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Ägypten
Großangriff auf die Informationsfreiheit

Nach der Gleichschaltung der meisten klassischen Medien in Ägypten wird nun der Zugang zum Internet eingeschränkt. Die Behörden sperrten bereits mehr als 400 in- und ausländische Webseiten. Betroffen sind auch jene von Anbietern, mit deren Software Netzsperren umgangen werden könnten.

Von Jürgen Stryjak | 30.09.2017
    Ägyptische Journalisten protestieren gegen Meinungseinschränkungen in Kairo.
    Ägyptische Journalisten wehren sich gegen die Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit. Jetzt wird auch der Zugang zum Internet erschwert. (picture alliance / dpa / Hazem Abdel Hamid)
    Stundenlang rufen Menschen auf den Straßen von Kairo nach dem Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak immer und immer wieder das Wort Freiheit im Chor. Auf dem Tahrir-Platz feiert ein Mann den Volksaufstand als "Facebook-Revolution".
    Ägypten im Februar 2011. Freiheit und Internet scheinen untrennbar miteinander verknüpft. Heute, sechseinhalb Jahre später, ist von dieser zivilgesellschaftlichen Aufbruchsstimmung fast nichts mehr übrig.
    "Der Staat arbeitet mit Nachdruck daran, die Kontrolle über alle Formen des öffentlichen und privaten Raumes zu erlangen. Er kauft zum Beispiel private Medienunternehmen, er verhaftet Vertreter des öffentlichen Lebens oder setzt sie unter Druck. Damit will der Staat alle Formen von Meinung, Information und Selbstorganisation der Menschen kontrollieren."
    Ramy Raoof von der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte ist der wichtigste unabhängige Experte im Land für digitale Freiheit, Onlineüberwachung und Internetzensur.
    Seit Ende Mai wurden über 400 Webseiten gesperrt
    Nachdem das Militär im Juli 2013 die Macht im Land an sich riss, habe es zuerst die klassischen Medien gleichgeschaltet. Jetzt sei, sagt Ramy Raoof, das Internet an der Reihe.
    Seit Ende Mai wurden in Ägypten über 400 Webseiten gesperrt. Die ägyptische Onlinezeitung Mada Masr, das Portal Qantara.de der Deutschen Welle oder die deutschsprachige Webseite von Reporter ohne Grenzen – sie alle sind in Ägypten nicht mehr erreichbar, ebenso wenig wie die Internetauftritte von Menschenrechtsorganisationen oder die vom Fernsehsender Al Jazeera.
    Diaa Rashwan, der Leiter des Staatlichen Informationsdienstes, verwies jüngst auf einer Pressekonferenz auf Frankreich, wo ebenfalls Webseiten gesperrt würden, angeblich fast 900 nichtfranzösische. In Ägypten werde es demnächst ein Gesetz geben, das die Existenz einheimischer Webseiten rechtlich regelt. Bei ausländischen Onlineangeboten sei es allerdings jedem souveränen Staat komplett selber überlassen, ob er sie dulde oder nicht.
    Dies blieb bislang die einzige offizielle Stellungnahme zu den Netzsperren. Für Ramy Raoof ist sie kaum mehr als der Versuch, Willkür zu rechtfertigen.
    "Wenn der Staat darauf verweist, dass auch in Frankreich Webseiten gesperrt werden, dann vergisst er zu erwähnen, dass dort ein transparenter Rechtsstaat herrscht. Nichts wird dort entschieden, ohne dass es juristisch angefochten werden kann. Das schafft eine gesunde Zivilgesellschaft, die es ja in Ägypten nicht gibt."
    Nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Handyvideo mit al-Sisi
    Selbst die Arabische Organisation für Menschenrechte, die dem Regime eher gewogen ist, fordert die Regierung dazu auf, wenigstens die Sperrung ägyptischer Seiten zu überdenken. Ein Gericht sollte die Netzsperren untersuchen, sagte Generalsekretär Alaa Shalaby. Den Betreibern der Webseiten empfiehlt er, gegen die Sperren zu klagen. Sie würden vor Gericht keinen Bestand haben.
    Wie Präsident Abdelfattah al-Sisi die Medien beurteilte, als er noch kein Präsident war, ist in einem Handyvideo zu hören, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.
    Seit 2011 würden ihm die Medien Sorgen bereiten, sagte der damalige Militärchef im Frühjahr 2013 zu Armeeoffizieren. Man werde viel Zeit brauchen, bis man die Medien wieder kontrolliere, aber man arbeite daran.
    Ramy Raoof ist von der Beschränkung der Informationsfreiheit alles andere als überrascht.
    "Es wird weitere Angriffe auf die Privatsphäre und die Internetsicherheit geben, unter anderem auch auf technische Hilfsmittel, mit denen die Nutzer Webseiten erreichen können, wenn sie gesperrt sind. Die Regierung möchte nicht, dass die Menschen einen unkontrollierten Zugang zum Internet haben."
    China wohl kein Vorbild für Ägypten
    Nach Angaben der ägyptischen Gesellschaft für Gedanken- und Meinungsfreiheit gehören zu den über 400 blockierten Onlineangeboten bereits 200 Internetadressen von Firmen, die sogenannte VPN-Dienste und Proxyserver anbieten. Mit ihnen könnte man Netzsperren umgehen.
    Ramy Raoof glaubt trotzdem nicht, dass die Regierung eine fast komplette Abschottung des ägyptischen Internets plant, ähnlich dem, was in China praktiziert wird.
    China sei für Ägypten vermutlich kein Vorbild. Das Regime möchte lieber so lange wie möglich so tun, als sei das Internet unzensiert. Gleichzeitig werde es eine strikte Kontrolle der Inhalte geben.