Samstag, 20. April 2024

Archiv

Ägypten
Das Ziel sind weniger Kinder

Ägypten kämpft gegen zu hohe Geburtenraten. Deshalb spricht sich die Regierung für Verhütung und Familienplanung aus und will Ehen mit Minderjährigen verhindern. Unterstützung bekommt sie dabei sogar von religiösen Gelehrten wie dem Generalsekretär des Fatwa-Rates.

Von Björn Blaschke | 07.07.2018
    Straßenszene in Kairo: Ein Vater fährt mit seinen fünf Kindern auf dem Motorrad
    Straßenszene in Kairo: Ein Vater fährt mit seinen fünf Kindern auf dem Motorrad. Mit etwa 95 Millionen Menschen ist Ägypten viel zu dicht bevölkert. (picture alliance/ dpa/ Matthias Tödt)
    Nehad Abul-Komsan, eine bekannte ägyptische Frauenaktivistin, erzählt jeden Tag im YouTube-Kanal der Tageszeitung "al-Watan" von Frauen, die in der Frühzeit des Islam Geschichte gemacht haben. Zum Beispiel Rufayda: eine berühmte Ärztin zu Lebzeiten von Prophet Mohammed, also im siebten Jahrhundert.
    Eine Aktion im Fastenmonat Ramadan – gegen das Vorurteil, dass Frauen schwach seien. Das Gegenteil sei der Fall: Frauen seien stark, sie könnten Karriere machen – und das im Sinne des Islam.
    al-Sisi: "Armut ist Quelle des Terrors"
    Nur eine Kampagne von vielen. So soll bei der kommenden Kommunalwahl eine Frauenquote von 25 Prozent erfüllt werden. In der ägyptischen Regierung sitzen acht Ministerinnen – keine Vorzeigefrauen, sondern Expertinnen in ihrem jeweiligen Ressort. Insgesamt will die ägyptische Führung die Frauen stärken. Und sie will, dass die Männer das akzeptieren.
    Das ist im Sinne der Verfassung, die seit Januar 2014 gilt und die Frauen deutlich besser stellt. Und es ist auch bevölkerungspolitisch richtig. Studien besagen, dass Frauen, die gebildet und berufstätig sind, weniger Kinder bekommen. Denn mit etwa 95 Millionen Menschen ist Ägypten schon heute viel zu dicht bevölkert. Tendenz: exponentiell steigend. Dabei sind Ressourcen wie Trinkwasser knapp. Das sieht auch Präsident Abdel Fattah al-Sisi so. Er sagte gegenüber dem privaten Fernsehkanal ONTV:
    "Die Herausforderung ist immens. Ehrlich gesagt ist das Wachstum der Bevölkerung eines unserer größten Probleme – nicht geringer als der Terrorismus. Denn große Armut ist eine der Quellen des Terrors. Sie treibt die Menschen in den Fundamentalismus und in den Extremismus. Das müssen wir eingestehen."
    Ägyptens Präsident Abdel Fatah Al-Sisi hier bei einem Besuch in den USA am 2. April 2017
    Ägyptens Präsident Abdel Fatah Al-Sisi hält das starke Bevölkerungswachstum für eines der größten Probleme seines Landes (AFP / Brendan Smialowski)
    Frühehe bedeutet mehr Zeit zum Kinderkriegen
    Frauenförderung ist das eine. Das andere: Das Vorgehen gegen Frühehen. Insbesondere auf dem Land ist es nicht unüblich, dass Eltern ihre Töchter schon als Teenager verheiraten. Weil die Familien arm sind und jeder Esser weniger zählt. Damit jedoch verlängert sich ganz praktisch die Phase, in der eine Frau Kinder bekommen kann.
    Denn das ägyptische Gesetz besagt: Heiraten dürfen junge Leute erst, wenn sie 18 Jahre alt, also wenn sie volljährig sind. Wie in Deutschland. Doch in den ländlichen Gebieten Ägyptens gibt es Imame, die es mit der weltlichen Rechtsprechung nicht so ernst nehmen. In altislamischer Tradition sehen sie einen Menschen als volljährig an, wenn er geschlechtsreif wird. Zudem erklären sie der Landbevölkerung, dass viele Kinder im Sinne des Islam seien.
    Fatwa-Rat wirbt für Verhütung
    Die Gelehrten der Azhar, der wichtigsten sunnitischen Lehranstalt, halten dagegen. Auch ihre Gelehrten im Dar al-Ifta, einer religiösen Institution, die zum ägyptischen Justizministerium gehört. Im Dar al-Ifta ist unter anderem der Fatwa-Rat angesiedelt, in dem islamische Rechtsgutachten erstellt werden – sogenannte Fatwas. Der Generalsekretär des Fatwa-Rates ist Scheich Khaled Omran – und er spricht sich eindeutig für Verhütung aus:
    "Die Gefolgsleute des Propheten hatten bereits Verhütungsmethoden. Zu Zeiten Mohammeds. Und zwar haben sie beim Geschlechtsverkehr ihren Samen nicht in die Scheide gelassen, um zu verhindern, dass die Frau schwanger wurde. Und so können wir auch heute dafür argumentieren, dass die Menschen nur zwei Kinder haben sollten. Die Familienplanung muss aber vor der Schwangerschaft beginnen. Denn im Islam ist Abtreibung nicht vorgesehen. Aber vor einer Schwangerschaft gibt es keine Einwände gegen Verhütung. Es ist aus Sicht des islamischen Rechts, der Scharia, besser zu planen, denn wir sind aufgefordert, für unsere Kinder zu sorgen!"
    Kinder kosten Geld
    In den acht kinderreichsten Provinzen Ägyptens ist kürzlich eine weitere Kampagne angelaufen: "Tifleen Kefaya" – "Zwei Kinder sind genug". Vertreter des staatlichen Bevölkerungsrates versuchen aufzuklären, warum Familienplanung besser ist als viele Kinder. Und manche Ägypterin stimmt dem schon jetzt voll zu. Auch diese Beamtin:
    "Ich bin zufrieden mit zwei Kindern. Mein Mann will mehr. Aber wie die meisten ägyptischen Männer… naja, die meisten Männer schieben die Verantwortung für die Kinder auf die Frauen. Und die Lebenshaltungskosten für die Kinder fressen das Einkommen einer Beamtin."
    Ägyptens Führung hat unter dem Druck notwendiger Wirtschaftsreformen fast alle Subventionen, die Jahrzehnte lang gezahlt wurden, gestrichen. Unter anderem das hat zu einem Anstieg der Lebenshaltungskosten geführt. Und wenn schon nicht die Vernunft die Ägypter davon abhält, viele Kinder zu bekommen, ist es nun vielleicht die Erkenntnis, dass Kinder viel Geld kosten.