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Adlerhorste am Schaalsee

Paradoxerweise hat der Kalte Krieg zum Erhalt der Seeadler beigetragen. In dem streng abgeriegelten Grenzstreifen zwischen West- und Osteuropa konnte sich der König der Lüfte gut entfalten - beispielsweise am mecklenburg-vorpommerschen Schaalsse.

Von Lutz Reidt | 28.09.2009
    Der dunkle Schatten auf dem Grün der Wiese war nur kurz zu sehen, doch Thomas Neumann hat sofort den Kopf gehoben. Vielleicht ein Seeadler? Um die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht zu schützen, hält der Biologe vom WWF die Hand über seine Stirn. Mit angestrengtem Blick sucht er den Himmel ab:

    "Er liegt wie ein Brett am Himmel. Zwei Meter 50 Spannweite, und dann einen relativ kurzen Schwanz, auch Stoß genannt, der beim alten Adler weiß ist. Und den gelben Schnabel! Der gelbe Schnabel, der sehr mächtig ist, kennzeichnet den Altvogel. Der Jungvogel hat einen dunklen Schwanz und einen dunklen Schnabel."

    Und tatsächlich, da ist er. Ohne seine Schwingen zu bewegen, kreist er jetzt über dem Schaalsee, wo der Seeadler nie so ganz verschwand - selbst in den 60er und 70er-Jahren nicht, als es dem Bestand sehr schlecht ging. Heute dagegen sieht es viel besser aus.

    An den Seen, Flüssen und Küsten von Holstein bis Vorpommern hat sich der Bestand seit der Wende mehr als verdreifacht, auf fast 600 Paare. Sechs davon horsten auch im weiteren Bereich des Sees, sagt der Biologe Rainer Mönke vom Biosphärenreservat Schaalsee:

    "Ncht alle brüten jedes Jahr erfolgreich. Aber insgesamt ist der Bestand natürlich stabil und erfreulicherweise in Mecklenburg zunehmend - über 200 Paare. Im Grenzgebiet, da hat das immer mal gewechselt. Hier lief ja die Grenze praktisch durch den See. Dass sie mal hier von Techin rüber zum Seedorfer Werder wechselten. Und einen Seeadler oder überhaupt die Vogelwelt hat natürlich die Grenze damals nicht interessiert, die konnten sich einfach drüber hinweg schwingen."

    Die Seeadler nutzen den ungeteilten Himmel über dem Schaalsee zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Für die Menschen jedoch war das Gebiet jahrzehntelang Sperrzone. Einzig die Überwachungsboote der Grenzer patrouillierten auf dem Wasser. Kaum ein Mensch betrat die Ufer.

    Und das ist auch heute an vielen Stellen nicht anders. Kein einziges Segel ist weit und breit auf dem Wasser zu sehen. Nur wenige Boote sind zugelassen, surfen und tauchen ist ganz verboten. Die Natur soll sich weitgehend so weiter entwickeln wie in den Jahrzehnten der deutschen Teilung - und davon profitiert vor allem die Vogelwelt:

    "In den Schilfbereichen brüten verschiedene Entenarten, unter anderem auch die doch recht seltene Kolbenente, wir haben gute Graugansbestände, gute Haubentaucherbestände, Seeadler, Kraniche, wir haben etwas über 100 Brutpaare Kraniche hier im Gebiet um den Schaalsee, wir haben ungenannte Insektenarten, wir haben ja Waldbereiche mit hohem Totholzanteil, wo fast 500 sogenannte Xylobionte, also Holz bewohnende Käferarten nachgewiesen wurden; wir haben also gerade im Bereich von Insekten und anderen Kleintieren eine außerordentliche Artenvielfalt."

    Der See ist sehr abwechslungsreich. An keiner Stelle am Ufer lässt sich der Schaalsee ganz überblicken. Die längliche Form ähnelt einem norwegischen Fjord, der sich in viele kleinere und größere Äste verzweigt, idyllische Halbinseln ragen weit in den See hinein. Weitläufige seichte Bereiche wechseln ab mit steilen, bis zu zehn Meter hohen Uferterrassen. Und die Wasserqualität könnte nicht besser sein:

    "Das Wasser ist tief, klar, sauerstoffhaltig und die Große und die Kleine Maräne kommen hier vor. Denn gerade die Große Maräne ist ja so ein lachsartiger, Kälte liebender Fisch. Und die Biologen der Universität Rostock haben auch festgestellt, dass ein eiszeitlicher Reliktkrebs, ein Amphipode - es gibt leider keinen deutschen Namen - Palasaea quadrispinosa - hier in großer Zahl vorkommt, der natürlich auch ein Anzeiger ist für eine entsprechende Wasserqualität."