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Ägypten
Mehr Militär gegen Extremisten

Neue Luftangriffe und die Verhängung des Ausnahmezustands über den Nordsinai – das sind die Maßnahmen, mit denen die ägyptische Regierung auf den Terroranschlag vor gut einer Woche reagierte. An der Grenze zum Gazastreifen waren mehr als 30 Soldaten getötet worden, von den Dutzenden Verletzten schweben einige immer noch in Lebensgefahr. Aus Angst vor dem Terror setzt das Al-Sisi-Regime auf Mittel des Polizeistaats.

Von Jürgen Stryjak | 01.11.2014
    Ägyptische Armeesoldaten auf einem bewaffneten Fahrzeug kontrollieren das Gebiet nahe des Außenministeriums, wo im September 2014 eine Autobombe explodierte.
    Ägypten hat den Ausnahmezustand für die nördliche Region der Halbinsel Sinai verhängt. (picture alliance / dpa / Khaled Elfiqi)
    Der Tod der Soldaten, die im Nordsinai zu Opfern von Terroristen wurden, lässt wohl kaum einen Ägypter unberührt. Die Trauerfeier wird im Fernsehen übertragen, ein Geistlicher spricht ein Gebet.
    Wie dieser Passant in Kairo verurteilt vermutlich eine Mehrheit der Ägypter den Anschlag: "Das hat die Armee nicht verdient. Mein Bruder, meine Cousine, viele aus meiner Familie sind beim Militär. Sie beschützen unsere Heimat. Ist der Tod die Belohnung, die sie am Ende bekommen?"
    Der Mythos von der "Armee des Volkes" wurde auch in den Jahren nach dem Sturz Mubaraks kaum beschädigt. Nicht durch die Massaker, die Soldaten an friedlichen Demonstranten verübten, und auch nicht durch die Militärprozesse vor Schnellgerichten, die Tausende in den letzten Jahren ins Gefängnis brachten.
    Je instabiler die Situation im Land, desto entschlossener stellen sich viele Ägypter hinter die Armee. Niemandem sonst trauen sie zu, Chaos und Bürgerkrieg zu verhindern.
    Nur Stunden nach dem Anschlag stand es für Präsident, Ex-General und Feldmarschall Al-Sisi bereits fest, wo die Verantwortlichen zu suchen sind: "Es ist wichtig, die Motive hinter der Tat zu erkennen. Es handelt sich um Motive ausländischer Kräfte. Für den Angriff gegen unsere Armee haben die Täter Unterstützung aus dem Ausland erhalten."
    Wut und Verdächtigungen
    Wen er damit meint, sagt er nicht, er nennt keine Namen oder Staaten, aber er schwört Ägypten auf einen, so wörtlich, "Krieg ums Überleben" ein.
    "Meine Botschaft lautet: Seid wachsam! Die Terroristen wollen den Willen aller Ägypter brechen. Und sie wollen den Willen der Armee brechen."
    Das Volk müsse jetzt geschlossen hinter dem Militär stehen. Bei der Beerdigung der Anschlagsopfer ist allerdings auch Wut zu spüren. "Tut endlich was," ruft die Mutter von einem der getöteten Soldaten, "Wir haben Al-Sisi gewählt, damit er endlich was unternimmt gegen die Terroristen."
    "Wir verlangen, dass die Muslimbrüder gehängt werden," fordert eine Verwandte eines anderen Opfers.
    Auch in den Medien wird die Muslimbruderschaft mit dem Anschlag in Verbindung gebracht, wie zuvor schon mit anderen Attentaten. Es ist durchaus möglich, dass sich Muslimbrüder dem bewaffneten Widerstand anschlossen, aber ein Beweis dafür wurde bislang nicht präsentiert. Auf den Straßen und in den Kaffeehäusern zeigt der Verdacht allerdings Wirkung.
    "Die Terroristen? Die gehören zur Muslimbruderschaft. Sie bekämpfen die Armee, die uns, unser Land und unsere Kinder beschützt."
    Alles wird auf den Kampf gegen den Terror reduziert. Die regimetreuen Medien malen das Schreckgespenst von einer Verschwörung dunkler Mächte an die Wand. An ihrer Spitze stünden die Muslimbrüder, unterstützt von der Türkei, von Qatar und auch von westlichen Staaten. Für seinen Kampf gegen den Terrorismus erwartet das Regime im Inland Loyalität – und will im Ausland dafür gewürdigt werden. Nichts verschafft dem Regime derzeit mehr Legitimität.
    Polizeistaat wird weiter ausgebaut
    Im Schlepptau dieses Antiterror-Kampfes wird der Polizeistaat weiter ausgebaut. An den Hochschulen sind seit Jüngstem politische Aktivitäten untersagt. Öffentliche Einrichtungen wurden zu Armeeobjekten erklärt. Damit sind Militärgerichte neuerdings für fast alles zuständig, was das öffentliche Leben betrifft. Säkulare Oppositionelle gelten ebenfalls als Unruhestifter, die die Stabilität bedrohen. Kurz nach dem Anschlag im Nordsinai wurden 23, zum Teil prominente Demokratieaktivisten zu Haftstrafen verurteilt, weil sie friedlich demonstrierten. Unterstützung aus der Bevölkerung erfahren sie kaum. Wer fordert schon Bürgerrechte, wenn die Existenz des gesamten Landes bedroht ist?
    Der sogenannte Kampf gegen den Terror stärkt das Regime, zumindest kurzfristig. Dabei zeigt gerade der Nordsinai, dass eine brutale Sicherheitspolitik auch nach hinten losgehen kann. Extremisten gibt es im Norden des Sinai nämlich schon lange. Bereits unter Mubarak fanden sie dort einen idealen Rückzugsraum, vor allem weil sie die Unterstützung von Einheimischen hatten.
    Warum das so ist, demonstriert ein Handyvideo, das angeblich Anfang Oktober aufgenommen wurde und jetzt ins Internet gelangte. Es zeigt, wie ägyptische Soldaten zwei Männer misshandeln. Die beiden Beduinen werden getreten und geschlagen. Ägyptische Bürgerrechtler halten das Video für authentisch.
    Extremisten erhalten Zulauf
    Berichte von Menschenrechtsorganisationen belegten schon unter Mubarak, dass Sicherheitskräfte willkürlich Bewohner des Nordsinai aus den Häusern holten und folterten. Immer wieder steckten sie Dutzende, Hunderte, manchmal Tausende gleichzeitig in die Gefängnisse - unter ihnen auch viele Unschuldige.
    Den Politologen Gamal Abdel-Gawwad Sultan überrascht es nicht, dass die Extremisten Unterstützung und Zulauf erhalten: "Ägypten sollte drastische Maßnahmen gegen Unschuldige oder gegen gewaltfreie Aktivisten unbedingt vermeiden. Denn solche Maßnahmen helfen den Extremisten bei der Rekrutierung. Sie produzieren ganz ohne Zweifel neue Gewalt."
    Vielleicht ist es genau das, was das Regime will, behaupten Regimekritiker manchmal zynisch. Dann könnten die Machthaber noch mehr Repressalien zur Unterdrückung des eigenen Volkes rechtfertigen.