Dienstag, 16. April 2024

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AfD in der Generaldebatte
"Missbrauch der Redezeit eines Oppositionsführers"

Mit ihrer Rede in der Generaldebatte im Bundestag habe AfD-Fraktionschefin Alice Weidel ihrer Partei keinen guten Dienst erwiesen, meint der Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Anstatt ihre Redezeit zur Selbstverteidigung der Spendenaffäre zu nutzen, hätte sie eher auf die Regierungspolitik eingehen müssen, sagte er im Dlf.

Werner Patzelt im Gespräch mit Silvia Engels | 21.11.2018
    21.11.2018, Berlin: Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, spricht im Bundestag. Auf der Tagesordnung im Plenum des Bundestags setzt bei den Haushaltsberatungen die Generalaussprache über den Etat der Kanzlerin. Foto: Ralf Hirschberger/dpa | Verwendung weltweit
    Während der Generaldebatte im Bundestag verteidigte sich Alice Weidel (AfD) wegen der Vorwürfe in der Spendenaffäre. (dpa)
    Silvia Engels: Seitdem die AfD die stärkste Oppositionsfraktion im Bundestag stellt, eröffnet sie bei den traditionellen Generaldebatten zum Haushalt den Reigen der Redner. Darauf antwortet, ebenso traditionell, der Regierungschef beziehungsweise Regierungschefin, also Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Ton in diesen Diskussionen ist in den letzten Tagen schärfer geworden. Heute ging die wegen Parteispenden unter Druck stehende AfD-Fraktionschefin Weidel als erste ans Rednerpult.
    Professor Werner Patzelt ist nun am Telefon. Er ist Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden. Er beobachtet seit Jahren besonders die AfD. Er hat früh dazu geraten, AfD-Wähler und Pegida-Anhänger nicht als Rechtsextreme zu betrachten, sondern zumindest einen Teil auch als Konservative ernst zu nehmen. Und er rät der CDU dazu, die AfD mittelfristig auf Landesebene als Koalitionspartner ins Auge zu fassen, falls sie sich von einer Protest- zu einer Gestaltungspartei wandelt. Guten Tag, Herr Professor Patzelt.
    Der Politologe Werner Patzelt auf der Leipziger Buchmesse 2018
    Werner Patzelt, Politologe (imago)
    Werner Patzelt: Einen schönen guten Tag.
    Engels: Sie haben einen Blick auf diese ersten Redebeiträge im Bundestag genommen. Alice Weidel hat ja doch sehr viel Zeit ihrer Rede darauf verwendet, sich in Sachen Parteispendenaffäre zu verteidigen, hat nicht so sehr die Politik der Regierung angegriffen - hat sie in einem Teil, aber wegen dieser zeitlichen Zuordnung nicht so stark. Hat Sie das überrascht?
    Patzelt: Die Jägerin ist zur Gejagten geworden und im Grunde ist es auch ein Missbrauch der Redezeit eines Oppositionsführers, wenn das zur Verteidigung eigenen Fehlverhaltens genutzt wird. Und mir scheint, dass sich die AfD durch diese Rede ihrer Co-Vorsitzenden keinen sonderlich guten Dienst erwiesen hat. Die Kanzlerin hat ja mit treffender Ironie bemerkt, dass das Schöne am Parlamentarismus sei, dass jeder über alles reden kann, was er für wichtig hielte. Sie freilich hielte anderes für wichtig, und recht hatte sie damit.
    "Aufgabe wäre, Alternativen zur Regierungspolitik vorzulegen"
    Engels: Das könnte ja der Fokus sein. War das eigentlich eine Rede, die an die eigenen AfD-Parteifreunde und möglicherweise auch die Basis gerichtet war, um hier Schaden zu begrenzen?
    Patzelt: Na ja. Es war schon eine Rede, die an die Öffentlichkeit gerichtet war. Die AfD steht unter Erklärungsdruck, unter Rechtfertigungsdruck, und natürlich ist objektives Fehlverhalten gerade in Parteienfinanzierungsdingen eine ganz wunderbar vom politischen Gegner ausnutzbare Angriffsstelle. Da hat sie ihre Redezeit der Stopfung solcher offenen Flanken gewidmet und nicht dem, was eigentlich ihre Aufgabe wäre, nämlich Alternativen zur Regierungspolitik vorzulegen.
    Engels: Wie glaubwürdig haben Sie denn Weidels Rede empfunden? Sie hat ja vor allen Dingen darauf verwiesen, dass andere Parteien auch Affären in Sachen Parteispenden hatten.
    Patzelt: Das ist ein richtiger Hinweis, aber es hilft nur nichts. Wenn man weiß, dass andere Fehler gemacht haben, und man macht ähnliche Fehler selbst, ist das ja nichts, was einen entschuldigen oder rechtfertigen kann, sondern einen lediglich als Teil der gesamten, ansonsten kritisierten Familie von mit der Parteienfinanzierung es nicht allzu ernst nehmenden Parteifunktionären erscheinen lässt. Kurzum: Der Ursprungsfehler ist, überhaupt das Geld angenommen zu haben und quasi als zinslosen Kredit verwendet zu haben, und alles andere sind Rechtfertigungen, mit denen man nicht durchdringen wird.
    Engels: Zeigt das, dass Alice Weidel, die ja im Zentrum dieses möglichen Skandals steht, jetzt mit dem Amt der Fraktionschefin zur Belastung ihrer Partei geworden ist?
    Patzelt: Weniger durch diese Parteispendenaffäre als vielmehr durch eine falsche Akzent- und Prioritätensetzung bei so wichtigen Reden. Ich meine, wenn einem zur SPD im Wesentlichen der Arbeitskreis Pferd einfällt, dann ist das nicht gerade ein sonderlich wichtiger Angriff auf einen Koalitionspartner.
    Es sind Ungeschicklichkeiten. Es sind falsche Prioritätensetzungen und ab und zu auch falsche Tonfälle, welche die AfD um jene Wirkungen bringen, die eigentlich eine große Oppositionspartei haben sollte.
    "Globales Phänomen wie Migration bedarf globaler Regelungen"
    Engels: Große Wirkungen – Sie sprechen es an. Die AfD schreibt sich ja auf die Fahnen, dass sie das Thema UN-Migrationspakt erst auf die Tagesordnung gebracht hat. Zum Teil auch mit Zuspitzungen, zum Teil auch mit unzutreffenden Thesen hat sie diese Debatte in der Tat mit in den Vordergrund gerückt. Jetzt kann sie dieses Potenzial, was sie aus ihrer Sicht so sieht, nicht nutzen?
    Patzelt: Sie kann es nicht so gut nutzen, wie wenn die AfD untadelig dastünde. Es ist durchaus ein Verdienst, ein so wichtiges Thema wie diesen Migrationspakt in die öffentliche Erörterung gebracht zu haben. Es war ein Versäumnis der Regierung, nicht ihrerseits offenkundig doch ein, einen nennenswerten Teil der Bevölkerung betreffendes und umtreibendes Thema wie die Steuerung von Migration zum Thema gemacht zu haben, und folglich ist es gut, dass wir eine Debatte darüber haben. Wenn diese Debatte rational und ohne fehlende Textkenntnis und ohne falsche Unterstellungen geführt würde, wäre es freilich besser, aber es ist gut, dass sie geführt wird, und ich vermute, dass ohne die AfD im Bundestag wir diese Debatte vielleicht tatsächlich nicht führen würden.
    Engels: Bundeskanzlerin Merkel nutzte ja ihre Gegenrede, um vor Nationalismus zu warnen und die Linie des angestrebten UN-Migrationspakts zu verteidigen. War das geschickt gelöst aus Ihrer Sicht?
    Patzelt: Mir scheint, dass das durchaus geschickt gelöst war, denn es steht außer Zweifel, dass ein globales Phänomen wie Migration globaler Regelungen bedarf. Wohlweißlich hat die Kanzlerin aber nicht davon gesprochen, dass internationale Verträge, die nicht bindend für Nationalstaaten sind, aber umfangreiche politische Selbstverpflichtungserklärungen enthalten, dass solche Verträge in relativ kurzer Zeit von sogenannten Soft Law, ein weiches internationales Recht, zu bindenden Regeln werden können, denn nach einer geraumen Zeit, nach zwei, drei Jahren, wird es eine Überprüfungskonferenz geben, was ist denn von dem Pakt umgesetzt worden. Dann stellt man fest, dies und jenes ist nicht umgesetzt worden. Dann einigt man sich darauf, dass man jetzt das bislang Unverbindliche in Verbindliches umformen müsste, und so entsteht eine politische Dynamik hin zu Endergebnissen, die man am besten vom Ende her bedenkt und wo man dann nach Möglichkeit nicht einfach nur auf Sicht fahren sollte. Diesen Aspekt hat die Kanzlerin weitestgehend ausgeblendet. Man versteht auch, warum, aber es ist dann die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit, auch hier weiterzudenken, über das Datum der Annahme dieses Paktes hinaus.
    "CDU hat beschlossen, pfleglich mit der Kanzlerin umzugehen"
    Engels: Auf der anderen Seite entgegnen ja Befürworter dieses Migrationspaktes, dass es darum gehe, dass in anderen Ländern die Standards für Flüchtlinge erhöht werden, und das könne ja nur im Interesse Deutschlands sein. Ist man auf der anderen Seite hier nicht zu sehr in der Gefahr, vorhandene Ängste in der Bevölkerung, die was Migration angeht bestehen, über den UN-Migrationspakt abzubilden, die dieser überhaupt nicht auslösen könnte?
    Patzelt: Die Grundaussage ist schon richtig. Wenn sich die dem Pakt beigetretenen Staaten an die dort festgelegten Verpflichtungen halten, dann lindert das jene Migrationsprobleme, unter denen nicht zuletzt ein wie ein Magnet wirkender Erdteil wie Europa gleichsam zu leiden hat. Der Punkt ist nur der, dass es keine Garantie dafür gibt, dass die Selbstverpflichtungserklärungen von sämtlichen Staaten erfüllt werden, insbesondere von jenen erfüllt werden, die Vorteile davon haben, sie nicht zu erfüllen. Schauen Sie, nicht einmal in der Europäischen Union – einer Ansammlung im Grunde rechtstreuer Staaten – ist es gelungen, eine relativ bescheidene Umverteilung von Flüchtlingen durchzusetzen, obwohl das geltendes Recht ist. Wie will man dann die gute Hoffnung haben, dass sich weltweit nicht verpflichtendes Recht durchsetzen ließe, wenn Staaten es für bequem finden, das nicht zu tun. Und wenn obendrein wichtige Einwanderungsländer diesem Pakt nicht beitreten, verteilt sich dann die Last aus den Verpflichtungen auf relativ wenige. Das sind im Wesentlichen die Sorgen, die viele Leute umtreiben. Ob zurecht oder zu Unrecht, werden wir in zehn Jahren besser wissen als heute.
    Engels: Schauen wir noch auf die anstehende Machtverschiebung innerhalb der CDU. Die Forderung, den UN-Migrationspakt auch auf dem CDU-Parteitag in Hamburg zu besprechen, die hat ja Jens Spahn aufgemacht. Nun haben wir ja Bundeskanzlerin Merkel das letzte Mal wahrscheinlich in ihrer Funktion als Kanzlerin und Parteichefin in einer Generaldebatte erlebt. Wird die nächste Rede der Kanzlerin in dieser Rolle eine geschwächte Merkel sein?
    Patzelt: Es fließt die Macht eines Regierungschefs sehr wohl aus seinem Parteiamt. Gerhard Schröder hat das auf das Unangenehmste erfahren müssen. Natürlich ist eine Kanzlerin, die den Parteivorsitz abgegeben hat, eine Kanzlerin auf Abruf, eine in ihrer letzten Zeit im Amte. Aber das ist ja auch die Absicht von Angela Merkel, schrittweise ihre Ämter zu verlassen, weil sie wachsenden Widerstand gegen ihre Politik und einen abnehmenden Nutzen ihrer Weise, politisch zu führen, fühlt. Infolgedessen ist gleichsam der Machtverlust eingepreist und die CDU hat offenkundig beschlossen, pfleglich mit der Kanzlerin umzugehen. Und wenn die CDU gut beraten ist, wird sie das auch in Zukunft so halten, bis irgendwann die Amtszeit der Kanzlerin Merkel sich ebenfalls dem Ende zuneigt.
    Engels: Professor Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag.
    Patzelt: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.