Freitag, 29. März 2024

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Absturz des "Ersten Fliegers der Menschheit"
Vor 125 Jahren starb Flugpionier Otto Lilienthal

Otto Lilienthal erfüllte sich den alten Menschheitstraum vom Fliegen wie ein Vogel. Rund 2000-mal schwebte der Ingenieur mit selbstkonstruierten Flugapparaten durch die Lüfte. Bis er am 9. August 1896 nahe Potsdam abstürzte – und tags darauf seinen Verletzungen erlag.

Von Irene Meichsner | 10.08.2021
    Porträtaufnahme des Flugpioniers Otto Lilienthal
    Otto Lilienthal um 1885 (picture alliance / akg-images)
    "Man läuft mit gesenkten Flügeln dem Winde bergab entgegen, richtet im geeigneten Augenblick die Tragefläche um Weniges auf, so dass sie annäherend horizontal zu liegen kommt, und sucht nun in der Luft dahin schwebend durch die Schwerpunktslage dem Apparat eine solche Stellung zu geben, dass er schnell dahin schiesst und sich möglichst wenig senkt. ... Die erste Regel ist, die Beine gut nach vorn ausgestreckt zu halten, und sich beim Landen mit dem Oberkörper hintenüber zu werfen, so dass der Apparat sich aufrichtet und die Bewegung verlangsamt, wie man dieses an jeder sich setzenden Krähe sehen kann."

    Segelapparat ähnelte entfernt einer Fledermaus

    Fliegen wie ein Vogel – diesen alten Menschheitstraum hat sich Otto Lilienthal erfüllt. "Bald setzt man über haushohe Schluchten hinweg und streicht mehrere hundert Meter ohne alle Gefahr durch die Luft dahin", schrieb er 1893 über seine Erfahrungen mit seinem "Normalsegelapparat", der - bei einer Spannweite von fast sieben Metern - entfernt einer Fledermaus ähnelte.
    Der Luftfahrtpionier Otto Lilienthal (1848–1896) mit seinem "Flugapparat"
    Otto Lilienthal 1888 mit seinem Fluggleiter vor dem Start (pivture alliance / Bildagentur-online / Celeste)
    "Mit dem Gerät zu fliegen, ist wie Barrenturnen. Man stützt sich also auf den Unterarmen auf, hängt frei, und muss dabei dann immer die Bauchmuskulatur anspannen, um die Beine in der entsprechenden Position zu halten", sagte Andreas Dillmann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt 2016 bei einem Pressetermin, nachdem er und seine Kollegen einen originalgetreuen Nachbau von Lilienthals Fluggleiter ausgedehnten Tests unterzogen hatten.
    "Und was wir uns erhofft haben, und was die Messungen schon bestätigt haben, ist, dass Lilienthal wirklich wusste, wie man ein Flugzeug baut. Er war der Erste, der das vollständig verstanden hat, dem es gelungen ist, ein Fluggerät zu bauen - er ist es erfolgreich geflogen, er hat es in Serie produziert, hat es erfolgreich an mehrere Kunden verkauft und hat die auch noch im Fliegen unterrichtet - in jeder Hinsicht ein Pionier der Luftfahrt."

    Störche und Möwen als Vorbild

    Lilienthal, 1848 im pommerschen Anklam geboren, hatte schon als Kind vom Fliegen geträumt. Mit seinem Bruder Gustav beobachtete er Störche, Möwen und andere Vögel, um herauszufinden, worin die Kunst des Fliegens bestand. Während seines Maschinenbaustudiums in Berlin nutzte er jede freie Minute, um Berechnungen über die ideale Form von Flügeln anzustellen. Lilienthal kam zu dem Schluss, dass die leicht gewölbte Fläche die günstigsten Eigenschaften hatte.
    Otto-Lilienthal-Museums in Anklam 
    Wo die Menschheit fliegen lernte
    Ohne Anklam wäre Otto Lilienthal wohl kaum geflogen und wäre er nicht dort geboren, hätte die Stadt sicherlich auch keinen eigenen Flughafen heute. Zu Ehren des Flugpioniers hat Anklam auch ein "Otto-Lilienthal-Museum".
    1891 hob er zum ersten Mal ab. Nach einem Sprung von einem kleinen Hügel in der Nähe von Potsdam segelte er rund 15 Meter weit. Lilienthal, inzwischen Inhaber einer Maschinen- und Dampfkesselfabrik, testete im Laufe der Jahre verschiedene Flugapparate. Mancher Versuch endete in einer Bruchlandung, aber er kam ohne große Blessuren davon. Bis zum 9. August 1896, als ihn am Gollenberg bei Stölln im Havelland eine sogenannte Sonnenbö - eine plötzlich aufsteigende Luftströmung - erfasste. Sein Assistent Paul Beylich erinnerte sich in einer historischen Aufnahme:
    "Lilienthal flog ab, und wie er ein Stück geflogen war, steht er oben in der Luft vollständig still. Und dann sehe ich, dass er mit den Beinen so schlenkert, hin- und herschlenkert, um den Apparat in Bewegung zu bringen. Mit einem Mal kriegt der Apparat die Neigung nach vorne und saust runter. Schlägt auf und das Unglück war passiert."

    "Opfer müssen gebracht werden!" - Lilienthals angeblich letzte Worte

    Lilienthal hatte sich bei dem Sturz aus 15 Metern Höhe einen Halswirbel gebrochen und vermutlich auch eine Hirnblutung zugezogen. Er fiel ins Koma und starb am nächsten Tag, dem 10. August 1896, in einem Berliner Krankenhaus. -
    "Opfer müssen gebracht werden!" - sollen seine letzten Worte gewesen sein. Offenbar war dem 48-Jährigen die begrenzte Steuerbarkeit seines Fluggleiters zum Verhängnis geworden, vermutet Andreas Dillmann:
    "Hätte er das Flugzeug in seinen Betriebsbereichen betrieben, wäre er bei Windstille nur geflogen, dann wäre er nicht abgestürzt. Also, unter Piloten nennt man so etwas 'Overconfidence' - wenn's 2.000 Mal gut gegangen ist, und er hat ja 2.000 Flüge gemacht, dann traut man sich plötzlich zu viel zu, und dann kann’s tödlich enden."
    Ohne Treibstoff um die Welt
    Im Juli 2016 beendete das Solar-Flugzeug "Solar Impulse 2" seine Reise um die Welt. Der Schweizer Bertrand Piccard landete in Abu Dhabi, wo der Flug ein Jahr zuvor begonnen hatte.
    Die Welt reagierte auf die Nachricht von Lilienthals Tod mit großer Bestürzung. Er war für viele ein Vorbild gewesen – darunter die Gebrüder Wright, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihre ersten steuerbaren Motorflugzeuge präsentierten – ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der modernen Luftfahrt.