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Abschuss wird einfacher
"Menschen müssen lernen, mit dem Wolf zu leben"

Bald sollen nicht nur Wölfe, die Nutztiere gerissen haben, getötet werden, sondern auch die Rudelmitglieder. Besser wäre es in Maßnahmen zu investieren, welche die Raubtiere fernhalten, sagte Wildtierökologe Marco Heurich im Dlf. Man könne Elektrozäune errichten oder sogenannte "Landschaften der Angst".

Marco Heurich im Gespräch mit Michael Böddeker | 22.05.2019
Ein Rudel Wölfe streift im Februar 2017 im Wildpark in Poing (Bayern) durch ein Gehege.
Das Bundeskabinett will den Abschuss von Wölfen erleichtern (dpa-Bildfunk / Alexander Heinl)
Michael Böddeker: Wölfe haben ein schlechtes Image. Dazu haben die Märchen vom bösen Wolf beigetragen. Und früher einmal sicher auch die tatsächlichen Konflikte zwischen Wolf und Mensch. Lange Zeit gab es dann in Deutschland keine Wölfe mehr. Aber: Seit einigen Jahren sind sie zurück. Etwa 100 Paare und Rudel gibt es laut Schätzungen aktuell in Deutschland, Tendenz steigend. Vor allem in Sachsen und Brandenburg. Dort ist der Umgang mit den Tieren auch ein Thema im Wahlkampf. Denn viele Menschen haben Angst vor den Raubtieren. Schäfer und andere Halter von Nutztieren zum Beispiel.
Gerade hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze vorgeschlagen, Wölfe zum Abschuss freizugeben. Allerdings nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Nämlich: Wenn sie schon Nutztiere gerissen haben. Aber ist das wirklich eine gute Idee? Oder welche anderen Maßnahmen wären sinnvoll, damit Mensch und Wolf gut zusammenleben können? Ein internationales Forscherteam hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Und einer von ihnen ist Marco Heurich, Wildtierökologe an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ihn habe ich gefragt, was er von dem Vorschlag hält, Wölfe unter bestimmten Voraussetzungen zum Abschuss freizugeben.
Marco Heurich: Gut, grundsätzlich sind die Wölfe ja streng geschützt, zum einen nach dem europäischen Naturschutzrecht, zum anderen auch nach dem deutschen Naturschutzrecht. Und das setzt voraus, dass zunächst erst mal alle Maßnahmen getroffen werden, dass eben keine Wölfe geschossen werden müssen. Das heißt, ich muss quasi die Herden, die Ziegen- und die Schafherden vor allem, die muss ich schützen, das kann ich mit Elektrozäunen machen, das kann ich mithilfe von Herdenschutzhunden machen, die die Schafherde gegen Wölfe verteidigen. Und diese Maßnahmen führen in der Regel auch dazu, dass keine Schäden mehr auftreten.
"Man muss die Nutztiere wegsperren"
Böddeker: Jetzt haben Sie gerade die Zäune schon angesprochen, da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten. Man kann entweder die Zäune um die Wolfsrudel herum machen oder um die Schafe. Was wäre da besser?
Heurich: Also, das eine ist quasi eine hypothetische Möglichkeit, weil man das eben in Afrika zum Beispiel einsetzt, da gibt es ja dann wirklich gefährliche Tiere – Löwen, Hyänen, Leoparden – und da werden große Schutzgebiete gerade im südlichen Afrika eingezäunt wie der Kruger-Nationalpark oder der Kgalagadi Transfrontier National Park. Aber diese Schutzgebiete, die sind so groß wie Hessen. Und das ist natürlich keine Option für Europa, so ein großes Gebiet findet man hier gar nicht. Und so einen großen Zaun hier aufzustellen, das wird auch gar keine Akzeptanz haben. Deshalb kommt für uns eben nur diese Lösung in Betracht, dass man quasi die Nutztiere wegsperrt, sodass der Wolf eben diese Tiere nicht angreift und nicht erbeutet. Das ist eine Möglichkeit, eine andere Möglichkeit ist es auch, die nötigen natürlichen Beutetiere vorzuhalten. Das ist zwar in den meisten Bereichen von Deutschland ist das gegeben, aber in anderen europäischen Ländern nicht unbedingt. Wenn die Wölfe keine Wildtiere wie Rehe oder Hirsche, dann ist die Wahrscheinlichkeit auch größer, dass sie Haustiere fressen.
"Die Menschen erziehen, dass sie Abstand zu den Tieren halten"
Böddeker: Aber sind Haustiere und Nutztiere wie Schafe nicht ohnehin leichtere Beute als so ein Wildtier?
Heurich: Sie sind leichtere Beute, aber die Erfahrungen zeigen, da gibt es einige Studien, die wir uns auch angeschaut haben, dass da, wo ausreichend Wildtiere vorhanden sind, dass die Wölfe zunächst erst mal die Wildtiere fressen und menschliche Strukturen und auch Weiden erst mal meiden.
Böddeker: Wäre auch das noch ein möglicher Ansatzpunkt, dass man versucht, die Wölfe so zu erziehen oder zu konditionieren, dass sie Menschen meiden?
Heurich: Genau, das ist ein Vorschlag, den wir gemacht haben. Das ist bislang noch wenig erforscht, aber es gibt eben diese Hypothese – beziehungsweise auch an anderen Arten ist das schon getestet – der Landscape of Fear, also die Landschaft der Angst, wenn Tiere beispielsweise mit Knallkörpern, mit Gummigeschossen und anderen Mitteln konditioniert werden, negativ konditioniert werden, dann meiden sie diese Bereiche. Und da gibt es einen Nationalpark, den Yellowstone Nationalpark, die setzen das schon erfolgreich ein, quasi um eben ihre Besucher und die Wölfe auch zu trennen, weil es kommt natürlich oft dazu, dass Besucher sich den Wölfen nähern, um ein schönes Video zu drehen. Es kommt dazu, dass Besucher eben Wölfe füttern – und wenn man erst mal einen Wolf gefüttert hat, dann kommt der Wolf am nächsten Tag wieder, will wieder gefüttert werden. Und da setzt die Nationalparkverwaltung eben auch ein, um Menschen und Wolf quasi auf der kleinen Skala zu trennen, also erstens die Menschen zu erziehen, dass sie Abstand zu den Tieren halten, dass sie sich eben nicht zum Fotografieren nähern. Und bei den Wölfen auch, dass, wenn sich die Wölfe nähern, die natürlich auch mal von den Rangern im Nationalpark auch mal ein Gummigeschoss abkriegen. Und deshalb ist dann diese Trennung da, und erst wenn diese Maßnahmen alle nicht funktionieren, dann kommt der Abschuss. Und der ist nach der jetzigen Rechtslage auch möglich.
"Extrem wichtig, dass Wölfe nicht gefüttert werden dürfen"
Böddeker: Also beide sollten nach Möglichkeit ihr Verhalten ändern, sagen Sie, sowohl die Wölfe, als auch die Menschen. Das ist ja auch das, was der Entwurf von Svenja Schulze vorsieht, dass eben Füttern oder das Anlocken von Wölfen dann verboten ist. Das wäre dann also sinnvoll aus Ihrer Sicht?
Heurich: Das ist die wichtigste Maßnahme. Viele denken ja, Wölfe sind gefährlich auch für uns Menschen. Das hat aber auch die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, wir haben ja seit 2000 Wölfe in Deutschland, mittlerweile eben 100 Rudel und Paare, und trotzdem ist noch nie ein Mensch von einem Wolf angefallen worden. Das heißt, Wölfe sind insgesamt vorsichtig, meiden eher den Menschen, aber gefährlich wird es dann, wenn man anfängt, die Tiere zu füttern oder wenn es in der Nähe von Menschen Nahrungsquellen gibt, sodass die Wölfe lernen, Menschen oder Häuser, bewohnte Häuser, mit Nahrung in Verbindung zu bringen. Dann wird es gefährlich. Und deshalb ist das nur konsequent und extrem wichtig, dass Wölfe nicht gefüttert werden dürfen.
Böddeker: Jetzt muss ja die echte Gefahr durch Wölfe nicht unbedingt der wahrgenommenen Gefahr entsprechen, die die Menschen haben, das steht ja auch so in Ihrer Studie. Zugleich aber steht da, man sollte die wahrgenommene Gefahr, also die Angst der Leute, auch ernst nehmen. Warum eigentlich?
"Diese ganzen Ängste muss man natürlich ernst nehmen"
Heurich: Genau, es reicht ja nicht zu sagen, es gab in den letzten 50 Jahren vier Angriffe von gesunden Wölfen auf Menschen in Europa, sondern es besteht ja eine Angst. Und gegen diese Angst reicht es auch nicht, einfach nur zu sagen, wir haben in Deutschland 300.000 Verkehrsunfälle, sondern man muss diese Angst ernst nehmen und auch die Menschen mitnehmen. Das heißt: Der Wolf ist etwas ganz Neues, wir kennen den Wolf aus Märchen, der Wolf, so sagen wir, der hat einen großen kulturellen Rucksack. Der ist befrachtet mit Märchen, mit Mythen, mit Werwölfen, mit Filmen. Und viele Menschen haben dann Angst, kann ich noch in den Wald gehen, wie gefährlich ist es, frisst der Wolf meine Kinder. Und diese ganzen Ängste muss man natürlich ernst nehmen, auch wenn jetzt die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass diese Ängste unbegründet sind. Trotzdem müssen Menschen erst die Erfahrung machen und müssen lernen, mit dem Wolf zu leben.
Böddeker: Sie haben sich jetzt in der Studie verschieden Maßnahmen angeschaut, die man ergreifen könnte. Sie haben auch in verschiedene Länder geschaut, was dort getan wird bei großen Raubtieren. Unterm Strich, was ist jetzt Ihre Schlussfolgerung, was sollte der Gesetzgeber tun?
"Es muss ein intensives Wolfsmanagement aufgebaut werden"
Heurich: Die wesentliche Schlussfolgerung ist eben, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen und natürlich auch die, die durch die Rückkehr der großen Beutegreifer am stärksten betroffen sind, die zu unterstützen. Das heißt nämlich die extensiv wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe, die müssen unterstützt werden, für die Kosten, die entstehen, muss aufgekommen werden – und es muss ein intensives Wolfsmanagement aufgebaut werden. Das kostet auch Geld, das kostet Personal, es müssen Spezialisten vorhanden sein. Und wenn eben alle Maßnahmen getroffen wurden und trotzdem sich Wölfe, ich sage jetzt mal, daneben verhalten, nicht so verhalten, wie wir uns das wünschen, die verhaltensauffällig gegenüber Menschen sind, dann müssen diese Tiere dann auch letztendlich konsequent entnommen werden.
Böddeker: Und entnommen werden heißt?
Heurich: Entnommen heißt letztendlich geschossen werden. Das ist quasi die schöne Formulierung dafür. Weil das Tier jetzt zu fangen und irgendwo ins Gehege zu stecken, das wäre natürlich auch aus Tierschutzsicht letztendlich eine Qual für einen wild lebenden Wolf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.