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Absturz der Grünen
"Da fehlt ein Moment von geistiger Frische"

Die Grünen fahren in Umfragen derzeit schlechte Ergebnisse ein. Für den Politikwissenschaftler Hubert Kleinert leidet die Partei an Profilschwäche. Sie brauche neue Themen und mehr Auseinandersetzung mit Gegenpositionen wie etwa der AfD, sagte er im DLF. "Ich finde sie eigenartig defensiv". Ihren Einzug in den Bundestag sieht er aber nicht gefährdet.

Hubert Kleinert im Gespräch mit Doris Simon | 13.04.2017
    Die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, präsentieren in Berlin den Entwurf ihres Wahlprogramms.
    Die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, präsentieren in Berlin den Entwurf ihres Wahlprogramms. (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld/)
    Doris Simon: Über den Absturz der Grünen habe ich gesprochen mit Hubert Kleinert. Er war in den 80er-Jahren einer der ersten grünen Bundestagsabgeordneten und ist heute Professor an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen. – Grün war mal eine Marke mit klaren Konturen, habe ich Kleinert gefragt. Wieso ist Grün als Marke so verblasst?
    Hubert Kleinert: Ich glaube, das hat verschiedene Faktoren. Der Schulz-, dieser Schulz-Hype spielt eine Rolle. Die Themen der Grünen stehen nicht ganz oben auf der Agenda. Die Themen sind auch sehr kleinteilige Themen geworden, die jetzt nicht für sich schon einen großen werbenden Effekt hervorrufen. Ich finde die Grünen auch eigenartig defensiv, etwa im Umgang mit dem Rechtspopulismus. Da kommt außer Empörungsfuror wenig. Insgesamt macht die Partei auch keinen sehr lebendigen Eindruck. Irgendwie verwaltet man die alten Themen, den Eindruck muss man haben, und natürlich ist es vielleicht auch eine Frage des Personals. Es ist sicherlich so, dass die Ausstrahlung des Spitzenpersonals begrenzt ist.
    Ausstrahlung über Medien: "Da sind sie nicht so super aufgestellt"
    Simon: Sie sagen, die Themen stehen derzeit nicht auf der Agenda. Aber eigentlich, Herr Kleinert, ist der Zeitgeist ja grün. Das sind urgrüne Themen, die heute Mainstream sind. Warum schneidet die grüne Partei dann so schlecht ab, denn in anderen Bereichen gehen die Leute im Zweifel ja auch lieber zum Original. Warum nicht bei den Grünen?
    Kleinert: Vielleicht ist es auch ein Ergebnis des Erfolgs der Grünen. Vielleicht ist es gerade deshalb so, weil der Zeitgeist sich doch sehr stark in Richtung grün entwickelt hat. Die Energiepolitik ist jedenfalls im Grundsatz kein großes Streitthema mehr. Für Klimaschutz ist auch jeder. Gegen das Elektroauto haben die Leute auch nichts. Allerdings wenn man dann näher gräbt, wird es kompliziert. So einfach ist das nicht mit der Elektromobilität und die Energiewende hat auch nicht nur gute Seiten. Ich glaube, da gibt es so eine paradoxe Wirkung. Ich glaube, dass die, die da am entschiedensten dafür eintreten, vielleicht auch am ehesten Gefahr laufen, dass man diese Vorstellungen doch vielleicht für überzogen, für so nicht realistisch hält. Und wie gesagt, hinzu kommt: Wir leben in einer Gesellschaft, in der sehr stark die Stimmungsschwankungen auch in der Politik eine Rolle spielen, wo die Ausstrahlung über die Medien besonderes Gewicht hat. Ich glaube, da sind die Grünen nicht so super aufgestellt.
    "Ich glaube, es ist eine Profilschwäche"
    Simon: Wenn wir noch mal auf die Inhalte schauen. Beim letzten Wahlkampf 2013, da gab es ja ein ganz klar profiliertes linkes Wahlprogramm. War es ein Fehler, 2017 davon abzurücken, wenn man zum Beispiel den auch von Ihnen zitierten Schulz-Effekt sich anschaut?
    Kleinert: Nein, das würde ich nicht so sehen. Es ist ja mit einem gewissen Recht nach dem bescheidenen Abschneiden vor vier Jahren gesagt worden, man hat steuerpolitisch überzogen. Das war sicherlich nicht der einzige Grund dafür, warum das Abschneiden der Grünen auch damals schon nicht so toll war. Aber ich halte das im Prinzip für richtig. Es ist auch in der Sache korrekt, dass man da einige Übertreibungen korrigiert hat. Die sofortige Abschaffung des Ehegatten-Splittings beispielsweise würde Probleme verfassungsrechtlicher Art aufwerfen und so weiter. Nein, ich glaube nicht, dass es daran liegt. Ich glaube eher, dass es eine gewisse Ermattung, ja man muss fast sagen Profilschwäche ist. Ich sehe zum Beispiel auch Versäumnisse im Umgang mit dem Rechtspopulismus. Wenn die Grünen der Hauptgegner der AfD sind und die AfD ja doch einen gewissen Lauf hatte, zumindest bis vor einiger Zeit, dann muss man meines Erachtens mehr daraus machen und muss sich der argumentativen Auseinandersetzung offensiver stellen, wenn man schon so angegriffen wird, sozusagen mit dem eigenen Weltbild und den eigenen Weltvorstellungen. Ich glaube auch, dass Özdemir zu wenig aus der Tatsache macht, dass er in Sachen Türkei ja doch hohe Glaubwürdigkeit hat. Das müsste noch mehr eigentlich sein Thema sein, was uns da beunruhigt an Entwicklungen in der Türkei.
    Simon: Aber kann es nicht gerade auch an der Person der Vorsitzenden Özdemir und Göring-Eckardt sein, dass zwei wirkliche Realos an der Spitze vielleicht dem schwarz-grünen Bürgertum, aber sicher nicht den grünen Stammwählern ein bisschen viel sind?
    Kleinert: Das würde ich jetzt nicht so sehen. Ich glaube nicht, dass das Problem der Grünen über eine Realo-Fundi-Leiste zu schlagen ist. Die Vertreterin der Linken an der Spitze der Grünen hat ja nun auch nicht sehr viel hergemacht.
    Simon: Sie meinen Simone Peter?
    Kleinert: Ja. Das ist, glaube ich, nicht das Problem. Auf der linken Seite gibt es ja nun auch die entsprechenden Alternativen. Die Linkspartei, das muss ich, glaube ich, nicht weiter ausführen. Es ist eher ein Problem, dass man so das Gefühl hat, da fehlt auch so ein Moment von geistiger Frische. Ja - ich möchte das wirklich so sagen – als ein belebendes Element. Vielleicht brauchen die Grünen – das wird man jetzt nicht mehr korrigieren können – auch wieder mehr Auseinandersetzung, mehr interessante Themen, auch neue Themen, die nicht einfach so abgehakt werden können, so nach dem Motto, da sind wir auch dafür, aber das ist ja eh durch und das ist nicht das, was jetzt die Gemüter bewegt.
    Als ich diesen Spitzenkandidaten in den Niederlanden jetzt gesehen habe, vor einigen Wochen im Fernsehen, da ist mir aufgefallen, dass es so was bei den Grünen nicht gibt. Es gibt keinen Nachwuchs, der mit einem solchen Appeal es versteht, öffentlich aufzutreten. Das ist sicherlich ein Mangel, dass da vielleicht auch zu wenig Leute sind, die mit Ehrgeiz nachdrängen, die eine eigene Vorstellung haben, auch so was wie eine eigene Vision haben, die wieder dann mehr Lebendigkeit in den ganzen Laden hineinbringen.
    "Fallen werden sie nicht"
    Simon: Herr Kleinert, vor 27 Jahren sind Sie damals auch persönlich zwangsweise nicht wieder eingekehrt in den Bundestag. Damals sind nur die Ost-Bündnis/Grünen da reingekommen, aber nicht die West-Grünen. Vor 25 Jahren haben Sie ein Buch veröffentlicht, "Aufstieg und Fall der Grünen". Glauben Sie, dass Sie demnächst die zweite Folge davon schreiben können?
    Kleinert: Ganz so schlimm wird es, glaube ich, nicht kommen. Der Vergleich mit 1990 hinkt an der Stelle, weil das Fundament der Grünen in der Gesellschaft breiter ist als damals. Selbst wenn die Dinge sich sehr ungünstig entwickeln sollten in den nächsten Monaten, glaube ich nicht, dass der Wiedereinzug der Grünen in den Bundestag gefährdet ist. Aber es sieht so aus, dass die Grünen Mühe haben werden, ein Ergebnis zu bekommen, das besser ist als beim letzten Mal. Ich glaube eher nicht, dass sie das schaffen.
    Die anderen angesprochenen Fragen, glaube ich, wird man erst nach der Wahl ändern können, wie die Partei wieder mehr Lebendigkeit ausstrahlen kann nach außen. Das wird sich in den paar Monaten sicherlich nicht korrigieren lassen. So wahnsinnig optimistisch bin ich auch nicht, aber fallen werden sie nicht.
    Simon: Hubert Kleinert, Professor an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen und in den 80er-Jahren einer der ersten grünen Bundestagsabgeordneten. Herr Kleinert, vielen Dank für das Gespräch.
    Kleinert: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.