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"Absolut gegen eine Verschärfung der Sanktionen"

Jan van Aken, Mitglied des Bundestages und Fraktionsvize für "Die Linke", warnt davor, den Atomstreit mit den Reaktionen auf den Angriff der britischen Botschaft im Iran zu vermischen. Das Atomwaffenprogramm sei "offensichtlich nicht weitergeführt worden", so van Aken und fordert zu Verhandlungen auf.

Jan van Aken im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.12.2011
    Jasper Barenberg: Ein wütender Mob stürmt die britische Botschaft in Teheran. Die Randalierer verwüsten Büros, schlagen Fenster ein. Die Regierung in London hält die Attacke vom Dienstag für eine vom Regime orchestrierte Inszenierung, ruft alle seine Botschaftsangehörigen zurück und verweist gleichzeitig den iranischen Botschafter des Landes. Auch Deutschland, Frankreich und die Niederlande beordern ihre Chefdiplomaten nach Hause. Bei ihrem Treffen heute in Brüssel sprechen die Außenminister darüber, wie sie im Atomstreit mit dem Iran den Druck erhöhen wollen.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Jan van Aken, für die Linkspartei Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, auch Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag. Schönen guten Tag, Herr van Aken.

    Jan van Aken: Einen schönen guten Tag.

    Barenberg: Herr van Aken, wie dringend müssen jetzt die Sanktionen gegen den Iran verschärft werden?

    van Aken: Gar nicht. Es ist völlig klar, dass dieser Angriff auf die britische Botschaft zu verurteilen ist. Und ich war vor Kurzem dort in Teheran, habe die Botschaft gesehen, die ist gesichert wie Fort Knox. Wenn da Studenten reinkommen, denke ich auch, geht das nicht ohne Unterstützung von anderen Stellen. Also, das ist ein Skandal, da ist die Reaktion richtig, hat aus meiner Sicht aber tatsächlich wenig mit dem Atomprogramm und schon gar nicht mit Sanktionen zu tun. Und ich bin insgesamt im Moment bei der jetzigen Sachlage absolut gegen eine Verschärfung der Sanktionen.

    Barenberg: Warum?

    van Aken: Das erste ist, dass man sich tatsächlich mal die Mühe machen muss, diesen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde genau zu lesen. Ich habe das getan, ich habe früher ja selbst als Waffeninspektor bei der UNO gearbeitet. Und wenn man sich das anschaut, dann ist es sehr überzeugend, und aus meiner Sicht sehr gut belegt, dass es ein militärisches Atomprogramm im Iran gab, das bis 2003 gelaufen ist und danach offensichtlich nicht weitergeführt worden ist. Das sagen auch die Amerikaner seit Jahren, der CIA, und das zeigt auch der neuerliche IAEA-Bericht. Und das wird in den Medien jetzt immer so dargestellt, als ob all diese guten Belege, diese vielseitigen Hinweise auch für heute noch gelten. Und das ist eben nicht der Fall. Wenn man sich das genau anguckt, steht da eigentlich gar nichts an neueren Erkenntnissen drin, dass tatsächlich im Moment der Iran auch noch an einem Atomprogramm arbeitet. Mich erinnert das ganz fatal an den Irak, an das angebliche Biowaffenprogramm, wo auch über viele Jahre immer in den Medien aufgebauscht worden ist, angebliche Biowaffenlabore. Am Ende führte das in einen Krieg und hinterher war alles gelogen. Ich würde deswegen sagen, im Moment nicht die Situation verschärfen mit Sanktionen, nicht weiter den Iran in die Enge drängen, denn dann steht er eigentlich nur noch vor der Alternative, gehen wir jetzt doch wieder zurück zu einem militärischen Atomprogramm. Das heißt, drängt man damit den Iran nicht doch eher zur Atombombe, als wenn man jetzt weiter den Dialog suchen würde.

    Barenberg: Noch mal zurück, Herr van Aken, zu dem Bericht der IAEO, der Internationalen Atomenergiebehörde. Sie sagen, es gibt keine Informationen darin über ein aktuell laufendes militärisches Atomprogramm. Sie haben aber gleichwohl gesagt, es gibt gute Hinweise, gute Belege für ein solches Programm in der Vergangenheit. Aber dass es keine Indizien für laufende Programme gibt, heißt doch nicht, dass es das nicht mehr gibt?

    van Aken: Nein, ganz sicher. Unter Inspektoren sagt man immer so lapidar, "absence of evidence is not evidence for absence". Das heißt, wenn man nichts findet, heißt das natürlich nicht, dass da nichts da ist. Und der Iran gibt wirklich immer wieder gute Gelegenheit dafür, misstrauisch zu sein. Das bin ich auch. Trotzdem ist es die Aufgabe der IAEA, die Fakten zusammenzustellen. Und wenn die Fakten im Moment sagen, wir sehen nichts, aber auch gar nichts von einem aktuellen militärischen Programm, dann ist es doch falsch, jetzt zu argumentieren, Sanktionen immer weiter verschärfen, weil der Iran eine Atombombe baut. Das ist eine reine Vermutung, die im Irak damals bei den Biowaffen komplett falsch war, in den Krieg geführt hat, und ich würde wirklich – und das tue ich auch hier im Ausschuss, habe ich gestern wieder getan, rufe immer wieder zu Mäßigung auf und sage, lasst uns bei den Fakten bleiben und anhand der Fakten die nächsten Schritte entscheiden. Und das heißt für mich: Das, was wirklich besorgniserregend ist, nämlich die Anreicherung des Urans auf 20 Prozent, da ranzugehen. Und da hat tatsächlich der Iran im September noch angeboten, wir stellen die ein, die 20-prozentige Anreicherung, wenn ihr uns das Zeug liefert. Da muss man doch drüber reden!

    Barenberg: Nach meiner Wahrnehmung oder nach meiner Kenntnis hat der Iran Gesprächsangebote und Angebote dieser Art, was die Anreicherung von Uran angeht, ja ein ums andere Mal wieder abgelehnt. Also immer der Vorschlag, das zu tun. Und wenn es dann konkret wurde, wurde daraus nichts. Ist das nicht ein Teufelskreis, aus dem wir gar nicht mehr herauskommen?

    Van Aken: Im Moment ist es wirklich ein Teufelskreis. Wenn ich mir die letzten acht, neun Jahre angucke, dann gab es immer Zeiten, in denen der Iran dialogbereiter war und der Westen nicht – das war 2003 zum Beispiel der Fall. Dann vor zwei Jahren hatten wir es umgekehrt. Da war Präsident Obama dialogbereit und der Iran war es nicht. Und im Moment ist es tatsächlich so, dass die iranische Führung innerhalb des konservativen Lagers so zerstritten ist, die zerlegen sich gerade selbst, es tobt ein unglaublicher Machtkampf, und deswegen gibt es gar nicht jetzt die iranische Regierung, die mit einer Stimme spricht. Deswegen glaube ich auch, dass wahrscheinlich ein echter Fortschritt im Dialog erst möglich ist, wenn sowohl in den USA, als auch in Teheran die nächsten Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben. Dann müssen wir gucken, wer dann da regiert.

    Barenberg: Will denn Iran Ihrer Meinung nach die Bombe?

    van Aken: Ich glaube, sie haben 2003 tatsächlich die Entscheidung getroffen, sie nicht zu bauen. Und ich glaube auch, dass im Moment in den verschiedenen Lagern es da unterschiedliche Meinungen gibt. Und es kann jederzeit, es kann im Moment passieren, dass dort doch wieder die politische Entscheidung gefällt wird, wir wollen sie bauen. Nichtsdestotrotz haben sie natürlich durch das frühere Programm und durch die Urananreicherung immer mehr die technische Möglichkeit dazu. Die Entscheidung, ob sie die jetzt wieder doch bauen wollen, vielleicht ist sie gestern gefallen, vielleicht fällt sie bald, vielleicht fällt sie aber auch in den nächsten Jahren nicht, wenn man versucht, den Iran wieder diplomatisch einzubinden.

    Barenberg: Aber das heißt auch, Israel hat Grund, besorgt zu sein?

    van Aken: Auf jeden Fall! Nicht nur Israel. Ich finde jede Atombombe auf der Welt eine zu viel. Auch die israelischen Atombomben finde ich zu viel. Aber natürlich ist die Besorgnis in Israel absolut richtig und verständlich, wobei ich eines noch mal gerade rücken möchte: Es wird hier oft ja so dargestellt, als ob Ahmadinedschad ein Verrückter ist. Das ist er sicher nicht. Die gesamte iranische Führung halte ich für sehr rational, politisch absolut mir entgegengesetzt und die machen sehr viel falsch aus meiner Sicht, politisch, aber trotzdem sind sie rational und deswegen ist, glaube ich, die Gefahr, dass in der Minute, wo der Iran über eine Atombombe verfügt und dann damit auch Israel angreift, das ist, glaube ich, nicht der Fall. Das ist eher eine Frage der Abschreckung, so wie Nordkorea ja auch die Bombe gebaut hat, um abzuschrecken.

    Barenberg: Was die Rationalität des iranischen Präsidenten angeht, da gehen die Meinungen sicherlich weit auseinander. Es gibt andere, die immer wieder verweisen auf die Anwürfe, die es in Richtung Israel gibt, auf die Formulierung, wonach man Israel ins Meer treiben will und die Israelis. Da gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen.
    Ich will auf einen Punkt zu sprechen kommen, den Philipp Mißfelder heute Morgen hier im Deutschlandfunk angesprochen hat, der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Er hat nämlich gesagt, gerade angesichts der offensichtlichen Bedrohung müsste man die militärische Option auf dem Tisch lassen. Wir hören uns das Mal an.

    O-Ton Philipp Mißfelder: "Eine militärische Option auszuschließen, würde auch unsere Verhandlungsposition zum jetzigen Zeitpunkt schwächen, weil ich glaube, wenn man Möglichkeiten ausschließt, ist die Gefahr groß, dass das Gegenüber dann anfängt, anders zu kalkulieren und eine andere Lageabschätzung vornimmt. Und das ist bei der iranischen Führung nicht gerade unwahrscheinlich."

    Barenberg: Angesichts der Unsicherheit, Herr van Aken, wir wissen nicht, ob es ein militärisches Programm gibt, ob es wieder angestrebt wird, ist es nicht eine gute Idee, den militärischen Druck aufrecht zu erhalten?

    van Aken: Na ja, ich bin nur froh, dass Herr Mißfelder in dieser Regierung nichts zu sagen hat, denn das ist ja schon unglaublich, jetzt von deutscher Regierungsseite – na ja, gut: er ist nicht in der Regierung, er ist im Parlament – plötzlich mit dem Krieg zu drohen, denn das, können wir aus der Geschichte lernen, führt eigentlich nur dazu, dass sich der Gegner völlig in die Ecke gedrängt fühlt. Und dann kommt es tatsächlich zu irrationalen Handlungen. Und ich kann Ihnen garantieren: Wenn das deutsche Regierungsposition wäre, zu sagen, im Zweifelsfall sind wir auch für einen Militärschlag, dann fällt sofort die Entscheidung in Teheran, auch die Atombombe zu bauen, weil sie dann sagen, das ist unser einziger Schutz vor einem militärischen Angriff. Also, ich halte das für völlig fatal.

    Barenberg: Welche Alternative gibt es denn? Wie würden Sie versuchen, den Iran zu überzeugen, auf ein militärisches Programm zu verzichten?

    van Aken: Der erste Schritt ist, das aufzunehmen, was Ahmadinedschad im September vor der UNO gesagt hat: An dem Tag, an dem uns die internationale Gemeinschaft die Brennstäbe für den Teheraner Forschungsreaktor liefert, an dem Tag hören wir auf mit der 20prozentigen Anreicherung. Das aufzugreifen und zu sagen, okay, wir machen euch das Angebot, wir liefern euch das. Und dann hört ihr aber auch auf mit der 20prozentigen Anreicherung, lasst dafür die Inspektoren ins Land. Und zwar nach dem Zusatzprotokoll des Atomwaffen-Sperrvertrages, das heißt mit weiter reichenden Inspektionsmöglichkeiten als heute. Dann wird man sehen, wie Ahmadinedschad und wie die anderen in den anderen konservativen Lagern reagieren. Aber das muss man erst mal konstruktiv aufnehmen. Und hier jetzt in Europa – mir wurde das gestern noch mal von der Bundesregierung gesagt – einfach zu sagen: Na ja, meint er ja nicht ernst, so fahrlässig darf man nicht umgehen. Man muss das austesten! Man muss Ahmadinedschad dann auch auf der diplomatischen Ebene vorführen und nicht gleich mit einem Krieg drohen, wie man das hier so hört.

    Barenberg: Aber der Vorschlag lag doch auf dem Tisch vonseiten des Westens, und er wurde von Ahmadinedschad ausgeschlagen.

    van Aken: Nein. Er hat dann ja einen anderen Vorschlag gemacht, getragen auch von der Türkei und von Brasilien, der aus meiner Sicht eher eine Kompromissposition war. Verhandlungen sind ja immer was, wo am Anfang zwei Leute ihre Maximalforderungen auf den Tisch packen. Und dann gibt es einen Kompromiss. Und da war das, was nachher die Türkei und Brasilien vor eineinhalb Jahren vorgeschlagen haben, ein echter Kompromiss. Und da hat der Westen sich aus rein politischen Erwägungen dann dagegengestellt. Also, man muss auch sehen, dass Verhandlungen nicht heißen kann, ich stelle eine Forderung und Ahmadinedschad knickt ein oder wir verhandeln nicht weiter. So funktionieren Verhandlungen nicht.

    Barenberg: Jan van Aken heute Mittag im Deutschlandfunk. Für die Linkspartei ist er Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch.

    van Aken: Ich bedanke mich auch bei Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.