Donnerstag, 18. April 2024

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Ästhetik und Werte
Wenn Kreativagenturen die Kirche beraten

Latte Macchiato statt Filterkaffee beim Gemeinde-Treffen - ist das die Lösung für die Kirchen? Brauchen sie einen neuen hippen Anstrich und alles wird besser? Zunehmend beraten Agenturen die großen Kirchen in Deutschland. Einige setzen auf Oberflächenreize - andere gehen in die Tiefe.

Von Martina Kollroß | 03.04.2018
    Eine Frau schreibt im Bonner Kirchenpavillon ihren Wunsch für mehr Gelassenheit auf.
    Wandel oder Wunder? Eine Frau füllt im Bonner Kirchenpavillon eine Wunschkarte aus. (© 2018 / Studio komplementaer, Köln )
    "Wir hoffen auf Ihre Ohren: mit einem Gedanken für die Woche, mit 'nem Impuls, von dem wir hoffen, dass er Sie bereichern mag."
    Martina Baur-Schäfer steht im evangelischen Kirchenpavillon Bonn. Die Leiterin der ältesten Citykircheneinrichtung in Deutschland präsentiert das Jahresthema - "Gelassenheit". Die Raum-Installation zum Thema stammt aus dem Studio Komplementaer. Dorle und Michael Schmidt haben diese Konzeptagentur in Köln-Ehrenfeld gegründet.
    Michael Schmidt ist katholischer Theologe, aber mit seinem grau melierten Haar, dem asymmetrischen Seitenscheitel, dem Drei-Tage-Bart und dem Hemd mit geometrischen Prints wirkt er wie der prototypische Kreative in einem Werbefilm über junge Designkultur. Michael Schmidt:
    "Für mich ist das besondere an Gelassenheit, dass man das Gefühl hat, dass Menschen, die gelassen sind, über den Dingen stehen. Dass sie sich nicht von dem Alltag hin und her werfen lassen. Dass sie irgendwie so eine gewisse Ruhe ausstrahlen. Und das hat etwas sehr Reizvolles für mich."
    Das katholische Theologiestudium begann Michael Schmidt, nachdem er bereits eine Ausbildung als Mediengestalter absolviert und als Apple-Service-Techniker gearbeitet hatte. Jetzt bietet er "Interventionen für Werte, Wandel und Wunder" an, so das Motto von Studio Komplementaer.
    Sinnstiftung mit Trendbegriffen?
    "Wir versuchen im Alltag, an verschiedenen Orten, in verschiedenen Situationen, Leute dazu zu bringen, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Vor allem mit Themen, die ja irgendwie sehr wertehaltig sind, sinnstiftend sind. Quasi neben dem klassischen, was einem gerade so, gerade auch im städtischen Kontext an Konsumwerbung anspricht, das man dem eben Themen gegenüberstellt, die das Leben eben substanzieller machen, die das Leben auf eine tiefere Ebene auch holen."
    Also Sinnstiftung mit Trendbegriffen in Cafè-Atmosphäre? Das scheint auch eine der Strategien zu sein, mit der die katholische und evangelische Kirche seit Kurzem gegen schwindende Mitgliederzahlen und verwaiste Gottesdienste ankämpfen.
    Michael Schmidt zeichnet am Tablet den Entwurf für eine "Themen-Interaktion" 
    Michael Schmidt zeichnet am Tablet den Entwurf für eine "Themen-Interaktion" (Deutschlandradio/ Martina Kollroß)
    Markensoziologe Oliver Errichiello formuliert es so: "Was man versucht, ist, so ein bisschen an der Oberfläche das Ganze – man sagt es heutzutage in der Werbewelt – sexy zu machen, also dafür zu sorgen, dass ich das Gefühl habe, es ist eigentlich eine bessere oder eine etwas tiefere Disco, wo ich ein bisschen Spaß haben kann. Es wird ja auch immer wieder darüber berichtet. Dann werden wunderbare Gottesdienste gemacht. Dann wird vielleicht auch eine Art und Weise der Ansprache gesucht, die ein bisschen moderner ist, die das Du sucht und solche Dinge."
    Agenturen werden engagiert in der Hoffnung, der Glanz und Glamour junger, hipper Kreativer möge das verstaubte Kirchenimage aufmöbeln. Hier im Bonner Kirchenpavillon ist es die Gelassenheit - etwas, was inzwischen jede zweite Teewerbung verspricht. Da stellt sich die Frage, was das noch mit Kirche zu tun hat.
    "Der Glaube ist eine gute Grundlage"
    "Als wir uns mit der Gelassenheit beschäftigt haben, haben wir relativ schnell gemerkt, dass Gelassenheit immer viel damit zu tun hat, auch was für Erwartungen, was für Leistungsdruck, da ist. Und gerade beim christlichen Glauben ist das etwas, was wir auch nochmal betonen wollten, dass der christliche Glaube nicht darin besteht, dass man irgendwas leisten muss, um in den Himmel zu kommen. Dass man irgendwas schaffen muss. Sondern, dass man erstmal von Gott geliebt ist. Und dass das eigentlich eine ziemlich gute Grundlage ist, um gelassen zu sein."
    Michael Schmidt steht einem reinen Marketinggedanken bei religiösen Themen kritisch gegenüber. Es gebe genug Cafés, da müsse die Kirche nicht zwingend neue eröffnen. Er fragt sich vielmehr:
    "Kann die Kirche Orte schaffen, wo man das Miteinander fördert. Wo man auch vielleicht nicht eine Konsumhaltung fördert, sondern irgendwas, wo man über Werte nachdenkt. Also finde ich schon, dass man da das schärfen muss und auch genau hingucken muss, welchen Beitrag hat eine Kirche zu leisten und was nicht."
    "Klares Handeln und Tun"
    Darin ist er sich mit Markensoziologe Errichiello einig:
    "Es geht erst mal darum zu sagen: Was ist denn heute, typisch katholisch, typisch evangelisch? Und das ist dann, bitte nicht, vielleicht irgendwelche abstrakten Begriffe, sondern es ist das klare Handeln und Tun."
    Kirche werde da konkret, wo sie sich um Menschen kümmert, meint Oliver Errichiello. Er betont ihre soziale Funktion. Michael Schmidt spricht hingegen lieber von einer Kompetenz, die dazwischen liege, in der das Meditative, das Zusichfinden im Vordergrund stehe. An solchen Orten sei eben auch Ästhetik wichtig.
    "Wenn man beobachtet, wie Menschen in Kirchen gehen, dann kann man ja gut beobachten, dass die meisten noch hinbekommen, eine Kerze anzuzünden. Viele setzen sich dann in die Bank oder gucken sich die Kirchenfenster an. Und meistens ist es dann aber auch schnell damit vorbei, dann geht man wieder raus, weiß gar nichts mehr mit sich anzufangen. Und wir glauben, dass es halt wichtig ist, Gesten zu stiften. Gesten, wo man - ähnlich wie beim Kerze anzünden - wieder Vokabeln für seine Spiritualität lernt. Wo man aber auch sich mit der Haptik, wie Sachen klingen, wie Sachen aussehen, seiner Spiritualität nähern kann. Und dafür Vokabeln zu stiften, dafür Gesten zu stiften, was das sein kann. Das ist uns besonders wichtig."
    Deswegen würden sie sich viele Gedanken um die Stoffe machen, mit denen sie arbeiten.
    "Eigentlich geht's drum, so eine Mischung aus Verstehen und Erleben zu haben, wo auch Kopf und Herz oder Kopf und Bauch zusammenkommen."
    Die Café-Besucher an diesem Nachmittag schreiben auf fünfeckige Karten, die an Edelsteine erinnern sollen, über Situationen, in denen sie sich mehr Gelassenheit wünschen. Dann trennen sie den Psalmvers 139 an der gestanzten Linie von der Karte ab. "Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir" - so steht es auch auf den Lesezeichen, die am Ausgang bereitliegen. Die Karten werden in ein beleuchtetes Podest gesteckt. Und jetzt?
    "Naja, ich hab's erstmal geäußert - und das tut ganz gut."
    An einem Tisch sitzen sich vier Menschen gegenüber und unterhalten sich darüber, was sie auf die Karten schreiben wollen. Kirchgänger seien sie alle nicht. Insgesamt scheint das Konzept aufzugehen: die ästhetische Erfahrung als Türöffner für menschliche Begegnungen. Und das jenseits von erstarrten Formen, in denen sich christliche Religiosität sonst oft präsentiert.