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Abstimmung in Mazedonien
Referendum gescheitert, Ende offen

Die Abstimmung über einen neuen Namen für Mazedonien und die Annäherung an EU und NATO ist ungültig. In Skopje werden vielfältige Gründe dafür diskutiert, sagte der Journalist Klaus Remme im Dlf. Aber die Strahlkraft der EU sei ungebrochen.

Klaus Remme im Gespräch mit Frederik Rother | 02.10.2018
    Zwei Frauen bei der Volksabstimmung in Mazedonien.
    Zwei Frauen bei der Volksabstimmung in Mazedonien am 30. September 2018 (AFP / Armend Nimani)
    Klaus Remme: Ich glaube, weder noch, denn ich würde meinen, das Eine oder das Andere würde klare Sieger oder klare Verlierer voraussetzen, und die sehe ich hier nach dem Referendum vorgestern zumindest noch nicht. Wir sind ja hier in Skopje im Moment eine kleine Gruppe von deutschen Journalisten, die EU-Kommission hat diese Reise für uns organisiert, um die Diskussion in der Hauptstadt unmittelbar nach der Abstimmung zu erleben.
    Und gestern haben wir den Tag über mit mazedonischen Journalisten gesprochen, mit Vertretern der Zivilgesellschaft, Politikwissenschaftlern etwa und es wird einem hier nach wenigen Stunden eigentlich sehr deutlich, wie kompliziert die Gemengelage ist, wie viel Geschichte mitschwingt, wie viele Erklärungen es für das Ergebnis gibt, für diese scheinbar niedrige Wahlbeteiligung in einer für das Land entscheidenden Zukunftsfrage.
    Unklare Zahlen zur Wahlbeteiligung
    Frederik Rother: Das Stichwort Erklärungen habe Sie gerade angesprochen. Wie interpretieren denn ihre Gesprächspartner vor Ort den Ausgang dieses Referendums?
    Remme: Also warum wurde das notwendige 50-Prozent-Quorum so deutlich verpasst. Das ist ja die Kernfrage. Und es werden ganz unterschiedliche Erklärungen angeboten. Da ist die große Unsicherheit erst Mal in Bezug auf die tatsächliche Zahl der Wahlberechtigten. Niemand glaubt, dass es die offiziell angenommenen 1,8 Millionen sind, eine Volkszählung hat es seit mehr als zehn Jahren nicht gegeben. Hunderttausende leben im Ausland. Ich habe gestern auf die Zahl 1,3, 1,4 Millionen gehört, die näher an der Wahrheit liegen soll. Und bei gut 600.000 Ja-Stimmen wäre das prozentual ja schon ein ganz anderer Anteil Zustimmung als die 37 Prozent die offiziell angegeben wurden.
    Es gibt die Erklärung, dass die Regierung Zaev das Abkommen schlecht vermittelt habe. Eine lausige Kampagne hieß es. Einig waren sich eigentlich alle Gesprächspartner darin, dass die 37 Prozent Zustimmung nicht automatisch 63 Prozent Ablehnung bedeuten. Wer zum Beispiel in Skopje lebt und arbeitet, das sind sehr, sehr viele im Land, der ist vielleicht noch immer in seinem Heimatort gemeldet, hat vielleicht den Weg gescheut.
    Andere interpretieren das Ergebnis als Protestwahl gegen die politische Elite insgesamt, also als Misstrauensvotum gegen die national-konservative Regierung, die bis 2016 an der Macht war und die Sozialdemokraten, die danach aus Sicht der Kritiker all zu langsam Fortschritte machen. Manche verweisen auf die schwache Beteiligung der albanischen Minderheit und erklären das mit Taktik, da die Partei der Albaner so jetzt in einer besseren Position ist.
    Neuwahlen könnten zum zweiten Referendum werden
    Rother: Bei dem Referendum ging es ja auch um eine Annäherung an die Europäische Union, an die NATO, eine NATO-Mitgliedschaft steht im Raum. Haben diese Optionen an Strahlkraft verloren?
    Remme: Nein, das habe ich nicht gehört. Also im Gegenteil. Es gibt ja viel Politprominenz aus der EU, die hier gewesen ist, im Wahlkampf, Heiko Maas etwa, Angela Merkel etwa und das hat geholfen, sagen mir die Meisten. 90 Prozent derer, die abgestimmt haben, haben ja mit Ja gestimmt, für die EU, für die NATO. Nein, es ging auch darum, die Lösung im Namensstreits mit Griechenland abzusegnen, das gehört ja dazu, für viele hier eine emotionale Angelegenheit. Vielleicht hatte der ein oder andere gesagt, dass sollen die im Parlament entscheiden. So wird es jetzt kommen müssen, mit dem Risiko von Neuwahlen inklusive, verbunden mit der Gefahr, dass die Wahl dann de facto zu einem zweiten Referendum über das Abkommen wird.
    Rother: Wird denn laut über Alternativen nachgedacht, etwa die Annäherung an Moskau?
    Remme: Ja, die Frage nach der Alternative ist interessant. Wir haben jetzt heute im Verlauf des Tages die Gelegenheit zu politischen Gesprächen im Regierungslager und mit Vertretern der Opposition. Was ist die Alternative? Diese Frage wird sicher gestellt werden. Dann nur gegen das Abkommen zu sein, das wird ja auf Dauer nicht reichen. Der russische Einfluss wird hier nicht bestritten. Oft subtil, durch Serbien etwa. Moskau hat natürlich kein Interesse etwa an einer NATO-Mitgliedschaft Mazedoniens. Aber das Ergebnis von Sonntag mit einer kalkulierten Intervention Russlands zu erklären, das glaube ich greift zu kurz.
    Tsipras und Zaev wollen einen Deal
    Rother: Sie sind zurzeit in Skopje. Welchen Eindruck haben Sie, wollen die Menschen den Namenskonflikt mit Griechenland jetzt endlich lösen nach Jahrzehnten?
    Remme: Also den Eindruck, den ich habe, das Abkommen würde diesen Streit ja nach langen Verhandlungen lösen. Es war ganz interessant, genau auf die Erklärungen, auch aus Brüssel und vor allem aus Berlin zu achten. Beide forderten Regierungschef Zaev auf, dieses Votum als Chance, nicht als Niederlage zu begreifen. Heiko Maas sieht auch Athen in der Pflicht hier durch Bewegung einen Weg zu ebnen.
    Ich glaube, es ist nun einmal so, dass Tsipras in Athen und Zaev in Skopje einen Deal wollen, und diese politische Konstellation hat es lange nicht gegeben. Und keiner weiß, wann die Gelegenheit wieder kommt. Und alle sehen die Gefahr, dass Mazedonien, so klein wie es ist, ohne Einigung eine Art, ich sage mal 'Glutnest' bleibt, wo Spannungen jederzeit eskalieren oder von Dritten befeuert werden könnten und das wäre ein Risiko für den gesamten Westbalkan.