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Älter, schrumpfend und bunter

Die Deutschen werden weniger, aber älter - und es kommen immer mehr Einwanderer dazu. Schrumpfend, alternd, bunter: Das ist das Motto der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Demographie in Bonn.

Von Ingeborg Breuer | 10.03.2011
    "Schrumpfend, alternd, bunter" – der Titel der Tagung ist salopp formuliert, doch das Thema ist nichtsdestoweniger ernst. Denn es geht um die zentralen demografischen Herausforderungen, denen unsere Gesellschaft gegenübersteht. Erstens: die Kinderzahlen gehen zurück. Zweitens: Die Zahl der Alten nimmt dagegen zu, weil die Lebenserwartung der Deutschen steigt. Und drittens: es wird zunehmend mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland geben. Das wiederum heißt: es gibt verstärkten Integrationsbedarf.

    Angesichts solcher Herausforderungen komme es – frei nach Marx – darauf an, den demografischen Wandel nicht länger nur zu interpretieren, sondern ihn gestaltend zu verändern, so Prof. Tilman Mayer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie und Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Die Politik brauche eine "Demografiestrategie". Sie dürfe den Wandel nicht nur "verwalten", sondern müsse gestaltend eingreifen.

    "Gestalten heißt, dass die Politik, auch die höchste Ebene - die Bundesebene -in der Lage sein muss, über den Horizont hinauszudenken und sagen, wir wollen aber eine Entwicklungslinie korrigieren. Und das kann man nur im Bereich der Fertilität, neben der Migration geschehen. Wenn man dieses Ziel aber nicht hat, nicht gestalten will, genügt die Politik nicht ihren Aufgaben, denen sie genügen muss."

    Laut der Integrationsstudie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung aus dem Jahr 2009 haben 30 Prozent der in Deutschland lebenden Türken und Türkischstämmigen keinen Schulabschluss und nur 14 Prozent Abitur. Erwerbslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialleistungen sind oft die Folge. Türkische Migranten sind, so die Studie, jene Gruppe, die am schlechtesten in Deutschland integriert ist. Dies zu ändern, ist sowohl aus gesellschaftlichen als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen dringend erforderlich. Privatdozent Stefan Luft, Politikwissenschaftler an der Universität Bremen:

    "Ein zentraler Punkt ist aus meiner Sicht, denjenigen, die hier dauerhaft und rechtmäßig leben, Eintrittskarten zu Wirtschaft und Gesellschaft zu vermitteln. Wir müssen denjenigen Schülern mit Migrationshintergrund, die bereits in der Schule scheitern, denen einen Übergang in Ausbildung oder Studium nicht gelingt, denen müssen wir stärker helfen, bevor wir nach Zuwanderung aus dem Ausland rufen, das möglicherweise seine Fachkräfte selbst braucht."

    Doch den in Deutschland sich abzeichnenden Fachkräftemangel wird man durch eine bessere Förderung bildungsferner Migrantengruppen wohl kaum beheben. Aus einem abgebrochenen Hauptschüler macht man – auch bei Bildungserfolg - keinen Maschinenbauingenieur. Ingenieure, IT-Spezialisten oder auch Pflegekräfte werden aber schon jetzt gesucht. Deshalb brauchen wir, so Tilman Mayer, in Zukunft eine "qualitative Zuwanderung".

    "Man muss ja auch sehen, dass wir in der letzten Zeit eigentlich eine Veränderung der Migrationspolitik erlebt haben. Wir hatten in den letzten 30, 40 Jahren eine Zuwanderung, die sehr stark aus ökonomischen Gründen erfolgt ist und den Markt mit den einfachen Arbeiten abdeckte. Und wir haben jetzt eine Politikausrichtung, die sagt, wir brauchen qualitative Zuwanderung und das ist ne ganz andere Gruppierung, an die wir jetzt denken. Und insofern sind da einfache Lösungen nicht zu finden, weil die Bisherigen schon da sind und wir dürfen die auch nicht vernachlässigen. Aber was zu uns kommen soll, das soll viel stärker als bisher ausgesucht werden ..."

    Tilman Mayer schlägt deshalb die Einführung eines Punktesystems vor, wie es etwa Kanada oder Australien praktizieren. Dort wird Zuwanderung über Kriterien wie Bildungsabschluss, Sprachkompetenz, Alter oder Berufserfahrung geregelt. Ein Vorschlag, dem auch Paul Gans zustimmt, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Mannheim. Und mehr noch:

    "Man muss sehen, wir stehen im Wettbewerb mit anderen Ländern und wir müssen auch den potenziellen Zuwanderern immer die Option zukommen lassen, dass sie, wenn sie wollen, auch hierbleiben können auch mit ihren Familien. Und nicht sagen, nach fünf Jahren wieder zurück, das ist 'ne Abschreckung."

    Doch zur Behebung des Fachkräftemangels hat Paul Gans noch eine andere Gruppe im Blick. Vor allem in Westdeutschland sind Berufstätigkeit und Kindererziehung für Frauen nach wie vor wenig vereinbar: Nur 16 Prozent der Frauen mit Kindern unter fünf Jahren arbeiten in Westdeutschland Vollzeit. Und auch wenn die Kinder älter sind, das heißt zwischen 10 und 17, bleiben es bescheidene 28 Prozent.

    "Wir können im Hinblick auf den Fachkräftemangel uns nicht erlauben, dass Studentinnen die nen Abschluss haben, zu Hause bleiben um die Kinder zu hüten. In dem Augenblick geht das, was sie einmal gelernt haben, der Volkswirtschaft verloren. Also müssten wir mal an der Basis anfangen und da haben wir etliches aufzuholen, was die sogenannte Familienpolitik betrifft, also Ganztagsschulen, Kindergartenbetreuung und schon ab dem ersten Jahr als Option ..."

    Durch eine verbesserte Familienpolitik – so hoffen die Demografen – würden auch die Geburtenraten in Deutschland wieder steigen, die seit Jahrzehnten schon bei ungefähr 1,4 Kindern pro Frau stagnieren. Denn der Kinderwunsch in der Gesellschaft ist in den letzten Jahren sogar gestiegen. Doch nach wie vor wird nicht aus jedem Kinderwunsch ein Wunschkind. Liegt das möglicherweise auch daran, dass sich gesellschaftliche Bilder ändern? Das Bild der Elternschaft, so war gestern zu erfahren, hat sich verschlechtert: reich an Verantwortung und arm an Geld und Vergnügen, so eine verbreitete Meinung. Während umgekehrt sich zunehmend die Idee durchsetzt, dass kinderlose Ehepaare jede Menge Spaß miteinander haben. Das ist - demografisch - fatal! Die Steigerung der Geburtenraten, so Tilman Mayer, ist die dringendste politische Herausforderung. Gelingt dies nicht, fürchtet der Bonner Politikwissenschaftler, sieht die Zukunft für unser Land eher düster aus.

    "Dann wird eine Entwicklung stattfinden, die wir auch jetzt schon prognostizieren können, dass Deutschland und Mitteleuropa sukzessive schrumpft und dass wir uns dann hauptsächlich um dieses Implosionsprobleme kümmern müssen. Soziale Sicherung und all diese Dinge ... eine schrumpfende Gesellschaft ist keine billigere oder ökonomisch leichter zu handhabend, ganz im Gegenteil. Wir müssen ja nach wie vor alle die ganze Daseinsfürsorge trotzdem betreiben. Da kommen wir in schwere Fahrwasser."