Donnerstag, 25. April 2024

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Ärger um Petersburger Dialog
"Ein zivilgesellschaftlicher Dialog konnte nicht stattfinden"

Der Petersburger Dialog soll reformiert werden. Dazu sagte Andreas Schockenhoff, ehemaliger Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, im DLF, der Petersburger Dialog müsse auf eine breitere zivilgesellschaftliche Plattform gestellt werden.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.11.2014
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff will den Petersburger Dialog reformieren. (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Andreas Schockenhoff (CDU) sagte, gerade jetzt seien Gespräche mit Russland wichtig. Das bilaterale Forum "Petersburger Dialog" müsse grundlegend reformiert werden, damit mehr Akteure die Möglichkeit hätten, sich einzubringen. Auf deutscher Seite seien kritische Stimmen bislang kaum zugelassen worden, erklärte Schockenhoff. In Russland seien zudem Gruppen Repressionen ausgesetzt, die sich von Anfang an beteiligt hätten.
    Der Vorsitzende des Petersburger Dialogs, Lothar de Maizière, habe jede Form der Kritik abgeblockt und als Beleidigung der deutsch-russischen Beziehungen bezeichnet. Auch fordert Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, die Anbindung des Petersburger Dialogs an das Deutsch-Russische Forum zu beenden. Dessen Vorsitzender Matthias Platzeck hatte gefordert, die Krim-Annexion zu akzeptieren. Das, so Schockenhoff, habe Platzeck disqualifiziert. Ihm fehle die kritische Distanz.
    Eine Gruppe um Schockenhoff habe einen Reformprozess angestoßen. Das Kanzleramt sei informiert, wolle aber keine Vorgaben von oben machen, da es sich um ein zivilgesellschaftliches Forum handle.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Petersburger Dialog, er war noch unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder und seinem Außenminister Joschka Fischer gegründet worden und er sollte dazu dienen, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland zu stärken und auch die Zivilgesellschaften miteinander in Kontakt treten zu lassen. Doch seit vielen Jahren bereits gibt es Kritik an dem Gremium. Zu unkritisch Russland gegenüber sei die ganze Veranstaltung, aber auch ihr Co-Vorsitzender Lothar de Maizière, und durch die Anbindung an das Deutsch-Russische Forum - das ist eine Vereinigung der Wirtschaft - viel zu nah an ökonomischen Interessen ausgerichtet. Zuletzt waren mehrere Nicht-Regierungsorganisationen aus Protest ausgestiegen und jetzt gibt es konkrete Planungen, den Petersburger Dialog komplett neu aufzustellen.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Andreas Schockenhoff. Er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und bis zu diesem Jahr Koordinator gewesen für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit. Schönen guten Morgen!
    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Schockenhoff, seit Jahren gibt es ja bereits Kritik am Petersburger Dialog. Auf russischer Seite, so hieß es immer wieder, schicke der Kreml völlig willfährige Leute. Was war denn jetzt der Anlass, gerade jetzt eine Initiative zu starten?
    Schockenhoff: Der Anlass entstand nicht jetzt, sondern wir haben bereits im Koalitionsvertrag der Großen Koalition im letzten Jahr vereinbart, den Petersburger Dialog auf eine breitere Plattform zu stellen, um ihn zu einem echten zivilgesellschaftlichen Dialogforum zu machen. Wir brauchen gerade jetzt in schwierigen Zeiten einen Gesprächsfaden zu Russland und es ist in den letzten Jahren ja - das ist ein positives Ergebnis - eine wesentlich breitere und lebendigere Zivilgesellschaft in Russland entstanden. Es gibt auch eine Vielzahl von Initiativen, deutsch-russischen Initiativen, die daran teilhaben, die aber im Petersburger Dialog überhaupt nicht abgebildet sind.
    Der Petersburger Dialog hat laut Satzung 25 Mitglieder und diese Mitglieder wählen einen Lenkungsausschuss, die ebenfalls 25 Mitglieder umfassen, also praktisch personenidentisch. Und es gibt einen Vorstand, einen fünfköpfigen Vorstand, der allein darüber entscheidet, wer das Recht hat, sich auch als neues Forum, als neue Initiative dem Petersburger Dialog anzuschließen. Wir haben keinen Einfluss darauf, wen die russische Seite schickt, aber dass wir auf deutscher Seite eine breitere Realität auch der deutsch-russischen Beziehungen in der Zivilgesellschaft abbilden wollen, das ist im Text, in dem Gründungsdokument des Petersburger Dialoges gefordert, und das sollte nun auch abgebildet werden in einer größeren und lebendigeren, vielfältigeren Mitgliederschaft.
    "Keine kritischen und neuen Initiativen vertreten"
    Heckmann: Herr Schockenhoff, wenn Sie sagen, Sie möchten den Petersburger Dialog zu einem echten Dialogforum machen, dann kann man daraus nur schließen, dass der Petersburger Dialog bisher jedenfalls kein echtes Dialogforum gewesen ist.
    Schockenhoff: Es war sehr, sehr eng geführt. Sie haben in dem Vorbericht schon angesprochen die Anbindung an das Deutsch-Russische Forum. Aber es wurden kritische und neue Initiativen kaum zugelassen. Es gibt in Blogs im Internet auch ganz neue Initiativen, aber dadurch, dass die Mitgliederzahl auf 25 beschränkt war und sich praktisch selbst dann auch zum Leitungsgremium gemacht hat, wurden auch auf deutscher Seite Gruppen selektiert. Auf russischer Seite wurden Organisationen, die von Anfang an auch beim Petersburger Dialog dabei waren, einer immer stärkeren staatlichen Repression ausgesetzt. Wie gesagt, darauf haben wir keinen Einfluss. Dass aber auch die deutschen Partner, die mit denen in Kontakt standen und nach wie vor enge Beziehungen unterhielten, dann auf deutscher Seite nicht teilnehmen konnten, das war nicht akzeptabel und deswegen haben hier auch eine ganze Reihe von deutschen Nicht-Regierungsorganisationen vor dem letzten geplanten Petersburger Dialog in Sotschi ihre Teilnahme abgesagt. Deswegen war es nur konsequent, dass ein solcher zivilgesellschaftlicher Dialog, der diesem Anspruch nicht mehr genügt, nicht stattfinden konnte und dass wir nicht nur das zeitlich verschoben haben, sondern dass wir wirkliche strukturelle Veränderungen brauchen.
    Heckmann: Es heißt, dass das Kanzleramt Lothar de Maizière, dem letzten Ministerpräsidenten in der DDR, es nicht zutraue, diese Reformen umzusetzen. Sehen Sie das auch so? Muss der weg?
    Schockenhoff: Nein, er will die Reform nicht. Es geht nicht darum, ob er es kann; er will es nicht. Er will eine ganz enge und exklusive Gesprächsbasis mit Russland und jede Kritik ist dann abgeblockt worden oder ist dann als eine Beleidigung der deutsch-russischen Beziehungen auch abgetan worden. Nein, es muss jetzt wirklich mehr Offenheit geben. Es muss auch möglich sein, …
    Heckmann: Das heißt, Ihr Parteifreund de Maizière, der muss weg von dieser Stelle?
    Schockenhoff: Der Petersburger Dialog hat überhaupt nichts mit Parteien zu tun. Er hat auch nichts mit Wirtschaftsinteressen zu tun, sondern er ist per Definition eine zivilgesellschaftliche Plattform und deswegen muss er auch die Lebendigkeit und die Vielfalt der Zivilgesellschaft abbilden. Derjenige, der das organisiert, der das leitet, tut das nicht als Vertreter einer Partei, sondern sollte es als Vertreter einer breiten zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland tun.
    "Matthias Platzeck fehlt jede kritische Distanz"
    Heckmann: Sie haben gefordert oder fordern auch, dass die Anbindung an das Deutsch-Russische Forum beendet wird. Das ist ja eine Organisation der Wirtschaft. Das geht darauf zurück, dass vorgeworfen wird, dass zu stark an ökonomischen Interessen alles ausgerichtet ist. Das Ganze geht dann aber auch direkt gegen Matthias Platzeck von der SPD, der nämlich Vorsitzender dieses Deutsch-Russischen Forums ist.
    Schockenhoff: Auch für Matthias Platzeck gilt, dass er nicht zunächst als Parteipolitiker diese Aufgabe übernimmt. Aber Matthias Platzeck, der in der vergangenen Woche gefordert hat, man solle die Annexion der Krim, man solle militärische Aggression durch Russland im Osten der Ukraine völkerrechtlich anerkennen, hat sich damit, glaube ich, völlig disqualifiziert. Jemand, der den Aggressor belohnen will und der denjenigen, der die Zivilgesellschaft in Russland unterdrückt, schützt, kann nicht Vorsitzender eines zivilgesellschaftlichen Forums sein. Ihm fehlt jede kritische Distanz und das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass er SPD-Mitglied ist, so wenig es damit zu tun hat, dass Lothar de Maizière CDU-Mitglied ist. Es gibt zum Glück in der Bundesregierung eine sehr klare und eine einheitliche Haltung. Es gibt auch im Bundestag zwischen den Fraktionen, mal abgesehen von der Linken, aber zwischen Grünen, der CDU/CSU und der SPD keine grundsätzlich unterschiedliche Haltung. Es gibt unterschiedliche Nuancen, das ist auch notwendig, aber das ist kein parteipolitisches Problem.
    Heckmann: Aber Horst Seehofer, der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, der fordert Klarheit von der SPD, mehr Klarheit, und bezieht sich damit auch auf Äußerungen von Matthias Platzeck, aber auch auf Äußerungen des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder beispielsweise oder Egon Bahr. Ist die SPD ein unsicherer Kantonist?
    Schockenhoff: Gerhard Schröder steht nicht für die heutige Außenpolitik der SPD. Den möchte ich auch nicht kommentieren. Aber Matthias Platzeck hat eine Funktion, in der er gerade zivilgesellschaftliche, pluralistische Ansätze kritisiert, und deswegen muss er dafür auch sich klare Worte anhören und muss er in seiner Haltung, die für einen Großteil der deutschen Öffentlichkeit nicht akzeptabel ist, sich auch der Kritik stellen.
    Heckmann: Ich denke, Horst Seehofer hat auch den Außenminister gemeint, Frank-Walter Steinmeier, der ja davor gewarnt hat, verbal aufzurüsten. Er hat um Mäßigung gebeten und dazu aufgefordert, an dem Tag, an dem Angela Merkel in Sidney eine ziemlich scharfe Rede gehalten hat gegenüber Wladimir Putin. Ist insofern die Forderung von Horst Seehofer, dass Klarheit geschaffen wird, ob die SPD die Kanzlerin unterstützt oder nicht, ist diese Forderung berechtigt?
    Schockenhoff: Die Kanzlerin hatte ja zuvor über vier Stunden mit Putin in Sidney gesprochen und in der Woche darauf ist Steinmeier nicht nur in Kiew, sondern auch in Moskau gewesen, um dieses Gespräch fortzusetzen. Das zeigt, dass die Bundesregierung hier eine abgestimmte einheitliche Position hat. Aber dazu gehört auch eine breitere zivilgesellschaftliche Begegnung mit Russland. Wir brauchen diesen Gesprächsfaden, das unterstützen wir von der CDU/CSU ausdrücklich. Aber gerade deswegen wollen wir nicht nur in der Wirtschaft, nicht nur in den Regierungen, sondern auch in der Zivilgesellschaft eine breitere und offenere Debatte.
    "Zusammensetzung muss einer neuen und breiteren Realität in Russland Rechnung tragen"
    Heckmann: Ganz kurz noch: Gibt es dafür bereits Grünes Licht aus dem Kanzleramt und aus dem Auswärtigen Amt?
    Schockenhoff: Wir haben diese Reformdebatte angestoßen. Wir haben das Kanzleramt darüber informiert. Das Kanzleramt hat aber auch gegenüber uns gesagt, dass es keine Vorgaben von oben machen will, sondern Zivilgesellschaft ist eben nicht Regierungshandeln, und deswegen sollte aus den Teilnehmern des Petersburger Dialoges jetzt eine Diskussion angestoßen werden, wie wir die Mitgliederversammlung ausweiten können. Der Lenkungsausschuss kann ja kleiner werden, aber es müssen auch neue, es müssen mehr und es müssen vielfältigere, buntere Akteure auch die Gelegenheit haben, sich an diesem zivilgesellschaftlichen Austausch mit Russland zu beteiligen, und das muss vor allem auch einer neuen und breiteren Realität in Russland Rechnung tragen.
    Heckmann: Der Petersburger Dialog soll grundlegend reformiert werden. Das fordert Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion. Herr Schockenhoff, danke Ihnen für das Gespräch.
    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.