften deshalb Wünsche nach weiteren Veränderungen an der Agenda 2010 geäußert werden - allzu kontroverse Diskussionen aber werden nicht erwartet, das Zuckerstückchen ALG I dürfte seine Wirkung zeigen.

    Lange hatte es so ausgesehen, als würde es wegen der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes Krach geben, doch nachdem neue Überprüfungen des Anti-Terror-Einsatzes Operation Enduring Freedom in Aussicht gestellt wurden, dürfte auch hier die Luft raus sein. Ähnliches wird für die Privatisierung der Bahn vorhergesagt - sie gilt als letztes Ventil frustrierter Sozialdemokraten. Doch der Parteichef beruhigt mit einem Antrag, der die Bahn vor dem Zugriff profitgieriger Heuschrecken schützen soll:

    " Dieser Antrag hat im Wesentlichen zum Inhalt, dass es keine Zerschlagung der Bahn geben darf. Deshalb ist beschlossen, dass wir die so genannte Volksaktie zunächst einmal für eine Tranche von 25,1 Prozent oder bis zu 25,1 Prozent an den Markt bringen wollen. "

    Hubertus Heil: " Und last but not least das Grundsatzprogramm der SPD. "

    Die SPD hat die Signale der Zeit erkannt, von Sonntag an soll das alte Berliner Programm von 1989 Geschichte sein. "Soziale Demokratie im 21. Jahrhundert" ist das neue Parteiprogramm überschrieben, darin findet sich der Wunsch nach einem "demokratischen Sozialismus" ebenso wieder wie eine angemessene Reaktion auf die Globalisierung. Der Finanzminister und stellvertretende Parteivorsitzende Steinbrück hatte für Unruhe gesorgt, weil er die SPD allzu sehr in der Rolle einer Wirtschaftspartei sah:

    " Die SPD muss diese Republik im wirtschaftlich-technischen Mangel auf der Höhe der Zeit halten und das bedeutet, dass wir die Rollos an unseren Landesgrenzen nicht runterlassen können, nach dem Motto: die Globalisierung findet woanders statt. Ich meine, wir Deutsche wollen alle ein T-Shirt für 4 oder 5 Euro haben. Wir wollen alle mit 19 Euro nach Malle fliegen und wir wollen einen DVD-Player haben für 39,95. Ja das ist Ausdruck der Globalisierung. "

    Vor allem aber die Abkehr vom Sozialstaat alter Prägung, sorgte für Widerspruch bei der Parteilinken. Vorsorgend soll der Staat reagieren, für bessere Bildung und gute Arbeit sorgen, damit niemand überhaupt von Leistungen des Sozialstaates abhängig werden muss, so steht es im neuen Programm, doch allein schon die Wortwahl musste mehrfach angepasst werden.

    Welches Signal also werden die Genossen in Hamburg verbreiten? Wird der Parteitag einen Sprung der Sozialdemokraten zu neuen Ufern bringen? Einen Linksruck der SPD, deren Chef sich immer mehr in der Klemme zwischen Linkspartei und sozialdemokratisch regierender Kanzlerin sieht?

    " Wir wollen nach vorne gehen und dieser Parteitag wird die SPD nicht nach links oder nach rechts, sondern nach vorne bringen, "

    versucht der Generalsekretär zu beschwichtigen. Doch klar ist, dass Kurt Beck die Mission in Angriff genommen hat, Wählerschichten links von der SPD zurück zu gewinnen. Zugleich wird gegenüber dem Koalitionspartner eine härtere Gangart angekündigt:

    " Diese Koalition ist kein Pony-Hof, das ist kein Kuschelverein, da gibt's Dinge miteinander zu klären. "

    Schon heißt es aus der Union, die Grundlage für die Große Koalition sei in Gefahr. Genau auf diese Reaktion dürfte der Parteichef gesetzt haben, um die Sozialdemokraten aus dem Schatten der Kanzlerpartei zu holen. Ob sein Konzept aufgehen wird? Forsa-Chef Manfred Güllner schüttelt den Kopf:

    " Herr Beck triumphiert, dass er den Parteitag hinter sich kriegt, dass er die Funktionärskader befriedigt hat, aber er muss 20 Millionen Wähler hinter sich bringen und das tut die SPD mit einem Linksruck auf keinen Fall. Und dieser Gewinn von Links kostet nicht zwei oder drei Wähler in der Mitte. "