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Achievements in Computerspielen
Möhren für Mangelwesen Mensch

Entwickler von Computerspielen haben sich viele Tricks ausgedacht, um die Spieler bei der Stange zu halten – einer davon sind freischaltbare Achievements, also kleine Belohnungen für abgeschlossene Spielabschnitte oder das Meistern schwieriger Herausforderungen. Eine Trophäenjagd als Meta-Spiel.

Von Tim Baumann | 04.06.2019
Neben einer Moehre liegt ein Zollstock
Der Mensch auf der Jagd nach der Möhre - das ist das Prinzip hinter den Achievements, meint Games-Forscher Jürgen Sleegers (dpa-Zentralbild)
Auf dem Mond Elpis geht es heiß her – verrückte Space-Scavenger beschießen Sheriff Nisha von allen Seiten, um ihre Gesundheit steht es schlecht und der Sauerstoff wird knapp. Trotzdem erhebt sich Nischa plötzlich aus ihrer Deckung, springt in die Höhe, dreht sich um 360 Grad und feuert aus der Hüfte einen einzelnen Schuss mit ihrem Scharfschützengewehr ab – genau zwischen die Augen eines Bösewichts.
Warum so kompliziert? [Soundeffekt Achievement] Darum. Mit diesem Geräusch weist uns das Spiel "Borderlands – The Pre Sequel" darauf hin, dass wir soeben ein Achievement errungen haben. Diese motivierenden Belohnungs-Pop-Ups sind seit Erscheinen der X-Box 360 im Jahr 2005 fester Bestandteil der Computerspielkultur geworden.
Welche Spielhandlungen mit einem Achievement belohnt werden, das hängt vom Spiel ab – viele sind kinderleicht, andere verlangen den Spielern alles ab: So wird man im Adventure "Brothers – A Tale of two Sons" dafür belohnt, sich einfach mal auf eine Parkbank zu setzen und auszuruhen, während das Musikspiel "Rock Band 2" für das Achievement "Blase aus Stahl" verlangt, mehr als 6 Stunden am Stück fehlerfrei zu spielen – ohne auf Pause zu drücken. Aber warum sollte sich ein Spieler das antun?
Der Möhren-Effekt
Jürgen Sleegers forscht am Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der TH Köln: "Das Bild vom Esel mit der Möhre ist, glaube ich, immer noch ganz gut. Der Mensch ist ein Mangelwesen, also: Ich will immer mehr, ich will immer höher, weiter, schneller, irgendwas. Und ich möchte natürlich dann auch in Spielen, das ist ein relativ zentrales Element, immer weiter kommen."
Und dieses Gefühl von Weiterkommen, von Errungenschaft, von Achievement, muss in jedem Spiel neu errungen werden. "Ah, ich hab den Level geschafft, ich hab das gemacht, ich hab beim Autorennen die Runde unter einer Minute mit der alten Gurke geschafft – oder was auch immer. Irgendwas Besonderes. Und Achievements sind einfach nochmal so der Beweis – und dann gerade über das Onlinespielen, dass andere das auch noch sehen können."
Achievements sind im Grunde also eine Weiterentwicklung der Highscore-Tabellen, die es schon für Arcade-Automaten gab. Während man früher aber nur sein Kürzel an einem einzelnen Automaten hinterlassen konnte, sind heutige Achievement-Systeme transparent und weltweit vernetzt: Welcher Spieler hat welches Achievement wann freigeschaltet? Und welche Spiele hat er sonst noch gespielt? Wie ist sein Gamerscore insgesamt? Für die Spieleindustrie sind diese Daten natürlich Gold wert.
Digitales Kräftemessen
Die Spielerschaft ist aber geteilt: Während Ranglisten, Trophäen und Statistiken für die meisten Spieler nur am Rande interessant sind, fokussieren sich andere vollständig auf dieses digitale Kräftemessen: "Ich glaube, das ist auch ein Spiel im Spiel für manche, die dann sagen, ich spiele das anders. Ich spiele das, indem ich alles entdecken möchte, indem ich alles erreichen möchte, indem mir die Spielgeschichte gar nicht mehr so wichtig ist."
Dass manche Spieler von Achievements regelrecht genervt sind, zumal wenn sie für Kleinigkeiten wie "Starte das Spiel" vergeben werden, während sie für andere zum Hauptzweck des Spielens werden, erklärt Jürgen Sleegers von der TH Köln mit einem Modell des britischen Spieleforschers Richard Bartle: "Der unterteilt Spieler*innen in vier Bereiche: Das ist so der Killer, für den steht Wettkampf und Gewinnen voll im Vordergrund. Der Achiever, der sammelt Auszeichnungen, also das wäre genau derjenige, der zu dem Thema richtig passt. Aber auch der Socializer – der ja, ist mir gar nicht so wichtig, ob ich jetzt gewinne, aber das Spielen an sich ist wichtig und dass ich mich mit anderen austauschen kann. Dann gibt es noch den Explorer, der ist so ein bisschen ähnlich dem Achiever, aber für den ist auch nochmal der Fortschritt und das Entdecken ganz wichtig."
Jeder Spieler trägt mehrere dieser Spielertypen in sich – mit individueller Gewichtung. Und je nachdem, wie der Bartle-Quotient der einzelnen Gamer ausfällt, sind ihnen Achievements wichtig – oder eben nicht.
Einen gewissen Einfluss darauf dürfte aber auch die Gestaltung der einzelnen Achievements haben. Denn in vielen Titeln sind die Errungenschaften interessant oder lustig gestaltet: Wenn etwa in der brutal schweren Darksouls-Reihe der erste Tod der Spielfigur mit einem sarkastischen "Willkommen bei Darksouls"-Achievement belohnt wird. Eines der spannendsten Achievements dürfte aber das gaming-kritische Spiel "The Stanley Parable" beinhalten – um die Errungenschaft "Go outside" zu erhalten, darf man das Spiel nämlich fünf Jahre lang nicht starten.