Freitag, 29. März 2024

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Abwahl von Kauder
"Es ist tatsächlich die Machtfrage, die sich da stellt"

Volker Kauder ist als Chef der Unionsfraktion im Bundestag abgewählt worden. Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Martin Florack bricht damit eine tragende Säule der Großen Koalition weg. Kauder sei eine Stütze für Angela Merkel gewesen, aber auch eine Verbindung zur SPD, sagte Florack im Dlf.

Martin Florack im Gespräch mit Peter Sawicki | 25.09.2018
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der abgewählte Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder (picture alliance/Michael Kappeler/dpa)
    Peter Sawicki: Die Wahl von Ralph Brinkhaus und die Abwahl von Volker Kauder wirft die eine oder andere Frage auf. Einige haben wir vor der Sendung Martin Florack, einem Politikwissenschaftler von der Uni Siegen gestellt. Die erste Frage an ihn lautete, ob das Ganze mehr als eine simple Personalie ist.
    Martin Florack: Ja, es ist mehr als das. Es ist tatsächlich die Machtfrage, die sich da stellt, denn Volker Kauder ist ja nicht irgendwer, sondern eine wichtige Stütze für Angela Merkel, aber durchaus auch für die Koalition insgesamt. Denn man darf ja nicht außer Acht lassen, dass Volker Kauder als Fraktionsvorsitzender natürlich zum einen dafür da ist, der Kanzlerin Rückendeckung zu bieten, aber zum anderen auch dazu da ist, eine wichtige Brückenfunktion hin zur SPD zu bieten und vor allen Dingen auch die CSU an Bord zu halten. Angela Merkel hat ja deutlich gemacht, dass sie Volker Kauder in dieser Position für besonders wichtig erachtet und da auf ihn setzt. Insofern bricht damit auch eine tragende Säule der Großen Koalition insgesamt weg.
    "Letzte Möglichkeit für ein Signal an die Kanzlerin"
    Sawicki: Lassen Sie uns auf die einzelnen Punkte gleich noch eingehen. Jetzt haben Sie gesagt, das ist eine Machtfrage gewesen, die sich da heute manifestiert hat. Hat Angela Merkel Macht eingebüßt?
    Florack: Ja, das hat sie mit Sicherheit, und manchmal sucht sich das ja auch ein solches Ventil, wenn man die Kanzlerin direkt noch nicht erwischen kann. Es gehört, glaube ich, auch zur besonderen Chronologie der Ereignisse, dass ja diese Wahl eigentlich auch die letzte Gelegenheit in dieser Legislaturperiode ist, ein solches klares Signal an die Kanzlerin zu senden. Die Union hat ja in ihrer Geschäftsordnung festgelegt, dass nach einer Bundestagswahl für ein Jahr gewählt wird und dann nach Ablauf dieses Jahres für den Rest der Legislaturperiode. Insofern war das jetzt in gewisser Weise der letztmögliche Zeitpunkt, um ein klares Signal an die Kanzlerin zu senden.
    10.09.2018, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Volker Kauder (CDU), Unions-Fraktionsvorsitzender, nehmen an Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag teil. Foto: Kay Nietfeld/dpa | Verwendung weltweit
    Für Angela Merkel bricht ein wichtiger Verbündeter weg (dpa)
    Und man darf nicht vergessen: Das war nicht das erste Signal. Volker Kauders Wiederwahl nach der Bundestagswahl war schon extrem schwach vom Ergebnis her. 77 Prozent hat er bekommen, und da sind Enthaltungen nicht mitgezählt worden, und das Ganze ohne Gegenkandidat. Und er ist zum zweiten Mal auch vehement unter Druck geraten, als es um die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU ging, als auch zum Teil die gleichen, die jetzt mutmaßlich bei der Wahl von Ralph Brinkhaus mitgemischt haben, eine wichtige Rolle für die Fraktion eingefordert haben. Auch da musste Volker Kauder ein bisschen getrieben werden. Das waren erste Indizien, dass die Macht da erodiert an verschiedenen Stellen.
    "Brinkhaus hat den richtigen Zeitpunkt genutzt"
    Sawicki: Trotzdem hat das keiner vorhergesagt, dass das heute so kommen würde. Kommt das für Sie nicht so ganz überraschend?
    Florack: Es wäre jetzt vermessen zu sagen, man hätte das so vorausahnen können. Aber es gab schon ein paar Indizien, die darauf hindeuten, und vor allen Dingen darf man auch die Signalwirkung einer solchen Wahl nicht unterschätzen, wenn man ein starkes Signal setzen will. Denn welche andere Möglichkeit hätte es für die Abgeordneten gegeben? Es gibt keine wirkliche Sachfrage, in der man als Fraktion so klar Signale senden kann, dass sie auch gehört werden. Da muss man eine solche Wahl nutzen und auch diesen Überraschungseffekt nutzen.
    In gewisser Weise war auch Ralph Brinkhaus ein besonders gefährlicher Kandidat für die Kanzlerin, weil anders als vielleicht der eine oder andere in der Fraktion, der in der Vergangenheit schon quergeschossen hat und auch Widerstand signalisiert hat, hat Ralph Brinkhaus sich ja weitgehend solidarisch verhalten. Aber er hat dann den richtigen Zeitpunkt genutzt und scheinbar dann mit der richtigen Rückendeckung und den richtigen Verbündeten es geschafft, genau auf leisen Sohlen dann Volker Kauder zu beerben.
    Sawicki: Was glauben Sie, wie ist er da vorgegangen?
    Florack: Man darf jetzt nicht übersehen, dass die Fraktion ja gespalten ist, und es ist ja nicht so, dass jetzt die gesamte Fraktion übergelaufen wäre, sondern es gibt eine Spaltung innerhalb der Fraktion und mutmaßlich auch zwischen den unterschiedlichen Teilen der Fraktion. Man kann schon davon ausgehen, dass möglicherweise insbesondere von Seiten der CSU das Signal gegen Volker Kauder dazu da war, der Kanzlerin Kontra zu geben. Und dann kommt ja Brinkhaus auch noch aus Nordrhein-Westfalen und da ist ja auch der eine oder andere Protagonist in der Vergangenheit aus dem Landesverband aktiv geworden. Jens Spahn sei genannt oder auch Carsten Linnemann mit konträren Positionierungen gegenüber der Kanzlerin. Das ist der gleiche Landesverband. Auch da hat er möglicherweise Stimmen einsammeln können und beispielsweise bei den Ostwestfalen oder dem westfälischen Teil des Landesverbandes Stimmen eingesammelt. Das hat er ganz geschickt gemacht, um dann eine Mehrheit, wenn es auch eine knappe Mehrheit ist, zu organisieren.
    Ralph Brinkhaus am Rednerpult des Bundestags.
    Der neue Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus. (dpa / Maurizio Gambarini)
    "Unterstützung von Seehofer vielleicht kontraproduktiv für Kauder"
    Sawicki: Die CSU haben Sie jetzt auch explizit erwähnt, und Horst Seehofer, der CSU-Chef, hat ja Kauder ausdrücklich unterstützt, mit Merkel zusammen. War das auch eine Abrechnung mit Seehofer?
    Florack: Ja. Vielleicht ist die Unterstützung von Seehofer auch eher eine Hypothek gewesen für Volker Kauder, denn er ist ja auch beim CSU-Parteitag mit bestenfalls lauwarmer Unterstützung versehen worden. Eigentlich hat man das Gefühl, er ist in der CSU bestenfalls noch geduldet, aber ernst nimmt man ihn da nicht mehr wirklich. Insofern war die Unterstützung von Seehofer vielleicht genau kontraproduktiv, sondern hat möglicherweise dann den einen oder anderen Abgeordneten verleitet zu sagen, dann ist das Signal besonders wirksam, weil wir dann nicht nur die Kanzlerin damit erreichen, sondern auch den CSU-Chef.
    Sawicki: Hat die Causa Maaßen zu dieser Wahl heute beigetragen?
    Florack: Es wird mutmaßlich den einen oder anderen in der Fraktion bei CDU und CSU bestärkt haben, dass es mit einem reinen "weiter so" nicht weitergehen kann. Denn es sind ja verschiedene Signale mit der Person verbunden. Zum einen ist Ralph Brinkhaus ja jemand, der als Haushälter, auch als Generalist reüssieren kann. Man hat da jetzt nicht irgendeinen kleinen Fachpolitiker gewählt, sondern jemand, der in der Fraktionsführung schon eine wichtige Rolle gespielt hat. Gleichzeitig keinen, der als notorischer Nörgler und Kritiker unterwegs ist. Und trotzdem jemanden, von dem man vielleicht einen neuen Stil auch erwartet, denn Brinkhaus ist ja auch im Parlament als durchaus rhetorisches Talent aufgetreten, hat einen ganz anderen Ton angeschlagen als Volker Kauder.
    Insofern erhofft sich die Fraktion natürlich auch im Stil und in der Sache davon eine unterschiedliche und eine Neupositionierung, weil den Abgeordneten klar ist, dass mit diesem weiteren Durchlaufen der Großen Koalition, so wie die Regierung im Moment vor sich hinwurstelt, in drei Jahren ja auch die eigene Macht, das heißt das eigene Mandat gefährdet ist.
    Sawicki: Was glauben Sie, ändert sich die politische Ausrichtung der Union jetzt?
    Florack: Ja. Sie ändert sich schrittweise ja sowieso schon, weil auch klar ist, dass Angela Merkel als Parteivorsitzende jetzt durchaus eine auf Abruf ist.
    Der Poltikwissenschaftler Martin Florack.
    Der Poltikwissenschaftler Martin Florack. (privat)
    "Fraktionsvorsitzenden sind Manager der Großen Koalition"
    Sawicki: Aber praktisch? Was sehen Sie praktisch vielleicht jetzt für neue Ausrichtungen, neue Impulse?
    Florack: Praktisch wird es so sein, dass vor allen Dingen jetzt erst mal zu klären ist, wie Brinkhaus und Andrea Nahles zusammenarbeiten können. Denn man darf nicht vergessen, dass die Fraktionsvorsitzenden ja weniger inhaltliche Treiber von Regierungspolitik sind, sondern die Manager der Großen Koalition. Die inhaltlichen Einflussmöglichkeiten eines Fraktionsvorsitzenden sind beschränkt, weil ja die großen und die zentralen Linien im Koalitionsvertrag festgezurrt sind. Da darf man jetzt nicht erwarten, dass es die Rolle des Fraktionsvorsitzenden ist, neue inhaltliche Pflöcke einzuschlagen. Insofern ist es eine stilistische Frage des Umgangs mit dem Koalitionspartner und wie es jetzt gelingt, auch die Kommunikationswege mit der SPD neu zu sortieren.
    Man weiß ja, dass Andrea Nahles und Volker Kauder sich schätzen, gut zusammengearbeitet haben. Insofern steht da auch die Koalitionsfrage wieder auf eine ganz andere Art und Weise neu im Raum. Aber von Brinkhaus kann man jetzt nicht erwarten, dass er die Programmatik der CDU prägt. Das ist nicht die Rolle des Fraktionsvorsitzenden einer Regierungsfraktion.
    Sawicki: Wird Merkel jetzt die Vertrauensfrage stellen?
    Florack: Wer könnte das vorhersagen? Ausschließen kann man es nicht. Es wäre im Sinne der Disziplinierung eine Möglichkeit, vielleicht den Zusammenhalt der Regierung noch mal zu dokumentieren. Es birgt aber auch eine unglaubliche Gefahr bei dieser Vertrauensfrage dann, sollte sie sie verlieren, wo endgültig klar wird, dass ihre Kanzlerschaft endet. Dieses Risiko würde eigentlich nicht zu Merkel passen, die bisher eher risikoscheu agiert hat. Insofern würde ich darauf jetzt nicht unbedingt wetten, dass das passiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.