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Abstimmung im Parlament
Griechenland am Scheideweg

Ein Ministerrücktritt, Proteste und Gewalt auf den Straßen Athens sowie eine mögliche Zitterpartie im Parlament - das ist die Gemengelage vor der Abstimmung im Parlament über die Sparauflagen der internationalen Gläubiger. Es geht um nichts weniger als die Zukunft des Landes.

15.07.2015
    Demonstranten halten einen Banner während ihres Protestes in Athen.
    Protest auf den Straßen Athens (ANDREAS SOLARO / AFP)
    Europa wartet mit Spannung auf die Abstimmung im griechischen Parlament über die Gläubiger-Auflagen, die die Regierung in Athen vor die Zerreißprobe gestellt hat. Die neuen Spar- und Reformgesetze sind die Bedingung für Verhandlungen mit den Europartnern über ein drittes Hilfspaket.
    Eine Parlamentsmehrheit bei der geplanten Abstimmung in der Nacht zum Donnerstag gilt als sicher. Zwar gibt es Widerstände innerhalb der linken und rechten Koalitionsparteien gegen das umstrittene Paket. Die Fraktionen der konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Opposition haben aber ihre Zustimmung angekündigt. Es könnte aber zur Zerreißprobe innerhalb der Regierungskoalition kommen - sollte es viele Gegenstimmen in den eigenen Reihen geben.
    "Alexis, ich kann nicht mehr"
    Schon vor der Abstimmung nahm Vize-Finanzministerin Nadja Valavani aus Protest gegen die harten Einschnitte ihren Hut: "Alexis, ich kann nicht mehr weitermachen", schrieb sie in einem Rücktrittsbrief an Ministerpräsident Tsipras.
    Die griechische Vize-Finanzministerin Nadia Valavani im Athener Parlament. 
    Nahm ihren Hut: Vize-Finanzministerin Nadia Valavani. (LOUISA GOULIAMAKI / AFP)
    "Ich werde diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, und ich denke, man kann nicht in der Regierung bleiben, wenn man dagegen stimmt", sagte Valavani vor Journalisten in Athen. Die Auflagen, in die Tsipras in den Brüsseler Marathonverhandlungen eingewilligt hatte, sind weitgehender als diejenigen, welche die Bevölkerung kurz zuvor in einem von der Regierung angesetzten Referendum klar abgelehnt hatte.
    Ausschreitungen bei Demonstration in Athen
    In den Gesetzentwürfen, die dem Athener Parlament vorliegen, geht es unter anderem um die Anhebung des Rentenalters, Steuererhöhungen und Privatisierungen. Aus Protest dagegen traten am Mittwoch Staatsbedienstete und Apotheker in einen 24-Stunden-Streik. Von den Arbeitsniederlegungen der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst (Adedy) betroffen waren neben den Ministerien auch die Metro in der Hauptstadt sowie der landesweite Bahnverkehr.
    Es ist der erste große Ausstand unter der seit Januar amtierenden linken Syriza-Partei und ihrem Juniorpartner, der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel). In den Jahren 2010 bis 2014 hatte die Gewerkschaft Adedy aus Protest gegen die ersten beiden Kreditprogramme wiederholt Streiks und Demonstrationen organisiert.
    Bei einer Demonstration vor dem Parlament kam es am Abend zu Ausschreitungen. Eine Gruppe von rund 200 Autonomen mischte sich unter eine friedliche Demonstration von Gegnern des Sparprogramms. Sie lösten sich aus der Menge und warfen mehrere Brandflaschen auf Polizisten, wie das griechische Fernsehen berichtete. Die Beamten setzten massiv Tränengas ein.
    Hilfsangebot aus Brüssel
    In Brüssel wird derweil weiter ausgelotet, auf welchem Weg Athen dringend benötigte Milliardenhilfen bekommen kann. Um Athens laufenden Finanzbedarf bis zum Start eines möglichen ESM-Programms zu decken, schlug die EU-Kommission am Mittwoch einen Überbrückungskredit vor. Diese kurzfristige Nothilfe in Höhe von sieben Milliarden Euro soll eine Laufzeit von drei Monaten haben und aus einem schon länger bestehenden Rettungstopf aller EU-Staaten (EFSM) kommen. Weil sich einige Beitraggeber wie Großbritannien, Schweden und Tschechien "große Sorgen" um ihr Geld machen, verhandelt die EU-Kommission nach eigenen Angaben noch über Garantien für einen möglichen Zahlungsausfall.
    Bis Mitte August benötigt Griechenland rund zwölf Milliarden Euro, um laufende Rechnungen zu begleichen und fällige Kredite abzulösen. Schon am nächsten Montag muss Athen 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zahlen. Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die Regierung bereits im Zahlungsrückstand.
    Ohne Rückzahlung müsste die EZB ihre Notkredite für Griechenlands Banken einstellen, das labile Finanzsystem des Landes würde dann wohl endgültig kollabieren.
    (pg/kis)