Freitag, 19. April 2024

Archiv

Absturz an den Aktienmärkten
"Den Börsen wird ein bisschen die Luft ausgehen"

Falko Fecht von der Frankfurt School of Finance führt die derzeitigen Kursabstürze an den Börsen auf einen Streit zwischen verschiedenen Anlegergruppen zurück. Es gehe um die Frage, wie die zukünftige Entwicklung der Finanzpolitik einzuschätzen sei, erklärte er im Dlf. Nicht nur deshalb rät er aktuell von Aktienkäufen ab.

Falko Fecht im Gespräch mit Dirk Müller | 06.02.2018
    Die DAX-Kurve im Handelssaal der Börse in Frankfurt am Dienstag, 6.2.2018: Nach deutlichen Abwärtstrends in den USA und in Asien hat der DAX die Einbrüche in Übersee bisher aber gut verkraftet
    "Ich würde auf jeden Fall sicherer investieren, das heißt den Anteil meiner Aktien im Moment etwas reduzieren, breiter aufstellen", sagt Finanzmarktexperte Falko Fecht (picture alliance/ dpa/ Boris Roessler)
    Dirk Müller: Die Börsen rutschen erneut ab. In New York stehen die Kurse unter großem Druck. Das Ganze setzt sich in Asien fort. Auch der DAX erleidet massive Verluste wie lange nicht mehr. 400 Punkte gestern einfach weg, einfach so in kürzester Zeit. Weshalb sind die Kurse ganz plötzlich so auf Talfahrt gegangen?
    Viele sprechen von einer Börsenkrise, sehen die Kurseinbrüche weltweit als ganz klare Tendenz auch für die kommenden Wochen und Monate. Der DAX hat in der vergangenen Stunde – auch das müssen wir jetzt festhalten – ein bisschen korrigiert mit leichter Tendenz nach oben. – Unser Thema nun mit Professor Falko Fecht von der Frankfurt School of Finance. Guten Tag!
    Falko Fecht: Guten Tag!
    Müller: Herr Fecht, wie fragil ist das Ganze?
    Fecht: Ich glaube, dass wir im Moment in einer Situation sind, in der die Börse letztlich ihre Meinung erst wieder finden muss: Welche Bedeutung hat der Wandel in der Geldpolitik für die zukünftige Börsenentwicklung? Geht hier letztlich eine Blase zu Ende? Wird hier eine Blase platzen? Oder sind nach wie vor die Kursentwicklungen fundamental eigentlich gerechtfertigt? Ich glaube, hier haben wir einfach einen Streit zwischen verschiedenen Anlegergruppen, wie denn eigentlich die zukünftige Entwicklung einzuschätzen sein wird.
    Müller: Was meinen Sie? Ist das eine Blase, die platzt?
    Fecht: Ich glaube, das ist ausgesprochen schwierig einzuschätzen im Moment. Wenn das so einfach wäre, glaube ich, würde ich sicherlich hier mein Portfolio auch eindeutig umschichten. Aber ich glaube schon, dass wir hier wahrscheinlich mit sinkenden Kursen rechnen müssen, dass hier ein bisschen den Börsen die Luft ausgehen wird. Aber in welchem Maße das sein wird, ist, glaube ich, ausgesprochen schwierig einzuschätzen.
    "Das halte ich eigentlich für eine Fehleinschätzung"
    Müller: Das ist ja eine Einschätzung, die Sie auch schon vor einigen Wochen abgegeben haben, Herr Fecht. Jetzt konnten viele von uns in den vergangenen Tagen, in der vergangenen Woche in den Tageszeitungen, zum Teil im Netz auch lesen: Kauft wieder Aktien, das Ganze wird sich lohnen. War das Fake News?
    Fecht: Das halte ich eigentlich für eine Fehleinschätzung. Im Moment noch zuzukaufen, wäre, glaube ich, tatsächlich eine falsche Beratung. Ob man nun allerdings auch verkaufen muss, weil man mit gravierenden Kurseinbrüchen rechnen muss, das steht wiederum auf einem anderen Blatt. Da würde ich vorsichtiger sein.
    Müller: Wenn Sie Ihr Portfolio – haben Sie gerade getan – ein bisschen zur Disposition anbieten, zumindest, dass wir beide darüber reden können, verkaufen Sie jetzt?
    Fecht: Ich würde auf jeden Fall sicherer investieren, das heißt den Anteil meiner Aktien im Moment etwas reduzieren wollen, breiter aufstellen, vielleicht auch aus den USA mich etwas zurückziehen. Das wäre, glaube ich, meine Tendenz derzeit, ja.
    Müller: Aber wenn ich das jetzt richtig verstehe, sieht es nicht allzu gut aus?
    Fecht: Ich würde jetzt mit keinen Kurssprüngen nach oben rechnen. Aber ich glaube auch nicht, dass die Verwerfungen, die wir jetzt in den vergangenen Tagen gesehen haben, tatsächlich Vorbote sind von einer platzenden Blase, notwendigerweise mit gravierenden Kurseinbrüchen.
    "Man muss eine ruhige Hand haben"
    Müller: Um das jetzt noch mal klarzustellen. Wer jetzt auf seinen Aktien bleibt, so habe ich das jetzt interpretiert, der bleibt auf den Verlusten dann auch sitzen? Das heißt, die kommen?
    Fecht: Man muss sich mit größeren Risiken vertraut machen. Was wir definitiv - und ich glaube, da muss man noch nicht mal ein Prophet sein – sehen werden, sind größere Volatilitäten am Aktienmarkt. Man muss eine ruhige Hand haben und muss auch durchaus in der Lage sein, ein Risiko jetzt aussitzen zu können in der näheren Zukunft.
    Müller: Viele haben ja gesagt, diese 12.000 Punkte, die da gerissen wurden, noch weiter nach oben getrieben wurden, der große Hype auf dem Immobilienmarkt, das alles ist nicht gesund, das alles entspricht nicht dem Realwert und der Realwirtschaft. Wie relevant ist das, dass beides zueinander findet oder übereinander kommt beziehungsweise übereinstimmt?
    Fecht: Ich glaube, die Situation, die wir jetzt haben, ist, dass die Geldpolitik sicherlich konjunkturpolitisch stabilisierend gewirkt hat. Das heißt, wir sehen insbesondere in den USA, aber ich denke auch in der Eurozone nun eine deutliche konjunkturelle Erholung, die natürlich dann auch zu steigenden Immobilienpreisen führt und fundamental dazu beiträgt, dass hohe Aktienkurse und hohe Immobilienpreise auch gerechtfertigt sind. In welchem Maße nun aber tatsächlich das Ganze nur durch eine expansive Geldpolitik getrieben wurde, oder inwiefern die Geldpolitik geeignet war, um die Fundamentaldaten hier zu verbessern, das ist, glaube ich, die Situation, die im Moment strittig ist und über die man sich an der Börse derzeit Gedanken macht, das zu bewerten.
    "Dafür sehe ich im Moment keine Indizien"
    Müller: Aber es wird jetzt viele wundern, wenn Sie das sagen, dass die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, maßgeblich ja forciert durch Mario Draghi, dazu geführt hat, dass sich im Grunde alles zum Positiven entwickelt hat, wobei Milliarden über Milliarden bis hin zu Billionen Euro investiert wurden zum Teil für Staatspapiere, für Staatsverschuldungen, die vermutlich nie wieder eingetrieben werden können.
    Fecht: Dafür sehe ich derzeit keine Indizien, dass diese Staatsverschuldungen nie mehr eingetrieben werden können. Ich weiß nicht, wie Sie zu der Einschätzung kommen.
    Müller: Weil der Vorwurf ja lautet, dass marode Staatspapiere aufgekauft wurden, die die Staaten nicht mehr bedienen können.
    Fecht: Bislang sehen wir hier bei der EZB keinerlei Verluste in dieser Hinsicht. Insofern sehe ich auch noch nicht unmittelbar, dass hier der Steuerzahler gravierende Verluste zu befürchten hat, indirekt über die EZB. Sicherlich hat die EZB sehr stark expansiv gewirkt. Man mag hier auch der Ansicht sein, dass sie überexpansiv gewirkt hat, das heißt eine Blase befördert hat. Ich sehe hier auch ein großes Risiko dabei, dass sie hier zu expansiv gewirkt hat. Aber in welchem Maße das der Fall ist, das lässt sich derzeit nur schwer abschätzen, und ich glaube, weshalb wir eine hohe Volatilität an den Börsen haben ist, weil sich die Anleger hierüber sehr uneins sind.
    Müller: Der Vorwurf indirekte Staatsfinanzierung, was ja immer wieder auch gekommen ist, ist für Sie völlig absurd?
    Fecht: Das Problem der indirekten Staatsfinanzierung würde ich durchaus sagen, dass das die EZB betrieben hat, schon seit geraumer Zeit auch. Durch die LTAOs hat sie das indirekt getan. Aber ich sehe nicht, dass die EZB bislang ein großes Ausfallrisiko hat."
    Müller: Herr Fecht, ich versuche, Ihnen zu folgen. Das heißt, es kann durchaus auch "gesund" sein, produktiv sein, auch langfristig Staaten aus großen Krisen herauszuhelfen, wirtschaftlich, auch wenn die im Moment noch nicht in der Lage sind, die Reformversprechen einzulösen, die man verabredet hat, die man gefordert hat, beispielsweise Griechenland wie auch andere Staaten?
    Fecht: Ich glaube, man wird hier sicherlich einen Mechanismus finden müssen, idealerweise jenseits der EZB, um solche Stabilisierungsprogramme implementieren zu können. Beispielsweise einen europäischen IWF halte ich hier für den geeigneten Mechanismus, der ja derzeit zur Diskussion steht. Dass die EZB das tun muss, hier zur Staatsfinanzierung beizutragen, das halte ich allerdings für nicht zielgerichtet, weil sie die Unabhängigkeit der Zentralbank untergräbt.
    Müller: Also ist es passiert?
    Fecht: Es ist passiert, dass die EZB hier Risiken eingegangen ist. Sie haben sich noch nicht materialisiert und ich glaube, wir sind eigentlich auch auf dem besten Weg, dass sie sich nicht materialisieren werden. Aber es sollte eigentlich nicht zur Regel werden, sondern wir müssen hier einen besseren institutionellen Rahmen innerhalb der Eurozone finden, um in Zukunft zu vermeiden, dass die EZB wieder in eine solche Situation gedrängt wird.
    Müller: Sie sagen, es soll nicht zur Regel werden; ist aber jetzt über Jahre die Regel gewesen.
    Fecht: Ja, weil leider die Eurozone nicht in der Lage gewesen ist, hier die Zeit, die die EZB eigentlich gekauft hat, zu nutzen, um einen anderen institutionellen Rahmen zu finden.
    Müller: Immer noch nicht?
    Fecht: Immer noch nicht, ja. Leider nein!
    "Diejenigen, die auf dem falschen Fuß erwischt werden, für die stellt das durchaus eine Katastrophe dar"
    Müller: Jetzt kommen wir zu den Börsen, zu den Finanzmärkten wieder zurück. Viele haben ja auf Aktienwerte gesetzt, weil es keine Zinsen mehr gab. Viele haben auf Immobilienwerte gesetzt, weil es so gut wie keine Zinsen mehr gab. Jetzt läuten die Amerikaner vielleicht eine Rebesinnung ein. Das heißt, es gibt leicht steigende Zinsen. Warum ist das auch für die Fonds-Manager, für die Aktienhändler, für die Großen in diesem Spiel eine Katastrophe?
    Fecht: Diejenigen, die jetzt auf dem falschen Fuß erwischt werden, für die stellt das durchaus eine Katastrophe dar. Insbesondere stellt es natürlich eine unangenehme Situation dar für institutionelle Investoren, die sich beispielsweise kurzfristig refinanziert haben über eine Verschuldung zu Null-Zinsen und investiert haben in riskantere Investitionen wie beispielsweise Aktien. Wenn jetzt auf ihre Verbindlichkeiten in der Zukunft wieder höhere Zinsen zu zahlen sind, sind sie natürlich weniger gut in der Lage, diese Aktienpositionen zu halten, müssen sie möglicherweise abstoßen, und auch das trägt dazu bei, dass wir nun fallende Kurse beobachten werden.
    Müller: Aber diese Fonds-Manager, diese Profis, die beschäftigen sich doch 24 Stunden mit diesen Entwicklungen, mit der Zinsentwicklung, mit den Aktienentwicklungen. Warum können die auf dem falschen Fuß erwischt werden?
    Fecht: Auch hier besteht natürlich der Druck, dass man an den steigenden Kursen, die wir noch bis letzte Woche beobachtet haben, partizipieren muss, um Gewinne einfahren zu können, weil die Anleger auch die Fonds-Manager unter Druck setzen, dass sie hier Gewinne sehen wollen. Insofern sind sie ja gezwungen, dass sie riskante Investitionen eingehen, um einen gewissen Mindestertrag zu erwirtschaften. Insofern bleibt ihnen wenig anderes übrig, als hier riskante Portfolien aufzubauen, und damit werden sie dann auch immer mal wieder auf dem falschen Fuß erwischt.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Professor Falko Fecht von der Frankfurt School of Finance. Danke für das Gespräch. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Fecht: Danke, ebenso.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.