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ADFC: Radfahrer sollen nicht mit Helmpflicht drangsaliert werden

Gerichtlich bekam eine Fahrradfahrerin wegen eines Unfalls eine Teilschuld, weil sie keinen Helm trug. Ulrich Syberg, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), lehnt aber eine Helmpflicht für Radfahrer ab. Für ihn sei es sinnvoller, die Geschwindigkeit von allen Verkehrsteilnehmern im Straßenverkehr zu senken, um Verkehrsunfälle zu vermeiden.

Ulrich Syberg im Gespräch mit Mario Dobovisek | 12.07.2013
    Mario Dobovisek: Ich nehme ihn mir mal in die Hand: So klingt er, mein weißer Fahrradhelm. Na ja, er ist auch nicht besonders hübsch, muss ich dazu sagen. Ich trage ihn nicht aus Überzeugung, vielmehr, weil es pädagogisch wohl inkonsequent wäre, wenn ich meiner Tochter den Helm aufzwingen, aber selbst oben ohne Radfahren würde. Eine Helmpflicht für Radfahrer, die gibt es nicht. Politisch ist sie auch nicht gewollt, sagt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Und dennoch könnte sie kommen, sozusagen durch die Hintertür.
    Am Telefon begrüße ich Ulrich Syberg, den Bundesvorsitzenden des ADFC, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs. Guten Morgen, Herr Syberg!

    Ulrich Syberg: Guten Morgen, liebe Hörer! Guten Morgen!

    Dobovisek: Tragen Sie einen Helm beim Radfahren?

    Syberg: Ich trage einen Helm, ja. Ich bin bekennender Helmträger.

    Dobovisek: Und warum?

    Syberg: Weil ich denke, ich muss Vorbild sein als Bundesvorsitzender, und mache das aber auch schon seit 1985, als die Helme gerade mal wieder beim Rennradfahren nicht gewollt waren, aber ich habe gesagt, ich schütze mich, weil da zu schnell gefahren wird beim Rennradfahren. Da habe ich mir einen Helm aufgesetzt und seitdem bin ich bekennender Helmträger, trage ihn aber nicht immer, muss ich sagen. Weil ich denke, zu besonderen Tageszeiten im dichten Straßenverkehr ist er für mich wichtig, damit ich mich besser und wohler fühle, aber in der Freizeit, wenn ich mal eben drei Kilometer zum Kanal hinfahre, um ein bisschen Freizeit zu radeln, dann setze ich ihn natürlich überhaupt nicht auf, weil ich das nicht brauche. So ist meine Einschätzung.

    Dobovisek: Wir lernen dieser Tage von den Statistikern, dass während die Zahl der tödlichen Autounfälle stetig sinkt die der tödlichen Fahrradunfälle dagegen weiter steigt. Im vergangenen Jahr sind über 400 Fahrradfahrer bei Unfällen ums Leben gekommen. Sie haben es angesprochen: Könnte das Tragen dieses Risiko minimieren?

    Syberg: Ich glaube, jeder Tote im Straßenverkehr ist einer zu viel. Das muss ich grundsätzlich sagen. 406 tote Radfahrer sind 406 tote Radfahrer absolut zu viel, auch im Straßenverkehr, im Autoverkehr, Motorrad und so weiter.
    Ich bin der Meinung, dass das Thema Radfahren und Helm dazu führt, dass man dadurch jetzt sagt, dass das Radfahren gefährlich ist und das ist der falsche Ansatz meiner Meinung nach. Radfahren ist überhaupt nicht gefährlich. Es ist gesundheitsfördernd, es schon die Umwelt, ich brauche das nicht alles zu erwähnen, die Themen sind alle mehrfach diskutiert worden. Aber die Situation, dass Radfahren jetzt gefährlich sein soll, die stimmt überhaupt nicht.

    Dobovisek: Nun ja, ganz ungefährlich ist es ja nicht!

    Syberg: Selbst verunfallen kann ich immer wieder. Wir haben die Situation in Haushalten, in Treppenstürzen, in Leiterstürzen, da sind viel mehr Gefahren als beim Radfahren.

    Dobovisek: Aber was spricht dann gegen eine Helmpflicht?

    Syberg: Die Helmpflicht sagt im Grunde genommen – und das ist unsere Meinung, die des ADFC -, dass dadurch das Thema Fahrrad in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird, das ist gefährlich und ich steige einfach nicht mehr drauf. Ich habe mich jetzt entschieden zum Fahrradfahren und jetzt werde ich auch noch mit Bekleidungsvorschriften sozusagen genötigt, mir etwas anzutun. Ich müsste mir einen Helm aufsetzen, Protektoren vielleicht, und das wollen die Menschen aus unserer Sicht nicht. Sie wollen Freiheit auf dem Rad, leicht und locker durch die Gegend fahren. Wir sagen ja nicht, der Helm ist grundsätzlich falsch, aber es soll eine freie Entscheidung sein des Bürgers und da halten wir dagegen im Moment.

    Dobovisek: Motorradhelme und Anschnallen im Auto sind seit 1976 Pflicht. Auch da gab es damals große Aufregung. Wen hält das denn heute vom Fahren ab?

    Syberg: Das hält die Leute ab, die gerade für sich entschieden haben, jetzt wieder Fahrrad zu fahren. Ich will das gar nicht vergleichen, was damals war …

    Dobovisek: Sie sagen also, diejenigen, die jetzt nicht Autofahren, weil sie sich anschnallen müssten, fahren Fahrrad?

    Syberg: Die Situation mit Anschnallen und Radfahren ist, glaube ich, eine andere. Mit dem Auto wird viel zu schnell gefahren, Sie kriegen ja die Geschwindigkeiten auch gar nicht runter auf den Landstraßen und auf den Autobahnen. Wenn wir ein Tempolimit hätten, bräuchte man vielleicht, aber es ist ja durch, die Anschnallpflicht und die Gurtpflicht und der Airbag.
    Ich denke, wir brauchen eine Kultur des Radfahrens. Die Leute wollen Radfahren und sie müssen nicht drangsaliert werden mit Helmpflichten. Das ist für uns das große Übel im Moment, dass die Leute umsteigen, sie haben es erkannt, anders mobil zu sein in Deutschland, und jetzt gehen wir dagegen vor und sagen, ihr müsst euch jetzt Bekleidungsvorschriften aneignen. In Holland funktioniert es, in Kopenhagen funktioniert es, in Dänemark, in der Welt. Keine belastbare Untersuchung gibt es, die sagt, die Helme hätten grundsätzlich immer geschützt vor Unfällen.

    Dobovisek: Das kann natürlich keiner sagen. Auch der Anschnallgurt schützt ja nicht immer. Aber fühlen Sie sich drangsaliert vom Anschnallgurt im Auto?

    Syberg: Ich fahre selten Auto und für mich ist er im Auto eingebaut. Stellen Sie sich doch nur mal vor – ich werde jetzt sehr emotional -, dass der Anschnallgurt immer wieder herausgebaut werden müsste, Sie müssten ihn immer wieder reinsetzen. Das ist jetzt ein Konstrukt, was aus meiner Sicht immer wieder auch genannt werden muss. Aber wenn ich diesen Anschnallgurt nicht im Auto eingebaut hätte, dann würde ich ihn vermutlich auch vergessen und einfach nicht nutzen. Wir haben die Situation mit den Helmen: Alle Leihradsysteme zum Beispiel, die in Deutschland funktionieren, gerade aufgebaut werden, würden dadurch ad absurdum geführt.

    Dobovisek: Warum meinen Sie – Sie sagen emotional – ist denn das Thema Fahrradhelm so emotional besetzt?

    Syberg: …, weil es die Leute dazu führt, für sich das Thema Fahrrad neu entdeckt zu haben, und jetzt werden sie dazu genötigt, sich zu schützen. Und das habe ich am Anfang schon gesagt: Das ist nicht nötig. Sie brauchen sich nicht unbedingt schützen. Wenn wir ein Verkehrsverhältnis haben von gegenseitiger Rücksichtnahme – es sind ja nicht alle tödlichen Unfälle darauf zurückzuführen beim Fahrradfahren, dass man es vermieden hätte, wenn man einen Helm getragen hätte. Man muss genaue Unfallanalysen führen, und die gibt es nicht.
    Für mich gibt es keine belastbaren Untersuchungen, weltweit sogar, die sagen, dass der Helm immer dazu geführt hat, dass der Radfahrer nicht tödlich verunglückt wäre.

    Dobovisek: Da sehen andere das auch genau anders. Die sagen ganz klar, das es belastbare Ergebnisse und Studien gibt, zum Beispiel auch der Gesamtverband der deutschen Versicherer. Der sagt, ein Viertel aller Verletzungen nach einem Fahrradunfall treffen den Kopf, und es ist ja unbestritten, dass ein Helm schützt. Also warum dieser emotionale Widerspruch?

    Syberg: Es gibt für mich auch keine Situation, wo diese Belastbarkeit wirklich dazu führt, dass es so ausgeführt werden sollte. Ich möchte alle dazu bitten, die dazu beitragen können, die Verkehrssituation in Deutschland, gemeinsam danach zu forschen, ob es so ist, aber gemeinsam auch dazu zu führen, dass die Geschwindigkeiten runtergehen in den Städten und dass man ein Verkehrsverhältnis schafft, wo ein Miteinander ist. Das ist mir viel wichtiger. Dadurch werden vermutlich diese Unfälle minimiert aus unserer Sicht.

    Dobovisek: Kommen wir noch einmal kurz zurück zu dem Urteil, das wir ganz am Anfang angesprochen haben. Es sei unzweifelhaft, dass ein Helm vor Kopfverletzungen schütze, heißt es in diesem Urteil aus Schleswig. Deshalb könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird. Liegen die Richter hier falsch?

    Syberg: Ein verständiger Mensch kann ja durchaus zu dem Entschluss kommen. Es gibt aber auch sehr viele verständige Menschen, die sagen, ich setze ihn absolut nicht auf. Ich möchte nur, dass durch die Hintertür nicht passiert, dass wir jetzt diese Helmpflicht bekommen. Ich denke, ganz viele Menschen, die dann nicht mehr aufs Fahrrad steigen, haben dann andere gesundheitliche Gefahren. Man muss das immer vergleichen aus meiner Sicht. Was bringt die Helmpflicht gegenüber Blutdruckerkrankungen, Diabetes II und so weiter? Das muss man mal dagegen halten, wo die gesundheitlichen Vorteile des Radfahrens sind. Und da komme ich dann sicherlich in Untersuchungen schnell dazu, dass eine Helmpflicht kontraproduktiv gegenüber anderen Gesundheitsgefährdungen ist.

    Dobovisek: …, sagt Ulrich Syberg vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub über das Für und Wider einer Helmpflicht für Radfahrer in Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Syberg: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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